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Neuer Ost-West-Konflikt

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Das NATO-Abkommen mit Rußland deckt die Differenzen nur zu - sie könnten in Zukunft umso schärfer zutage treten.

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Das NATO-Abkommen mit Rußland deckt die Differenzen nur zu - sie könnten in Zukunft umso schärfer zutage treten.

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Im Gegensatz zu den Bestrebungen unzähliger Menschen nach Versöhnung und militärischer Abrüstung bahnt sich eine unheilvolle Entwicklung an, die vorläufig von nur wenigen in ihrer vollen Bedeutung erkannt wird.

Ab 1989, nach dem Ende des kalten Krieges, wurden die Militärausgaben in den meisten Staaten der Erde spürbar gesenkt. Sinn und Zweck der NATO, des großen Verteidigungsbündnisses, das während der Jahre des kalten Krieges die Sicherheit der westlichen Welt garantieren sollte, schien mangels eines Feindes in Frage gestellt. Da wurde im Zusammenwirken der NATO-Führung mit der Rüstungsindustrie die Idee einer „neuen NATO” geboren. Durch eine neue wahnwitzige Aufrüstung soll auch „out of area”, also auch außerhalb des bisherigen NATO-Territori-ums, für Sicherheit und Wahrung der Interessen der Mitglieder des Militärbündnisses gesorgt werden. Überdies sollen durch die sogenannte Osterweiterung einige der früheren Satellitenstaaten (zunächst Ungarn, Polen und Tschechien) in die NA'l'O-neu eingebunden werden.

Da gefordert wird, daß die technische Ausrüstung der Armeen der Bei-trittsländer auf NATO-Niveau gehoben wird, ist hier ein gewaltiger finanzieller Einsatz der neuen (und alten) Mitgliedsländer erforderlich.

Dazu kommen psychologische Faktoren, die von Seiten der NATO neu-Befürworter total unterbewertet werden. Nicht nur die Mitglieder der Regierung und der gesetzgebenden Körperschaften in Rußland sind von der versteckten Bedrohung durch die

NATO-neu irritiert, sondern auch die einfachen russischen Menschen. Dazu schrieb einer der besten amerikanischen Bußland-Kenner, George F. Kennan: „Die Ausweitung der NATO wäre der verhängnisvollste Fehler der amerikanischen Politik in der gesamten Ära nach dem kalten Krieg. Solch eine Entscheidung ... wird die nationalistischen, antiwestlichen und militaristischen Tendenzen in der öffentlichen Meinung Rußlands anheizen; sie wird sich nachteilig auf die Entwicklung der russischen Demokratie auswirken; sie wird in den Ost-West-Beziehungen die Atmosphäre des kalten Krieges wiederbeleben ... Nicht zuletzt wird die NATO-Erweiterung es erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen, die Ratifizierung des START-II-Abkommens durch die Duma sicherzustellen und einen weiteren Abbau der Nuklearwaffen zu erreichen” (aus: „Die Zeit”, 14.2.1997).

Nun ist am 14. Mai 1997 in Moskau zwischen der NATO und Rußland ein wichtiges (zum Teil geheimes) Sicherheitsabkommen geschlossen worden, das scheinbar die hier wiedergegebenen Bedenken überholt erscheinen läßt. Eine nüchterne Analyse zeigt aber, daß der erzielte Kompromiß für Rußland sehr unbefriedigend ist und daß Rußland es aufgegeben hat, weiter zu versuchen, die NA-TO-Osterweiterung zu verhindern. Präsident Boris Jelzin und Außenminister Jewgenij Primakov haben versucht, aus der gegebenen Situation das Beste herauszuholen.

Darüber schreibt die „New York Times” vom 14. Mai 1997: „Bestenfalls ist das Abkommen dazu geeignet, überaus wichtige Meinungsverschiedenheiten zuzudecken. Doch indem es die Differenzen heute verhüllt, könnten sie in Zukunft umso schärfer zutagetreten ... Regierungsvertreter nennen es ein politisches Abkommen', was soviel heißt wie: die USA und ihre europäischen Verbündeten können es ignorieren, wann immer sie ihre Sicherheit bedroht sehen.”

Einen gänzlich anderen Aspekt zeigte der Resuch des chinesischen Staats- und Parteichefs Jiang Zemin bei Boris Jelzin in Moskau. Dort wurde von den beiden Staatsmännern in einer gemeinsamen Grundsatzerklärung eine neue „multipolare” Weltordnung gefordert und die von der derzeitigen „einzigen Weltgroßmacht USA” praktizierte Politik scharf kritisiert. Nachdenklich müßte auch die gemeinsame Zielsetzung einer neuen „strategischen Partnerschaft” zwischen China und Rußland stimmen, besonders im Hinblick darauf, daß China eine enorme militärische Aufrüstung betreibt, für die die noch immer technisch hochstehende russische Rüstungsindustrie der Hauptlieferant ist. So könnte eine forcierte Aufrüstung der Mitgliedsstaaten der neuen NATO zusammen mit der schon bestehenden Aufrüstung Chinas und dem gewaltigen derzeitigen Vorrat von 7.500 Atomsprengköpfen mit dazugehörigen Trägersystemen in Rußland zu einem neuen allgemeinen Wettrüsten führen. Und die Slogans könnten dann lauten: hie NATO-neu und hie Rußland & China. Der Ost-West-Konflikt des 21. Jahrhunderts wäre geboren.

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