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"Czaputowicz beteiligte sich in den 1970erund 1980er-Jahren am Widerstand gegen die Kommunisten und saß in der Zeit des Kriegsrechts 1981 auch in Haft."

Als Donald Tusk im März 2017 als EU-Ratspräsident wiedergewählt wurde, stimmten 27 EU-Staaten für ihn. Einzig Polen, Tusks Heimat, in der er von 2007 bis 2014 Premierminister war, votierte gegen ihn. Die polnische Regierung sprach nach der Niederlage von einem "Diktat aus Berlin" und kritisierte, dass die Wahl Tusks die Krise der Europäischen Union weiter verschärfen werde.

Wenige Woche später erschien im rechten Wochenmagazin Do Rzeczy ein Gastbeitrag, der aufhorchen ließ: Jacek Czaputowicz, damaliger Staatssekretär im Außenministerium, schrieb in einem Essay, dass Tusks Wahl rechtlich anfechtbar sei. Die Wahl sei zustande gekommen, weil es keinen Widerstand gegeben hätte, nicht aber, weil sich die EU-Staaten ausdrücklich hinter Tusk stellten. "Eine Demokratie erfordert aber", so Czaputowicz, "dass die Wahl eines Kandidaten deutlich und eindeutig ausfällt, nicht konkludent." Die Art und Weise, wie Tusk gewählt wurde, könnte darauf hinweisen, dass "kein Land die Verantwortung dafür übernehmen will, dass Tusk als Kandidat aufgestellt wurde".

Außenminister Witold Waszczykowski griff diese Argumentation damals auf. Er sagte dem Fernsehsender TVN24, dass es "Expertisen" gebe, die darauf hinwiesen, dass Tusk auf eine Art und Weise gewählt wurde, die man auf der Ebene des europäischen Rechts anzweifeln könne. Zwar wurden besagte "Expertisen" - trotz Forderungen der Opposition - nie veröffentlicht, Waszczykowski ließ aber durchblicken, dass er zu solcher Meinung gekommen sei, weil eben jener Czaputowicz dafür plädiert hatte. Neun Monate später, wir schreiben das Jahr 2018: Der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki hat das Regierungskabinett in beispielloser Art und Weise umgebaut. Drei Minister wurden entlassen, auf weiteren Posten kam es zu Personalrochaden. Auch Waszczykowski musste weichen - und ausgerechnet jener Czaputowicz wurde zum "Chef der Diplomatie" ernannt.

Karriere im auswärtigen Dienst

Czaputowicz ist gelernter Politologe, der sich auf Internationale Beziehungen und Europarecht spezialisiert. Seit 1990 ist er im Auswärtigen Dienst tätig, war dort unter anderem für die strategische Planung der Außenpolitik und die Nachwuchsakademie zuständig. Zwischen 2008 und 2012 leitete er die nationale Hochschule für öffentliche Verwaltung, eine nach Lech Kaczyn´ski benannte Beamten-Kaderschmiede der PiS. Seit 2014 sitzt er im Programmrat der Recht-und Gerechtigkeitspartei, wo er die inhaltliche Ausrichtung der Regierungspartei mitbestimmt.

Dennoch: Czaputowicz ist ein politischer No-Name. Obwohl er schon lange in der Diplomatie arbeitet und zahlreiche Posten bekleidete, wurde der 61-Jährige auf der großen politischen Bühne kaum aktiv. Er war bisher auch niemand, der eine gewichtige Stimme hatte und öffentliche Debatten mitbestimmte. Czaputowiczs Ernennung fällt in eine Zeit, in der der internationale Druck auf Polen steigt. Die EU-Kommission wirft der polnischen Regierung vor, die Unabhängigkeit der Justiz zu untergraben und die Gewaltenteilung aufzuheben. Brüssel hat, zum ersten Mal in der Geschichte der Europäischen Union, den Artikel 7 der EU-Verträge durchgesetzt. Obwohl Sanktionen unwahrscheinlich sind, weil sie ein einstimmiges Votum erfordern, und Ungarn bereits sein Veto ankündigte, hat das Prozedere Symbolcharakter.

Ein Elefant im Porzellanladen

Das erklärt die Gratwanderung, die Czaputowicz nun gelingen soll: Einerseits muss er die Interessen der polnischen Regierung vertreten und etwaige innenpolitische Reformen verteidigen, andererseits die Kritiker aus der EU um Frans Timmermans beschwichtigen.

Sein Vorgänger Waszczykowski erinnerte als Außenminister mitunter eher an einen Elefanten im Porzellanladen denn an einen Diplomaten mit Fingerspitzengefühl. Die Liste der Verfehlungen Waszczykowskis ist lang: So sagte er etwa, dass seit der Machtübernahme durch die PiS die polnischamerikanischen Beziehungen von ihrem "Schwarzsein" befreit wurden. Die Opposition stigmatisierte er als westlich beeinflusste "Radfahrer und Vegetarier".

Als Frauen "schwarze Proteste" gegen die angekündigte Verschärfung von Abtreibungsgesetzen durchführten, sagte Waszczykowski, diese seien "Happenings, bei denen dümmliche Parolen gerufen werden". Als Beispiel für die diplomatische Offensive Polens führte er die Aufnahme der Beziehungen mit dem Land San Escobar an. Das Problem: Das Land existiert gar nicht -in sozialen Medien wurde der Außenminister aufs Übelste verspottet. Waszczykowski war dafür bekannt, eher für mediale Eklats zu sorgen, denn zwischenstaatliche Lösungen zu finden.

Schon lange wurde vermutet, dass er vom Parteivorsitzenden Jarosław Kaczyn´ ski geschasst werden könnte. Sogar Politiker der PiS und regierungsnahe Medien waren sich einig, dass Waszczykowskis Auftreten unglücklich, seine Diplomatie unbeholfen war. In diesem Sinne hat Czaputowicz gewissermaßen einen Blankoscheck -er kann es nur besser machen als sein Vorgänger.

Berufung mit Kalkül

Hinter der neuen Personalie stehen aber auch realpolitische Überlegungen der Regierungspartei. Zum einen stellt sie sich damit internationaler auf. Zwar absolvierte Waszczykowski Auslandssemester in Berlin und Oregon, er galt aber weder als sonderlich mondän noch sprachlich begabt.

Czaputowicz hingegen studierte in Oxford und leitete eine Abteilung der Europäischen Fakultät an der Universität in Warschau. Er lehrte an bilingualen, englischsprachigen Programmen wie dem Collegium Civitas in Warschau oder der National Louis University in Nowy Sa cz und publizierte mehrmals auf Englisch, etwa für "The Polish Yearbook of the Civil Service". Wie gewieft sich Czaputowicz in internationalen Gefilden bewegen wird, muss sich noch zeigen, er bringt aber zumindest Fähigkeiten mit, die Waszczykowski vermissen ließ.

Zum anderen hat Czaputowicz ein klares außenpolitisches Profil. Gemeinsam mit dem neuen Regierungschef Morawiecki, der jünger und international vernetzter ist als seine Vorgängerin Beata Szydło, wird er Polen nach außen repräsentieren. Dazu passt gut, dass er in der Vergangenheit bereits als Widersacher Tusks und Kritiker der EU-Maßnahmen gegen Polen aufgetreten ist. Geht der Streit um die Justizreformen in die nächste Runde, weiß Brüssel, wofür der neue Außenminister steht. Seine internationalen Positionen, die sich aus mehr als 100 wissenschaftlichen und journalistischen Publikationen ableiten lassen, gelten als EU-skeptisch und elitenkritisch. Er ist dabei kein Feind der Europäischen Union an sich, betont aber die Souveränität des eigenen Landes und lehnt eine Vertiefung der Integration ab.

Verbale Abrüstung

Drittens spielt Czaputowiczs Biografie der PiS in die Karten. In den 1970er-und 1980er-Jahren war er Teil des Widerstands gegen die Kommunisten. Er beteiligte sich an der unabhängigen Studentenunion, an der Freiheits-und Friedensbewegung Wolnos´c´ i Pokój, kollaborierte mit der Solidarnos´c´ und wurde während des Kriegszustands 1981 inhaftiert.

Czaputowicz verkörpert also gewissermaßen ein Märtyrertum. Das Narrativ, sich für die Freiheit des polnischen Volkes aufgeopfert zu haben, kann er für sich in Anspruch nehmen. Czaputowiczs Biografie zeigt aber auch, dass ein einstiger pazifistischer Widerstandskämpfer heute glaubhaft PiS-Minister werden kann. Nachdem die PiS viel Mühe darauf verwendet hat, Friedensnobelpreisträger Lech Wałe sa öffentlich zu diskreditieren, kommt ihnen ein Außenminister, der selbst im Widerstand kämpfte, gerade recht. Nicht nur die Opposition, sondern auch Czaputowicz selbst kann behaupten, auf der richtigen Seite der Geschichte gestanden zu haben.

Czaputowicz gab kurz nach seiner Ernennung bekannt, dass für ihn die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union Priorität besitze. Nach einer ersten Visite in Bulgarien werde seine zweite Auslandsreise nach Berlin gehen, wo er nächste Woche Außenminister Gabriel treffen wolle. Deutschland sei "unser wichtigster politischer und wirtschaftlicher Partner". Es sei Polen daran gelegen, das "sehr gute Verhältnis" zu Deutschland aufrechtzuerhalten. Neun Monate nach seinem umstrittenen Aufsatz sagte er sogar, dass sich das Verhältnis zu Tusk und der EU nach Möglichkeit verbessern solle.

Für die Europäische Union und Deutschland sind solche Aussagen noch kein Grund zu Jubelsprüngen. Es sind aber immerhin Töne, die man von seinem Vorgänger Waszczykowski nicht kannte - und in Vergangenheit aus Warschau zu selten vernommen hat.

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