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Neues Konzept?

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So unbequem und nachteilig ein in vielen Fraktionen und Grüppchen aufplusterndes politisches Parteiwesen ist, so sehr es persönliche Interessenpolitik, das Aufkommen von Ehrgeizlingen und Schaumschlägern an der Spitze kleiner Parteiungen begünstigt und die sichere Linie einer von zahlreichen Komponenten abhängigen Regierungspolitik zu beirren vermag, hat doch auch das System der starren Parteigliederung, das Neubildungen nicht zuläßt, seine Nachteile. Es birgt die Gefahr in sich, daß innerhalb der bestehenden Großparteien, vor allem wenn sie nicht programmatisch festgeschlossene Einheiten bilden, die Vereinigung verschiedenartig gerichteter Kräfte zu Kompromissen nötigt, die Verwaschenheit, Unsicherheit und letzten Endes eine ertötende Charakterlosigkeit des politischen Lebens hervorbringen. Nun tönt schon in der ersten Morgenfrühe der Wahlbewegung der Balzruf, bis zum Falsett sich überschlagend, von verschiedenen Parteibäumen. In dem Überschwang des großen Werbens um Angehörige einer Partei, die man noch vor kurzem mit drakonischer Gesetzesstrenge verfolgte, eines Werbens, den es nicht selten gleichgültig ist, ob um Menschen geht, die, zu besseren Erkenntnissen gelangt, innerlich gewonnen worden sind oder nicht, scheint es ganz vergessen zu sein, welche unerfreulichen Erfahrungen die alten österreichischen Parteien jedesmal mit der Aufnahme von Elementen gemacht haben, die ihnen innerlich nicht völlig zugehörten. Nicht umsonst hat Lueger auf den großen Triumph verzichtet, die erste und einzige übernationale nichtsozialistische Parteiverbindung im Raume des neuen österreichischen Parlamentarismus zu begründen, als er nach den ersten Wahlen des allgemeinen gleichen Wahlrechtes das Aufnahmewerben der galizischen Stojalowski- Gruppe, einer von einem Priester geführten bäuerlichen Reformpartei, ablehnte.

Selbst eine starke Partei, gelenkt von überragenden Führerpersönlichkeiten, kann nicht ganz ohne Risiko Dispensen von der inneren Zugehörigkeit für Neuankömmlinge erteilen — unter normalen Umständen werden solche Dispensen immer ernste Gefahrenmomente für die grundsätzliche Ausrichtung einer Partei enthalten.

Das gilt noch viel mehr und ganz. unzweideutig, ‘wenn die Tore einer Partei für fremden Zuzug so weit geöffnet werden, wie es nach Formulierungen anzunehmen ist, wie sie der Hauptredner der Volkspartei in der jetzt im Plenum eröffneten Budgetdebatte des Nationalrates gebrauchte. Dieser Rede kommt deshalb besondere Bedeutung zu, weil nach parlamentarischem Gebrauch die von den Klubs bestellten Hauptredner als beauftragte Interpreten der allgemeinen Parteiauffassung gelten; deshalb bezeichnete auch die Presse der Volkspartei die Rede ihres ersten Sprechers als „die Generallinie der österreichischen Volkspartei für das kommende entscheidungsreiche Jahr der Wahlen”. Dennoch sind hier von der grundsätzlichen Seite her Klarstellungen unerläßlich.

Der Hauptredner der Volkspartei legte eingangs dar, daß der jüngeren Generation „die Parteiformen und Parteikämpfe der Vergangenheit nichts mehr sagen und wesensfremd geworden sind, weil diese Formen und Programme der alten klerikalen, nationalen, liberalen und othodox-marxistischen Parteien dem vergangenen Geschichtsbilde des 19. Jahrhunderts entsprochen haben”.

Und fortfahrend sagte er:

„Seit Ignaz Seipel fehlt ein staatspolitisches Konzept, das versuchsweise zu formulieren die Zeit nun reif geworden ist und nur aus dieser Leitidee entwickelt werden kann. Das neue Konzept ist klar! Nicht eine mechanische Zusammenfassung der alten Liberalen, Nationalen und Klerikalen kann die Parole sein, sondern nur die Schaffung einer gemeinsamen geistigen Plattform, die wir im Bekenntnis zur freien Persönlichkeit gefunden haben, die in selbstgewählter Bindung der Gemeinschaft sich verpflichtet fühlt, einer Gemeinschaft, die aus dem Geist der abendländischen Kultur erwachsen ist.”

So signifikant und bemerkenswert die Einzelheiten dieser Definition des „neuen Konzepts” sind, das im Namen der Volkspartei unterbreitet wurde — das Bemerkenswerteste ist, daß dieses weitmaschige Konzept von jedermann, ausgenommen etwa ganz hartgesottenen Kommunisten, unterschrieben werden kann. Diese theoretische Formel vermöchte in der Tat die Liberalen, „Nationalen” und „Klerikalen” — welch fröhliche Urständ feiert hier diese immer als Herabsetzung christlich gesinnter Menschen abgelehnte Bezeichnung! — in einem Parteigefäß zu vereinigen. Dem gedachten Einwand, es könnte bei der Theorie bleiben, begegnete der Hauptredner der Volkspartei mit einer nachdrücklichen Zusicherung an die Führer der erwarteten Neuankömmlinge:

„Für den Erfolg unseres Konzepts ist freilich nicht nur dessen Güte ausschlaggebend, sondern es wird abhängig von den Menschen, dię es in der Öffentlichkeit vertreten sollen. Es besteht kein Zweifel, daß in unserer Volkspartei das Führerkorps im Jahre 1945 sich aus begreiflichen Gründen fast ausschließlich aus jenen Menschen rekrutierte, die vor 1938 aus dem christlichsozialen und vaterländischen Lager hervorgegangen sind. Wir sind uns dessen voll bewußt und wir scheuen keine Selbstkritik. Wir werden dieses Führerkorps ergänzen und Menschen aus dem ehe- mals liberalen und nationalen Lager gleichberechtigt in seinen Reihen aufnehmen.”

In der Praxis würde die Ausführung dieser Sätze, Wenn sie so genommen werden sollen, wie sie lauten, den Versuch bedeuten, in die bisherige Volkspartei, also eine Volksvertretung von weltanschaulich christlicher Grundrichtung, nicht nur angenäherte Elemente zu verschmelzen, sondern in der Führung der Partei „gleichberechtigte”, verschiedenartige politische Charaktere zu vereinigen. Von einer Partei der christlichen Gesellschaftsreform, von ererbtem Gedankengut und ererbter Verpflichtung aus Geist und Willen der christlichen Sozialreformer und der modernen päpstlichen Sozialenzykliken könnte dann wohl keine Rede mehr sein. Der zweifelhafte Zusammenhalt einer solchen politischen Einheit würde nur mehr in dem bourgeoisen Gegensatz zum Sozialismus, einer Verneinung, gefunden werden. Welche Verschärfung des Klassenkampfes der Ausfall der christlichen Reformkräfte aus der Mittelstellung nach sich ziehen müßte, braucht hier nicht weiter ausgemalt zu werden.

Die aus dem „neuen Konzept” abzuleitenden Konsequenzen würden so weitreichend, eine solche Rückentwicklung in ein liberales Zeitalter sein, daß sich politische Überlegung wehrt, es anders als den wohlgemeinten utopischen Versuch einer Notlösung zu erklären, die aus einem Konflikt von widerstreitenden .Tatsachen entstanden ist. Sichtbar stellt das Problem, wie die verschiedenen Ideenrichtungen, die nun einmal vorhanden sind, in das jetzige Dreiparteiensystem ohne gewaltsame Beugung der Überzeugungsfreiheit einzubauen sind, vor kaum übersteigbare Hindernisse. Aus diesem Dilemma erwuchs offenbar das Konzept als persönliches Erlebnis und Ergebnis einer ungesunden Situation. Wenn es so ist, wenn es zwingend ist, sich mit dem politischen Schicksal parteifremder Elemente zu befassen, warum schließlich nicht lieber eine vierte Partei als die Zersetzung der eigenen? Doch nicht an der Beantwortung dieser Frage ist der hier geführten Auseinandersetzung gelegen, sondern an der anderen: welche Bewandtnis es mit dem neuen Konzept hat. Müßten nicht der Anlaß und die Form, wie dieses Konzept präsentiert wurde, es vor aller Welt als offiziell erscheinen lassen, so könnte man darüber mit einem bloßen Wort des Widerspruchs hinweggehen. Aber der vor der Öffentlichkeit gegebene äußere Schein, als handle es sich um eine Änderung der Programmatik-der führenden Partei, zwingt zu einer Stellungnahme und verlangt eine eindeutige Klarstellung von berufener Seite.

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