Neuseeland

Neuseelands Flüchtlingspolitik: "Eine Krise der Gastfreundschaft"

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Mit statistisch 0,3 Geflüchteten pro 1000 Einwohner(inne)n bleibt Neuseeland weit hinter den Erwartungen zurück. Auch das ambitioniert anmutende „Special Ukraine Visa“ birgt so manche Stolpersteine in sich. Über die streitbare Hilfspolitik des Inselstaates.

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Mit statistisch 0,3 Geflüchteten pro 1000 Einwohner(inne)n bleibt Neuseeland weit hinter den Erwartungen zurück. Auch das ambitioniert anmutende „Special Ukraine Visa“ birgt so manche Stolpersteine in sich. Über die streitbare Hilfspolitik des Inselstaates.

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Als geborene Ukrainerin fiel Kate Turska in die enge Kategorie derjeniger, die ihre Familienmitglieder für zwei Jahre nach Neuseeland holen durften. Möglich machte dies das im März 2022 ausgerufene Programm „Special Ukraine Visa”, das bislang einige hundert Mal in Anspruch genommen wurde. Das Prozedere dafür gestaltete sich laut Turska – sie engagiert sich seit Beginn des Krieges für die Organisation „Mahi for Ukraine“ – tatsächlich als unkompliziert. Sämtliche Bewerber(innen), dazu zählten auch ihre Mutter und ihr Vater, konnten (und können) innerhalb von drei bis sechs Wochen mit der Genehmigung ihres Visums rechnen und problemlos einreisen.

Allerdings: Was zunächst nach einer unbürokratischen und ambitionierten Hilfspolitik anmutete, gestaltete sich in der Realität mitunter als Finte. „Vertriebene aus der Ukraine haben in Neuseeland nicht automatisch Zugang zum Sozialsystem“, erklärt Turska. Jene kostenlose staatliche Hilfe, die bislang anderen humanitären Flüchtlingen zuteil kam, bleibt den Ankommenden aus der Ukraine verwehrt. Auch könnten die oft traumatisierten und körperlich beeinträchtigen Menschen weder Gesundheitsleistungen noch Sprachkurse in Anspruch nehmen. Vielmehr konzentrierte sich die neuseeländische Regierung von Anfang an darauf, dass Ukrainerinnen und Ukrainer unverzüglich einer Arbeit nachgehen bzw. eine begonnene Ausbildung abschließen.

Ein Ansatz, der sich im Nachhinein insbesondere für ältere Menschen oder Frauen mit kleinen Kinder als problematisch erweist. „Eine Person über 60 Jahre und ohne Englischkenntnisse ist auf dem Jobmarkt quasi chancenlos“, beschreibt Turska das Dilemma. Folglich ist ein Großteil der Vertriebenen finanziell von ihren neuseeländischen Verwandten, die in der Regel ohnehin den teuren Flug sowie die Unterbringung und Verpflegung übernommen haben, abhängig.

Ohne Perspektive zurück ins Kriegsgebiet

Laut Bericht der Organisationen „Mahi for Ukraine“ an „World Vision“ wächst daher die finanzielle, aber auch psychische Belastung für die Betroffenen. Auch Kate Turskas Eltern spielen mit dem Gedanken, trotz der Gefahr in der Heimat zurückzugehen. „Sie spüren den Druck, fürchten mir zur Last zu fallen.“ Die Tochter schaffte es bisher, ihre Eltern von deren Plänen abzuhalten. Aber sie kennt einige Vertriebene, die bereits die Rückreise ins Kriegsgebiet angetreten sind. Auch ob der Ungewissheit, wie es für sie in Neuseeland weitergehen wird. Der Aufenthaltsstatus für Ukrainer ist prekär. „Im Moment weiß niemand, wie es nach März 2023 weitergeht, weil die jeweiligen Visa nicht verlängert werden“, sagt Turksa.

Mit ihrer Initiative „Mahi for Ukraine“ wendete sie sich daher direkt an das Kabinett von Premierministerin Jacinda Ardern. Ihre Forderung: Den Vertriebenen eine reale Möglichkeit zum Bleiben in Neuseeland zu gewährleisten. Zudem wird in einem Schreiben das Ausmaß der finanziellen Belastung, der lückenhaften Gesundheitsversorgung und der fehlenden Integrationsmaßnahmen aufgezeigt. Tatsächlich gab es mittlerweile einige Treffen mit Einwanderungsminister Michael Wood. Doch die neuseeländischen Mühlen mahlen in dieser Causa langsam. Absichtlich? Zumindest scheint ein klarer Status für Kriegsflüchtlinge auf der Prioritätenliste der Labour-Regierung nicht unbedingt ganz oben zu stehen.

Die Mitarbeiter von „Mahi for Ukraine“ sind nicht die Einzigen, die den mangelnden Tatendrang der neuseeländischen Regierung in der Immigrations- und Flüchtlingspolitik kritisieren: Bereits vor COVID19 hatte Neuseeland laut statistischem Jahrbuch des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) im internationalen Vergleich eine der niedrigsten Flüchtlingszahlen pro Kopf: Mit statistisch gesehen 0,3 Flüchtlingen pro 1.000 Einwohner belegte das Land weltweit den 95. Platz. 1.500 gefährdete Personen sollten ab dem Jahr 2020 gemäß der jährlichen Neuansiedlungsquote, die im Einwanderungsgesetz seit 1987 festgelegt wurde, ihre neue Heimat finden. Jedoch wurde bei der jüngsten jährlichen Aufnahme laut einem Bericht von „1News“ mit 754 Menschen diese Quote nur zur Hälfte erfüllt. 2020/21 waren es nur 260 Personen, und 797 im ersten Jahr der COVID-Pandemie.

Diese Zahlen beziehen sich allerdings nur auf sogenannte Kontingentsflüchtlinge, deren Status von der UNHCR „beauftragt“ oder bestätigt wurde. Menschen, die im Rahmen dieses Flüchtlingsquotenprogramms in Neuseeland ankommen, werden nach Ankunft in einem fünfwöchigen Aufnahmeprogramm medizinisch versorgt und auf ihr neues Leben in Neuseeland vorbereitet. Danach werden sie in urbanen Gebieten in staatlichen Unterkünften angesiedelt und erhalten Zugang zum öffentlichen Gesundheits- sowie Schulsystem.

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