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Neuwahlen im Marz 1971?

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Was heimische Gazetten in hochsommerliche Aufregung versetzt, ist ein alter Hut. Wer, bitte schön, meinte wirklich, daß die große Oppositionspartei tatsächlich dem Budget der Minderheitsregierung zustimmen wird?

Und auch spätestens Anfang Juli mußte jedem Eingeweihten klar gewesen sein, daß eine aufgebrachte agrarische Front in der Volkspartei niemals einem Budget zustimmen kann, das Subventionskürzungen für die Landwirtschaft vorsehen würde. Nun hat Opposilionschef Withalm die FPÖ herausgefordert, indem er ihr vorhielt, daß sie bisher alle Budgets abgelehnt habe. Sperrfeuer auf die FPÖ gehört also zur laufenden Taktik der Volkspartei. Und tatsächlich wird es die FPÖ mehr als schwer haben, dam ersten Budget der Regierung Kreiskys zuzustimmen:

• Da ist vor allem das Agrarbudget; der (FPÖ-nahe) Allgemeine Bauernverband hat sich bereits schärfer auf die SPÖ-Regierung eingeschossen als der ÖVP-Baiuernbund. Und in Kärnten, dem Kernland mit dem FPÖ-Grundmandat, sind es vielfach Kleinbauern, die die Freiheitlichen stützen.

• Der FPÖ-nahe städtische Mittelstand wiederum dürfte der FPÖ bereits übelgenommen haben, daß der Verdacht eines Bündnisses mit der SPÖ zumindest glaubhaft erscheint und würde durch eine FPÖ-Zustimmung zu Sondersteuem ebenso vergrämt werden.

Vieles spricht somit dafür, daß das Budget keine Mehrheit im Parlament findet. Tricks sind unwahrscheinlich, weil der neue Klubobmann schon a/us Gründen grundsätzlicher Autorität niemals zulassen könnte, daß einer seiner Abgeordneten aus dem Saal geht, während über das Budget abgestdmmit wird. Das wäre ein Armutszeugnis für eine große Opposition.

Nun soll aber Bundeskanzler Kreisky gegenüber Withalm bereits vor dem Sommer erklärt haben, daß er natürlich für Neuwahlen eintreten würde, wenn die SPÖ-Minderheitsregierung die Budgethürde nicht nimmt. So ist die Kombination kurz und einfach: das Budget findet im Dezember nicht die Zustimmung des Parlaments; die Regierung tritt zurück, und Neuwahlen werden beschlossen. Die Oppositionsparteien würden in einem solchen Fall als Termin wahrscheinlich den 7. oder 14. März 1971 beschließen. Nun freilich ist in diesem Spiel eine Karte nach wie vor im Talon. Kommt es noch im Herbst zu einem Beschluß über eine Wahlrechtsreform? Innerhalb der SPÖ gibt es eine starke Gruppe, die dieses Wahlrecht als ganz zentrale (und wesentlichste) Aufgabe der zeitlich begrenzten Mmderheiteregierung ansieht. Aber die Regierungspartei steht vor einem Dilemma: Sie hätte im März 1971 die einmalige (historische) Chance, die absolute Mehrheit zu erreichen, noch bevor sich die ÖVP konsolidiert hat. Paktiert sie aber ein Wahlrecht aus, das die Freiheitlichen durch mehr Abgeordnete begünstigt (etwa durch die Reduzierung der Zahl der Wahlkreise auf 9), kann sie wahrscheinlich nie mehr die absolute Mehrheit erreichen, weil ein solches Ziel für beide Großparteien dann womöglich auf Jahrzehnte absolute Mehrheiten in der Praxis verhindert. Damit aber wäre eine im März 1971 siegreiche SPÖ wiederum Gefangene einer Koalition — und die kleinen und mittleren Funktionäre weiterhin nur im Wartesaal der Hoffnungen auf einen Sozialismus, der am 1. März 1970 bereits so nahe schien, aber trotzdem nicht verwirklichbar ist. Aber trotz allem spielt das gefährlichste Spiel die ÖVP. Sie kann bei Neuwahlen so an Terrain verlieren, daß aus der Minderheitsregierung eine Regierung mit absoluter Mehrheit wird.

Dazu kommt, daß die Volkspartei offensichtlich in einem Autoritätsdilemma steckt. Exfinanzminister Koren führt die Riege der Schattenminister an, die zum Großteil für baldmöglichste Neuwahlen eintritt Generalsekretär Schleinzer, aber etwa auch die Wiener ÖVP sind für eine Politik auf weichen Pfoten, um selbst im Wahlgang am 4. Oktober nur ja nicht die SPÖ zu „reizen“. Und Parteichef Withalm? Man wirft dem einstigen „eisernen Hermann“ unverhohlen vor, einsame Politik zu machen. In der Frage der Nominierung eines Kandidaten zur Bundespräsidentenwahl hat er bereits nachgeben müssen. Und den .Apparat“ in der Kämtnerstraße beherrsche er nicht mehr. Unter diesen Vorzeichen in eine Serie von Wahlkämpfen zu gehen, ist mehr als problematisch. Denn auch spätestens im Herbst wird die Frage an die ÖVP herangetragen werden, wer denn nun ihr Kanzlerkandidat sei. Ist es Withalm? Über seine Beliebtheit in der Bevölkerung macht gerade er sich die allerwenigsten Illusionen. Ist es Schleinzer? Oder Koren?

Man kann sich vorstellen, wie mühsam eine solche Entscheidung wird, wenn es nicht einmal bei der Nominierung eines Präsidentschaftskandidaten möglich war, baldmöglich zur Klarheit zu kommen. Und dann das Wahlziel: Absolute Mehrheit (an der man schon am 1. März gescheitert ist)? Oder zurück in die große Koalition (mit dem Rucksack an eigenen Gegenargumenten)? Oder eine kleine Koalition mit der FPÖ (warum erst jetzt und nicht schon nach dem 16. Jänner 1970, als die FPÖ das offen anbot)? Und schließlich: was kann man gegen die bisherige Minderheitsregierung Kreisky wirklich sagen? So wie sich die ÖVP-Propaganda anstellt, wird es wohl auf die Dauer nicht gehen:

• Einerseits rechnet man der SPÖ vor, was sie „versprochen“ und nun „gebrochen“ habe. Dies, obwohl nicht einmal ein echtes Vierteljahr Kreisky und seiner Mannschaft zur Arbeit gegeben war.

• Anderseits spekuliert man auf Preissteigerungen und wirtschaftliche Schwierigkeiten, die man der Minderheitsregierung in die Schuhe schiebt. Nur sitzt die ÖVP mit drinnen im Boot — und ihre Wirtschaftsbundgeschäftsleute werden sich auf Dauer bedanken, wenn die Volkspartei auf Umwegen gegen sie Zeter und Mordio schreit.

Alles spricht somit dafür, daß die Volkspartei gut daran tut, sich ihr Konzept gut zu überlegen — und noch einiges in ihrem Schoß auszutragen.

Anderseits muß im Interesse des Staatsganzen wirklich gehorft werden, daß der unbefriedigende Zustand dieser „Regierung auf Abruf* geklärt wird. Denn — abgesehen von der Budgetentscbeidung des Herbstes 1970 — ist ernsthaft zu befürchten, daß das Verteilen von Geschenken und die Lizitation einem neuen Höhepunkt zutreiben. Weil nun zur unstabilen Parlamentssituation der Wunsch nach guten Startlöchern für den Wahlgang hinzutritt.

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