Nicaragua - © Foto: Antonio Ramírez

Nicaraguas Präsident Ortega: Der Revolutionär im Labyrinth

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Vor drei Jahren ließ Nicaraguas Präsident Proteste mit Waffengewalt niederschlagen. Hunderte verloren ihr Leben, viele weitere wurden verhaftet. Auch im Wahljahr 2021 klammert sich Ortega an die Macht.

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Vor drei Jahren ließ Nicaraguas Präsident Proteste mit Waffengewalt niederschlagen. Hunderte verloren ihr Leben, viele weitere wurden verhaftet. Auch im Wahljahr 2021 klammert sich Ortega an die Macht.

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Die Nervosität ist den Mitarbeitern ins Gesicht geschrieben als aus dem Gang mit den Reinigungsprodukten die ersten „Viva Nicaragua Libre!“ Rufe zu hören sind. Rund ein Dutzend Menschen mit blau-weißen Flaggen und Spruchbändern fanden sich in der Filiale der Supermarktkette „La Colonia“ im Südosten Managuas ein. Lautstark fordern sie die Freilassung politischer Gefangener.

Während einige mit Applaus Zustimmung signalisieren, verlassen andere fluchtartig die Filiale, den vollen Einkaufswagen an Ort und Stelle zurücklassend. Zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, oder gar mit den „falschen“ Leuten gesehen zu werden - all das kann in Zeiten wie diesen mit einem unangenehmen Verhör oder gar einer Festnahme enden.

Mini-Proteste dieser Art - in Nicaragua „piquete express“ genannt - finden in der Hauptstadt des mittelamerikanischen Landes regelmäßig statt. Auch heute, am Nachmittag des 18. April 2021 - dem dritten Jahrestag einer zivilen Massenerhebung, die Nicaraguas jüngere Geschichte so nachhaltig prägten wie kein Ereignis seit der sandinistischen Revolution 1979, als die von den USA unterstützte Diktatoren-Dynastie der Somozas ins Exil gejagt wurde. Seit den Massenprotesten, die das Land vor drei Jahren an den Rand eines Bürgerkriegs brachten, ist die Ortega-Regierung bemüht, jede Form des Widerstands im Keim zu ersticken. Auch an diesem Tag dauert es keine zehn Minuten bis erste Polizeieinheiten vor dem Supermarkt eintreffen. Die Menschentraube hat sich längst aufgelöst und Videos der Aktion werden auf Instagram geteilt.

„2018 war eine Zäsur“

Der seit 2007 - und bereits von 1979 bis 1990 - amtierende Ortega will gemeinsam mit seiner Frau, Rosario Murillo, weiter im Amt bleiben. Um sich die vierte Wiederwahl in Serie zu sichern scheint er bereit, bis zum Äußersten zu gehen. „2018 war eine Zäsur. Es herrschte eine Aufbruchsstimmung quer durch alle Schichten der nicaraguanischen Gesellschaft“, erzählt der Besitzer eines IT-Unternehmens in Managua. „Bis zu jenem Moment, als Scharfschützen auf demonstrierende Zivilisten zu schießen begannen“.

„Heute wirst du kriminalisiert, wenn du die Flagge deiner eigenen Nation als Armband trägst. Ein falscher Kommentar auf Facebook und Betriebsprüfer stehen vor der Türe oder dein Haus wird mit Parolen beschmiert“, ergänzt er. „Deklariere ich mich öffentlich als Oppositioneller risikiere ich meine unternehmerische Existenz und damit auch jene meiner Angestellten“. Dieses kleine Land, das sich vor vier Jahrzehnten aus dem Würgegriff einer Diktatur befreite, dessen Revolutionsregierung einst den USA die Stirn bot und sich mit beeindruckenden Alphabetisierungskampagnen, Investitionen in Bildung, Kunst und Kultur die Sympathien der europäischen Linken sicherte, steht erneut vor der Demontage des demokratischen Rechtsstaats. 11.5 Kilometer südlich des Zentrums von Managua fahren am Vormittag des 2. Juni Polizeieinheiten mit einem Haftbefehl vor. In dieser noblen Wohngegend befindet sich der Wohnsitz von Christiana Chamorro, die kurz zuvor ihre Präsidentschaftskandidatur öffentlich machte. Die Justiz bezichtigt sie der Geldwäsche in einer von ihr geführten Stiftung. Gelder aus den USA sollen über die „Fundación Chamorro“ nach Nicaragua geschleust und damit oppositionelle Akteure unterstützt und terroristische Aktionen geplant worden sein, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft.

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