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Nicht jeder ist ein Demokrat

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Die Entfernung von Novotny kann zweifellos noch mit einer Entstalinisierung in Zusammenhang gebracht werden. Die inzwischen erfolgte Entfernung des Chefideologen Hend- rych, die vermutete Umbildung der Regierung Lenart, vor allem die erwartete Auswechslung von Verteidigungsminister General Lomsky, Außenminister David und Innenminister Kudra liegen teilweise schon auf anderen Gebieten.

So wie in anderen Ländern mit Einheitsparteien — denken wir nur an die bisherige Situation in Südtirol — entstehen fast naturgesetzlich innerhalb der einzigen Groß-

Das trifft für Priester, Ordenspria- ster und die meisten Bischöfe zu, die

— ähnlich wie in der nationalsozia listischen Zeit — unter perversesten Begründungen verhaftet, beschuldigt

Slowakei: nicht alles, was abserviert wird, waren Stalinisten; nicht alle — vermutlich auch nicht Ministerpräsident Lenart — haben als Novotny-Anhänger begonnen; aber auch nicht alle „Neuen“ sind Anhänger einer neuen demokratischeren und humanistischeren Richtung, von der heute so viel gesprochen wird. Es geht eher kreuz und quer; persönliche Freundschaften und Feindschaften sind ebenso bedeutsam wie das Generationsproblem, die Zugehörigkeiten zu gewissen Organisationen usw. Der von Novotny seinerzeit geschickt versuchte maßvolle Übergang zur näch-

partei Strömungen, an ein Opposition gemahnende Gruppe oder Gruppen, die schon fast an das Par teigefüge der Demokratie erinnern So ist es auch heute in der Tschecho-

sten Generation (Ministerpräsident Lenart ist mit einem Altersunterschied von mehr als 20 Jahren praktisch schon die nächste, die zweite kommunistische Generation) ist@@@@

@@@@zweifellos wegen zu kleiner Schritte Lenharts und wegen zu großen Bremsen von seiten Novotnys und seiner Leute im ZK mißglückt. Die Wirtschaftsreform lief (nicht ganz unverständlich, wenn wir die gegenwärtige Entwicklung im Westen betrachten!) mühsam an; gegen Schriftsteller, Künstler und Journalisten waren die Fronten zuletzt wieder verhärtet. Die Unsicherheit und Ängstlichkeit wurden aber erst recht Novotny zum Verhängnis. Sie provozierten direkt die Reaktion noch stärkerer Oppositionskräfte, die jetzt verständlicherweise nur aus dem ZK selbst kommen und nur hier, auf diesem Hauptkriegsschau- plaitz, erfolgreich sein konnten.

Tschechen und Slowaken

Wichtiger als eine Übersicht über die Bewegung der letzten Wochen ist die Frage, was weiter geschehen soll und wird. Die Phasenverschiebung der verschiedenen Entistalinisie- rungsbewegungen in den osteuropäischen Ländern, vor allem in Polen, Rumänien und Ungarn, macht es nicht allzu schwer, die künftige Entwicklung in der Tschechoslowakei votrauszusagen.

Daß die Tendenz nach pinem humanitäreren, demokratischeren Regime stark verbreitet ist —• auch innerhalb kommunistischer Führungskräfte —, stehlt außer Zweifel. Trotz allem sind die möglichen Grenzen einer solchen Entwicklung relativ eng und vermutlich durch die gegenwärtige Entwicklung in der Tschechoslowakei schon überschritten, so daß Restriktionsmaßnahmen auf der einen Seite sicher zu erwarten sind (vor allem auf dem Gebiet der Massenkommunikationsmittel), daß weitere Liberalisierungsmaßnahmen auf politischem Gebiet nicht allzuviel Chancen haben, etwa die Aktivierung der am Papier noch bestehenden nichtkommunistischen Parteien. Wenn bei den Maiwahlen oder bei den nächsten Parlamentswahlen die Möglichkeit einer Selektion innerhalb mehrerer (natürlich kommunistischer) Kandidaten gegeben ist, dürfte vorerst ein Maximum erreicht sein. Man hat dann allerdings nur etwas gestattet, was in Polen seit langem schon selbstverständlich ist. Jeder weitere Schritt einer Demokratisierung aber ist für die KP lebensgefährlich, und das wissen haargenau auch jene führenden Männer innerhalb der KP, die heute gern von Demokratisierung und Humanisierung sprechen.

Weitere Schritte einer Liberalisierung kann und wird man auf wirtschaftlichem, sicher auch auf kulturellem Gebiet machen. Hier ist die praktische und propagandistische Wirkung unvergleichlich stärker als eine politische Nebenwirkung. Das Verhältnis von Tschechen zu Slowaken wird sicherlich auch noch manche Korrekturen erfahren, ohne daß gefährliche Konsequenzen etwa in Richtung neuer Selbständigkeitsbestrebungen der Slowaken zu fürchten wären. Je stärker die Stellung der Slowaken ist (siehe auch den Beitrag „Slowaken — kein Anhängsel“ in der „Furche“ vom

9. März 1968), um so besser das Gleichgewicht innerhalb der Tschechoslowakei, und je mehr die Slowaken in Prag zu reden haben (und im Augenblick haben sie sehr viel zu reden), um so weniger sind sie an irgendeinem Separatismus . interessiert.

Nach alter Tradition wird innerhalb verschiedener Liberalisierungstendenzen die Kirche wieder das Schlußlicht bilden. Von seiten der Kirche werden Initiativen von Jahr zu Jahr schwieriger, da die Blutverluste, die die Kirche seit 40, vor allem seit 20 Jahren erlitt, fast lebensgefährlich sind. Hoffentlich wird aber auch von höchster kirchlicher Stelle erkannt, daß das wichtigste Problem nicht unbedingt die Ernennung von Bischöfen ist, sondern eines der primitivsten Rechte, die man der Kirche zubilligen müßte: die völlige Öffnung ihrer Priesterseminare für alle, die ein Interesse haben, Seelsorger zu werden, und damit im Zusammenhang die Ausweitung der jetzt nur noch vorhandenen zwei Seminare für alle tschechischen und slowakischen Bistümer.

Ein Blick nach Ungarn, Rumänien und Polen zeigt, daß noch manche Chancen einer Liberalisierung auch für die Tschechoslowakei gegeben sind, daß aber auch die Grenzen dieser Maßnahmen bald und deutlich sichtbar sein werden.

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