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„Nicht käuflich“

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FURCHE: Welche Gemeinsamkeiten sehen sie zwischen einer Neutralität nach finnischem Muster und der österreichischen, der schwedischen und der Schweizer Neutralität? Wo liegen die fundamentalen Unterschiede? LESKINEN: Wenn man über Neutralität diskutiert, kann man wohl aus guten Gründen sagen, daß es von der Neutralität ebensoviel Arten gibt, wie Neutralitätspolitik betreibende Staaten. Neutralität kann man also nicht für einen absoluten Begriff halten. Für die Schweizer Neutralität sind die alten Traditionen und die allseitige Enthaltung von Stellungnahmen in internationalen Krisensituationen kennzeichnend. Die Entscheidungen der schwedischen Neutralitätspolitik sind diktiert durch strikte Bünd-nislosigkeit mit irgendeiner Machtgruppierung. Finnland ist seinerseits mit der von ihm betriebenen Außenpolitik und besonders mit seiner aktiven Tätigkeit in den verschiedenen internationalen Organisationen bestrebt, die Festigkeit, die Nützlichkeit und die internationale Anwendbarkeit seiner Neutralität zu zeigen.

FURCHE: Welche Unterschiede bestehen zwischen Österreichs Anspruch, die aus seiner Neutralität hervorgehenden Verpflichtungen selbst abzugrenzen, und der Interpretation seiner eigenen Neutralität durch Finnland? LESKINEN: Finnland interpretiert seine Neutralität selbst und die sich daran anschließenden Fragen vollständig nach seinen eigenen Gesichtspunkten und nach seiner Außenpolitik. In den sich ständig verändernden internationalen Verhältnissen kann eine solche Interpretation nicht in, irgendeinem luftleeren Raum erfolgen, sondern man muß stets danach streben, auch die internationalen politischen Geschehnisse in Betracht zu ziehen. FURCHE: Warum wurde der bis 1975 geltende Vertrag zwischen

Finnland und der Sowjetunion aus dem Jahre 1948 schon jetzt verlängert?

LESKINEN: In den internationalen Beziehungen erleben wir gegenwärtig eine große Übergangszeit, „eine Zeit des Eisgangs nach dem Kalten Krieg“, wie Staatspräsident Kekkonen kürzlich festgestellt hat. Eine solche Übergangszeit kann leicht allerlei Spekulationen über die Einstellung der verschiedenen Länder zu der sich verändernden internationalen Lage hervorbringen. Finnland will sich außerhalb aller solchen Mutmaßungen halten, um sein Bestreben darzulegen, seine eigene stabilisierte Neutralitätsstellung unverändert beizubehalten. Die Verlängerung des Freundschafts-, Zusammenarbeits- und Beistandspaktes um 20 Jahre ist ein klarer Beweis für diesen unseren Willen.

FURCHE: Wie will Finnland seine Beziehungen zur EFTA regeln, wie zur EWG? LESKINEN: Entscheidend in dieser Hinsicht werden die Resultate sein, die bei den Erweiterungsberatungen der EWG erzielt werden. Als von Seiten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft angefragt wurde, ob Finnland bereit wäre, im Herbst die Beratungen auf Ministerebene zur

Regelung der Handelsbeziehungen mit der EWG zu beginnen, antwortete Finnland auf die Anfrage zustimmend. Finnland wird in diesen kommenden Beratungen jedoch nicht von den von seiner Neutralitätspolitik aufgestellten Forderungen abrücken. Die Erhaltung unserer Konkurrenzfähigkeit auf allen Märkten auch bei einer Veränderung der Marktlage ist für uns eine wirtschaftliche Notwendigkeit, aber unsere Neutralität ist unter keinen Umständen käuflich.

FURCHE: Wo steht Finnland, wenn es zu einer politischen Integration Europas kommen sollte? LESKINEN: Finnland unterstützt die Zusammenarbeit in Europa, wenn es sie zwischen allen Staaten Europas gibt, und wenn .sie von einer die Gegensätze ausgleichenden Art ist. Danach haben wir bewußt gestrebt, zum Beispiel bei unseren Bemühungen, die Europäische Sicherheitskonferenz zu verwirklichen. Wir können aber nicht bei einer solchen politischen Zusammenarbeit dabei sein, die nicht im Einklang mit der von uns betriebenen Neutralitätspolitik steht, beziehungsweise sie möglicherweise in Frage stellt.

FURCHE: Welche Erfahrungen hat Finnland als Mitglied des Sicherheitsrates gemacht, welche Vorteile hat die Mitgliedschaft im Sicherheitsrat für ein neutrales Land, welche Konflikte können dadurch entstehen? LESKINEN: Der Sicherheitsrat ist nach Auffassung der finnischen Regierung ein Zusammenarbeitsorgan, kein Kampfplatz der Großmächte. Vom Bo<Jen dieser Auffassung aus ist man in Finnland der Meinung, daß ein neutrales Land wie unseres selbstverständlich daran interessiert ist, auch im Sicherheitsrat diese Tendenzen zu verstärken, die sich auf die Aufrechterhaltung des internationalen Friedens und auf die friedliche Lösung der Konflikte richten. Es ist uns gelungen, viele unserer Meinung nach besonders gute Beschlüsse durchzusetzen, von denen als Beispiel das auf unsere Initiative hin regelmäßig stattfindende Treffen der Außenminister der Mitgliedsländer des Sicherheitsrates erwähnt sein möge.

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