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Noch keine Profilneurose

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Die Furcht vor einer „Profilneurose“, die bei der FDP in den letzten Jahren immer chronischer geworden war, ist bei der CDU/CSU noch keineswegs zu spüren, wohl aber eine andere Überlegung. Das Einlassen auf die Große Koalition bedeutete von vornherein, daß nun der entscheidende Wettlauf der zwei großen Parteien um die Stimme des Wählers im Jahre 1969 begonnen hatte. Die CDU/CSU ist nicht mehr sicher, daß sie dann das Rennen gewinnen wird. Auf jeden Fall muß sie sich erheblich anstrengen, um das Ziel zu erreichen.

Dabei ist von Bedeutung, daß die Große Koalition im Fußvolk der CDU-Wähler noch immer einer gewissen Zurückhaltung begegnet, wie sie übrigens hie und da auch bei der SPD und den Gewerkschaften noch anzutreffen ist. Die Neigung, die Große Koalition nach 1969 fortzusetzen, ist infolgedessen in CDU-Kreisen nicht überwältigend. Einige Gruppen mögen dafür sein, andere wollen sie hingegen mit großer Konsequenz im Jahre 1969 beenden. Das letzte Wort ist natürlich noch nicht gesprochen. Das hängt auch von der Wahlrechtsreform ab, über die lebhaft diskutiert wird und die zum Mehrheitswahlrecht und damit zum Zweiparteiensystem überleiten soll.

Diese Reform — mit einer Vermehrung der Zahl der Wahlkreise — soll noch vor 1969 mit der notwendigen Gesetzesänderung unter Dach und Fach gebracht werden. Sie soll jedoch erst bei den Wahlen im Jahre 1974 in Kraft treten. 1969 soll nach einem System gewählt werden, das dem Mehrheitswahlsystem näherkommt als das gegenwärtige. Wenn diese Pläne verwirklicht werden, wäre die Große Koalition tatsächlich eine reine Übergangslösung, eine politische Ehe auf Zeit, deren Auflösung schon jahrelang vorherzusehen wäre. Wie sich das auf die Regierungsarbeit auswirken würde, bliebe abzuwarten.

Am Ende würden sich die heutigen Partner wieder in voller Kriegsbemalung gegenüberstehen und ihre Kriegsbeile schwingen. Bliebe aber die Große Koalition, dann würde man angesichts der Kleinheit der FDP in die elysäischen Gefilde des Proporzes eintreten. Bei der CDU/CSU sind die Kreise stark, die den freien Wettbewerb der Kräfte auch in der Politik vorziehen. Überdies herrscht noch weithin die Meinung vor, die Freien Demokraten seien ein politisches Element, das aus der deutschen Politik nicht verbannt werden sollte. Dieser Meinung hat auch Altbundeskanzler Adenauer wiederum deutlich Ausdruck gegeben.

Von der CDU verlangt die Durchsetzung einer Wahlrechtsreform, daß die Partei stark genug sein muß, um sodann das Duell mit der SPD zu bestehen. Mancher Christdemokrat glaubt, daß dies 1969 noch eher möglich sein werde als erst 1974. Im allgemeinen verlassen sich aber viele darauf, daß es, ob 1969 oder 1974, eine gute Gewähr für den Erfolg gebe: Kiesinger, dessen Popularität beginnt, selbst das Ansehen zu übersteigen, dessen sich Adenauer auf den Höhepunkten seiner Kanzlerschaft erfreuen durfte. Aber die Hoffnung, daß ein Mann — wie einst Adenauer und Erhard noch 1965 — eine Bundestagswahl gewinnen könnte, erscheint skeptischen Beobachtern als eitel, zumindest von heute her gesehen. In der Bevölkerung wird mehr als früher danach gefragt, was die Partei ist, was sie will, was sie tut. Ihr haftet noch immer etwas vom Odium der Zer-strdttenheit und des Treibenlassens an, das sich unter Erhards Kanzlerschaft ausgebreitet hat.

Die CDU muß daher für ihr Erscheinungsbild manches tun. Sie muß aber auch ihr Selbstverständ-nis wieder in Ordnung bringen. Die Vorstellung, die sie sich selbst in den vierziger und ersten fünfziger Jahren von sich gemacht hatte, ist fraglos überholungsbedürftig, und zwar ungefähr auf allen Gebieten. Wie stellt sich ihr christliches Gedankengut zur politischen Praxis unserer Tage? Will sie es behaupten? Will sie gegen den überall aufkommenden Trend, der die nationalen deutschen Interessen stärker zu betonen wünscht, angehen? Will sie ihm den Wind aus den Segeln nehmen? Sie kann dabei auch leicht in einen nicht ungefährlichen Sag geraten. Das sind nur einige der Fragen die einer Antwort bedürfen.

Deshalb der Plan des geschäftsführenden Präsidialmitgliedes Bundesminister Dr. Heck, ein neues Aktionsprogramm vorzulegen, an dem eine Anzahl von Ausschüssen zu arbeiten begonnen hat. Die Erstellung dieses Programms ist nicht leicht. Der Spielraum ist nicht groß. Die Gegensätze zur SPD sind infolge der Wandlungen, die sich mehr oder weniger lautlos in den beiden Parteien vollzogen haben, immer mehr abgeschliffen worden.

Hierzu kommt, daß man bei der CDU in den letzten Jahren — auch in der Regierung — zu sehr dem Tag und vom Tag gelebt und sich angepaßt hat. Die große Linie, der entschlossene, auf klare Ziele ausgerichtete Wille verblaßten. Die Koordination war oft mangelhaft. Auf der jüngsten Tagung des Wirtschaftsrates der Union wurde beispielsweise den Journalisten in einem Atemzug erklärt, die Couponsteuer müsse abgeschafft werden, nein, sie sei dringend notwendig. Die Beispiele ließen sich vermehren.

Wie weit sich dies ändern läßt, wird viel von dem neuen Parteivorsitzenden und von dem Mann abhängen, der ihm als Generalsekretär an die Seite treten soll. Heute spricht alles dafür, daß dem Bundeskanzler auch der Parteivorsitz zufallen wird. Kiesinger hatte sich zunächst geschickt im Hintergrund gehalten. Er hatte abgewartet, bis eine gewisse Vorklärung stattgefunden hatte. Dabei wurde immer deutlicher, daß der zeitweilig hohe Favorit Dufhues in den letzten Monaten seine Chancen mehr und mehr vertan hatte, vorausgesetzt, er hatte sie überhaupt ernsthaft gesucht. So trieb der Strom der Meinungen schließlich zwangsläufig auf Kiesinger zu.

Wie als Regierungschef, so hat Kiesinger in der Parteiarbeit mehrjährige Erfahrungen. Er gehörte anfangs der fünfziger Jahre dem geschäftsführenden Vorstand an, der jede Woche zusammentrat. Dennoch weiß jedermann, daß ein Bundeskanzler sich der Parteiarbeit nicht in dem Maße widmen kann, das notwendig erscheint. So war es auch zu Adenauers Zeiten. Adenauer beherrschte die Partei kraft seiner Autorität. Im übrigen konnte er sich auf den damaligen Bundesgeschäftsführer Heck verlassen.

Trotz aller Bemühungen blieb die CDU indessen eine Wählerpartei, viel geringer an Mitigliederzahl als die SPD, aber bei den Wahlen jedesmal zum Teil sogar mit Längen vorn.

Eben darum kam der Gedanke auf, einen Generalsekretär mit allen Vollmachten einzusetzen. Diese Überlegung hatte Adenauer schon um die Wende der vierziger Jahre angestellt, wobei er an — Kiesinger als Kandidaten dachte.

Aber wer dieses Amt übernimmt, der muß auch wissen, daß bei der CDU die Verhältnisse anders liegen als bei der SPD. Bei der SPD wird der Funktionär der Partei dem Politiker gleichgestellt, im Umgang und bei den Entscheidungen. Bei der CDU ist dies nur bedingt der Fall. Ein Generalsekretär würde wahrscheinlich ständig darunter irgendwie zu leiden haben, so kraftvoll seine Persönlichkeit sein würde. Die CDU müßte sich an eine solche Institution erst gewöhnen.

Abgesehen davon, muß die CDU noch das Problem ihres föderalistischen Aufbaues lösen. Die Herzöge draußen im Lande mit ihren Verbänden legen hie und da auf ihr Eigenleben so betonten Wert, daß den CDU-Männern in Bonn, die zentralisierende Arbeit recht sauer gemacht wird. Die Appelle der CDU-Kanzler an die Solidarität der CDU-Ministerpräsidenten der Länder haben manchesmal gewirkt, alber nicht immer.

Um so mehr muß der Generalsekretär eine Stellung inne haben, die ihn politisch und materiell den Bundesministem auf jeden Fall gleichsetzt. Die materielle Seite ist dabei im Hinblick auf das erste Problem der Parteienfinanzierung in der Bundesrepublik eine ernste Sache, erst recht die Frage der sozialen Sicherheit für einen Mann, der sich auf einen solchen Posten begibt.

Schließlich melden sich auch hie und da Stimmen, die von einer Personalunion von Bundeskanzler und Parteivorsitzenden abraten. Diese Stimmen hat es gegeben, solange die CDU besteht. Sie haben manches für und manches gegen sich. Ein Parteivorsitzender, der nicht Bundeskanzler ist, steht immeir in dier Versuchung, sich als Widerspiel des Regierungschefs zu empfinden und zu Versuchern, auf die Regierungspalitik einzuwirken.

Ein Kanzler, der selbst Parteivorsitzender ist, entgeht diesem Widerspiel. Er kann die Partei leichter nach seinem politischen Willen leiten. Er kann seine Autorität als Parteichef in die Waagschale werfen, wo die Autorität des Regierungschefs nicht ausreicht. Adenauer hat davon zuweilen Gebrauch gemacht. Kiesinger würde sicher in der Lage sein, dies überlegen zu tun.

Auch darf angenommen werden, daß Kiesiniger mit seinem ausgeprägten Gespür für politische Entwicklungen versuchen würde, die CDU wieder schärfer zu profilieren, als dies in den letzten Jahren der Fall war. Überlegungen dieser Art dürften den Ausschlag zugunsten Kiesingers geben, wenn er zum neuen Parteivorsitzenden der CDU gewählt wird.

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