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Nochmals: Katholiken und Parteipolitik

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„Die Furche” veröffentlicht in kordialer Weise nachstehend im vollen Wortlaut eine Zuschrift des Herrn Bundesministers Dr. Fritz Bock, die an die Ausführungen des Präsidenten des Verbandes katholischer Publizisten Oesterreichs, Dr. Karl Maria Stepan, zum Thema „Katholik und Parteipolitik” („Die Furche” Nr. 7 und Nr. 8, 1959) anknüpfen. Wir glauben, daß wir diesen Beitrag unseren Lesern zur eigenen Ur- teilsbildung nicht vorenthalten sollen, sowohl wegen der Persönlichkeit des Verfassers wie ob des hier besonders scharf akzentuierten parteipolitischen Standortes.

Die Redaktion

Eines der Wesensmerkmale der europäischen politischen Parteien ist ihre mehr oder minder starke Bindung an weltanschauliche Grundsätze. Während das angloamerikanische Parteisystem, bedingt durch seine historische Entwicklung, kaum weltanschauliche Gegensätze kennt, wurzeln die europäischen Parteien vielfach direkt in einer weltanschaulichen Basis und haben zum Teil starre weltanschauliche Positionen bezogen. Die christlich-demokratischen Parteien haben ihr Bekenntnis zum Christentum — wie schon ihr Name sagt — in ihr Programm aufgenommen, während die sozialistisch-marxistischen Parteien seit Jahrzehnten eine programmatisch areligiöse und antireligiöse Haltung einnehmen. Es ist nicht uninteressant, in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß fast ohne Ausnahme alle jene europäischen Parteien, die zu keiner eindeutigen weltanschaulichen Stellungnahme gekommen sind — wie zum Beispiel die liberalen Parteien — klein und unbedeutend geblieben sind.

In Oesterreich ist diese weltanschauliche Fundierung besonders ausgeprägt, da die Oester- reichische Volkspartei als Nachfolgerin der Christlichsozialen Partei sich ausdrücklich zur christlichen Weltanschauung bekennt, während die ehemalige Sozialdemokratische Partei und die heutige Sozialistische Partei ebenso ausdrücklich jede weltanschauliche Bindung ablehnen, lieber die weltanschauliche, starre Zweiteilung der beiden großen österreichischen Parteien gab es bis 193 8 nicht den geringsten Zweifel. Mit den handfesten Mitteln der Störung katholischer Gottesdienste, der öffentlichen Schmähung von Priestern und der aktiven Förderung des „Freidenkerbundes” durch die Sozialdemokratische Partei wurde dem Kulturkampf in Oesterreich ein in anderen Ländern in dieser Heftigkeit nicht bekanntes exzessives äußeres Bild gegeben.

Heute, da diese äußeren Merkmale des Kulturkampfes weggefallen sind, taucht nun die Frage auf, ob diese äußere Wandlung auf eine tatsächliche innere Bereitschaft der sozialistischen Parteiführer, den Kulturkampf einzustellen, zurückgeführt werden kann. Die Frage geht weit über den Bereich einer politischen Tagesdiskussion hinaus und ist geeignet, ein sehr verwirrtes Bild tatsächlicher Entwicklungen zu geben. Will man also die Frage — um sie konkret zu wiederholen — prüfen, ob die heutige SPOe ihre bisherige Kulturkampfeinstellung tatsächlich abgeschrieben hat oder ob diese, von sozialistischen Parteiführern eifrig aufgestellte Behauptung ins Leere geht und eine reine Wahlzweckbestimmung ist, so muß man sich an die Realitäten halten und alles vermeiden, was reine Spekulation ist.

Zunächst darf man die Tatsache nicht übersehen, daß die staatsrechtliche Situation der katholischen Kirche in Oesterreich heute wesentlich schlechter ist als vor 1938.

Während vor 1938 ein Eherecht in Oesterreich galt, das den katholischen Eherechtsvorschriften im wesentlichen entsprach, gilt heute in Oesterreich — auf Grund der nazistischen Gesetzgebung zwischen 1938 und 1945 — nur das Zivileherecht, und Geistliche, die durch Vornahme einer vorzeitigen Trauung dagegen verstoßen, werden vor Gericht gestellt und verurteilt. Während früher die katholischen Privatschulen zu einem wesentlichen Teil vom Staat erhalten wurden, sind sie heute allein auf die Opferleistung der katholischen Elternschaft angewiesen. Während alle diese Dinge in einem vor 1938 rechtsgültig abgeschlossenen Konkordat verankert waren, ist dieses Konkordat heute gebrochen und noch kein neues abgeschlossen!

Das also ist die Situation der Kirche und damit der Katholiken in Oesterreich von heute. Seit 1945 aber bemüht sich die OeVP, das Recht der katholischen Kirche wiederherzustel- len. Alle diese Bemühungen aber scheiterten bis :,ur Stunde an dem starren Nein der SPOe. Keines der genannten Rechtsgebiete ist bis heute geklärt, denn die Sozialistische Partei hat bis heute weder zu einer restitutio in integrum noch auch einer allenfalls zu vereinbarenden, geringeren Lösung ihre Zustimmung gegeben.

Wo zeigt sich also eine Wandlung des Sozialismus gegenüber der Kirche und den Katholiken? Nirgends! Nirgends noch waren die Sozialisten bereit, ihre Beteuerungen gegenüber der Kirche und den Katholiken auch nur in geringster Form in die Tat, in die wirkliche Tat, umzusetzen. Während also vor 1938, da die österreichische Sozialdemokratie gar kein Hehl aus ihrer Kirchenfeindlichkeit gemacht hat, die Stellung der Kirche wesentlich besser war als heute, während vor 1938 die Katholiken ihren grundlegenden Gewissenspflichten bezüglich Ehe und Schule nachkommen konnten, ist heute nichts davon Wirklichkeit geworden!

Damit ist wohl eindeutig bewiesen, daß der österreichische Sozialismus von heute im Tatsächlichen ebenso religions- und kirchenfeindlich ist wie vor 25 Jahren. Die Unterlassung äußerer brachialer Kulturkampfformen allein ist und kann kein Beweis für das Gegenteil sein. Um so mehr muß man sich wundern, daß diese Tatsache nicht überall klar erkannt wird. Man muß sich ernstlich fragen, wie es möglich ist, daß sich bestimmte Kreise, denen man auf Grund ihrer Bildung und ihrer Stellung eigentlich eine vermehrte intellektuelle Einsicht in die gegebenen Tatsachen Zutrauen sollte, von der Veränderung rein äußerlicher Formen so täuschen lassen. Nicht deutlich genug kann man es sagent Nicht darauf kommt es an, was sozialistische Parteiführer erklären, sondern darauf, welche Stellung die Sozialistische Partei im Parlament zu den Kulturfragen einnimmt! So lange die Sozialisten in Oesterreich den Zwang zur Ziviltrauung nicht abschaffen lassen, so lange ist und bleibt der österreichische Sozialismus religions- und kirchenfeindlich! So lange die Sozialisten verhindern, daß der Staat seiner Erhaltungspflicht gegenüber den katholischen Privatschulen nachkommt, ist und bleibt der österreichische Sozialismus ein Feind der Katholiken! So lange die Sozialisten den Abschluß eines auch für die Katholiken tragbaren Konkordates verhindern, ist und bleibt der österreichische Sozialismus ein Gegner der Kirche!

Aber das ist nicht alles; es kommt ein zweites, schwerwiegendes Moment dazu. Kann man wirklich den Führern des österreichischen Sozialismus, die zu einem großen Teil der ehemaligen Freidenkerbewegung angehört haben, einen inneren Gesinnungswandel Zutrauen? Glaubt man das wirklich? Man möge doch einmal das Verhalten der sozialistischen Führer in diesen Fragen Revue passieren lassen.

Die österreichischen Sozialistenführer machen nämlich gar kein Hehl daraus, daß sie persönlich keine aktiven Christen sind. Eine Ausnahme hie und da bestätigt ja auch hier die Regel. Glaubt wirklich jemand, daß es sich bei den sozialistischen Führern um einen Gesinnungswandel handeln kann, wo die meisten von ihnen keine Ahnung mehr haben, was in der Bibel steht, und die Bibel auch gar nicht lesen wollen? Das ist im übrigen — hier spreche ich als Politiker — gar kein persönlicher Vorwurf, den ich damit erheben will. Es ist schließlich jedermanns eigene Sache, nach seiner Fasson selig zu werden, nur soll man mir nicht ein- reden, daß Menschen, die keine Christen sind und keine sein wollen, Christen werden könnten!

Was mag also der Grund der neuen Tonart gegenüber der Kirche sein? Doch nur der Wählerfang! Es kann doch einem Sozialisten gar nicht um die Bekehrung der Seelen gehen, wenn er für sich selbst diese Seelenbekehrung ablehnt. Es kann ihm nur um die Größe und Stärke seiner Partei gehen. Auch das ist kein Vorwurf, den ich als Politiker dem parteipolitischem Gegner machen könnte. Es ist das gute Recht jeder politischen Partei, mit den ihr angemessen erscheinenden Mitteln auf Wählerfang zu gehen. Nur dürfen die anderen nicht so dumm sein, den Wählerfang mit echter Missionierung zu verwechseln. Und darum geht es, diesen Irrtum zu verhüten, der auch unabsehbare Folgen haben müßte, wenn man ihn mit dem Pauluswort „in dubiis libertas” verbrämen möchte. Dem Gutwilligen jedes Vertrauen, aber der gute Wille muß durch die Tat bewiesen sein!

Die Ergebenheitsadressen, die sozialistische Führer heute in verschiedenen Palais abgeben, sind noch lange kein Beweis eines echten Gesinnungswandels. Zustimmung zu deu von den Katholiken geforderten Kulturgesetzen ist der einzig mögliche Beweis; so lange er nicht erbracht ist, bleibt die Sozialistische Partei Oesterreichs ein harter Gegner der österreichischen Katholiken!

„In dubiis libertas” — ja, wenn die SPOe der von uns geforderten Ehegesetzgebung žustimmt!

„In dubiis libertas” — ja, wenn die SPOe der

Subventionierung der katholischen und evangelischen Privatschulen zustimmt!

Und noch einmal „in dubiis libertas” — ja, wenn die SPOe zu einem ordentlichen Konkordat bereit ist!

In allen diesen Punkten hat es bisher nicht die geringste Konzession von Seite der Sozialisten gegeben. Die österreichischen Sozialisten sind dieselben Kulturkämpfer geblieben, die sie immer waren. Man hat nur den Holzprügel, mit dem man ehedem auf die Teilnehmer der Fronleichnamsprozession einschlug, mit den Glacehandschuhen vertauscht, die man sich heute anzieht, wenn man bei einem Kirchenfürsten seine Aufwartung macht oder eine Wahlversammlungsrede hält.

So haben wir Katholiken die Frage, ob der Sozialismus und seine Partei für uns akzeptabel sind, gar nicht zu stellen. Diese Frage kann überhaupt erst dann gestellt werden, bis den sozialistischen Wahlreden die positiven Abstimmungsergebnisse im Parlament gefolgt sind. Damit ist aber auch das Problem Katholiken und Parteipolitik eindeutig Umrissen. Die Kirche verlangt von den Katholiken positive Mitarbeit im öffentlichen Leben. Sie verlangt damit, daß die Katholiken ihr Wahlrecht als Wahlpflicht auffassen. Zum Bestand der Demokratie gehören die politischen Parteien. Ohne sie kann es keine Demokratie geben. Der Katholik aber kann und - darfi keine Partei wählen, die von Ungläubigen geführt, einen ständigen Kampf gegen die weltanschaulichen Belange der Katholiken führt. Der Katholik kann eine solche Partei auch dann nicht wählen, wenn äußere Höflichkeitsformen den inneren wahren, antireligiösen Kern zu verdecken suchen. Hier gibt es keine „libertas in dubiis” mehr!

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