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Nordirland, Polen, Indien
Der Glaube allein garantiert noch kein gedeihliches Zusammenleben der Nationen: Es bedarf auch der Macht und pojitischer Techniken
Der Glaube allein garantiert noch kein gedeihliches Zusammenleben der Nationen: Es bedarf auch der Macht und pojitischer Techniken
Alle christlichen Kirchen sind einem Liebesgebot verpflichtet, das eine der Wurzeln der Menschenrechte ist. Und zu diesen zählt, daß alle Menschen im unveräußerlichen Besitz bestimmter Rechte sind - und zwar unabhängig davon, ob es sich um Kroaten und Serben, um „Schwarze“ und „Weiße“, oder um Männer und Frauen handelt.
Mit der „Frauenfrage“, die eigentlich eine Männerfrage ist, haben die katholische Kirche und die orthodoxen Kirchen strukturell erkennbare Probleme, die die meisten protestantischen Kirchen überwunden haben. Die diversen nationalen Fragen dürften, müßten hingegen gerade der katholischen Kirche - die ja ihrem Wesen nach universalistisch (internationalistisch) angelegt ist - keine Schwierigkeiten bereiten.
Das ist die Theorie. Die Praxis sieht - wie immer - natürlich anders aus. Die politische Wirklichkeit von gestern, heute und gewiß auch morgen zeigt, daß nationale und religiöse Identitäten einander verstärken, aufschaukeln und so - im Zusammenspiel - zur Verschärfung politischer Spannungen beitragen.
Beispiele gibt es mehr als genug: Der Krieg in und um Berg Karabacn ist natürlich nicht nur einer zwischen Aseris und Armeniern, sondern auch einer zwischen Moslems und (orthodoxen) Christen. Die na tionalen Identitäten in den früheren jugoslawischen Republiken Serbien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina werden entweder offiziell (Moslems) oder faktisch (Serben und Kroaten) nach konfessionellen Zugehörigkeiten definiert. Kroate ist, wer katholisch, Serbe, wer orthodox ist. Das muß nicht eine aktive Zugehörigkeit bedeuten - es genügt eina Zuordnung, deren Hintergrund zumeist die Tradition ist.
Eben deshalb haben die postjugoslawischen Kriege einen konfessionellen Charakter. Und eben deshalb ist zum Beispiel der Kleinkrieg in Nordirland - unbeschadet seines sozialen Charakters - ein Religionskrieg. Denn auf der einen Seite stehen Katholiken - und auf der anderen Seite Protestanten.
Das Beispiel Irland demonstriert eine der Ursachen für die faktische Verschmelzung religiöser und nationaler Identitäten: Eine vom übermächtigen Britannien abgegrenzte irische Identität konnte nur überdauern, indem sie sich auch gegen die britische Nationalkirche abgrenzte; indem sie ihre Zugehörigkeit zur katholischen Kirche zu ihrem - faktischen - Definitionsmerkmal machte. Die auch gewaltsame Abschütte- lung britischer Hegemonie war und ist daher von diesen doppelten Identitäten begleitet.
NICHT NUR MORAL GEFORDERT
Polen ist ein ähnliches Beispiel. Die bedrohlichen Hegemonialmächte — Preußen-Deutschland und Rußland - wurden auch als protestantische und als orthodoxe Mächte gesehen. Um die eigene nationale Identität zu wahren, wurde die auch das heutige Polen so wesentlich bestimmende Verbindung zwischen katholischer Kirche und nationalem Bewußtsein begründet.
Diese* Verschmelzung der Identitäten ist - selbstverständlich — kein spezifisch christliches Problem. Die Konflikte Südasiens bestätigen dies. Pakistan ist das Produkt einer Nationsgründung aus religiöser Identität. Und die Widerstände gegen das Selbstverständnis Indiens als säkulare Demokratie kommen aus einer Tradition, die indisch und hindui- stisch gleichsetzen will.
Indien liefert aber auch ein insgesamt erfolgreiches Beispiel für den Umgang mit der Explosivität, die aus der Gleichsetzung nationaler und religiöser Identitäten entstehen kann: das Beharren auf dem pluralistisch-säkularen Staatsverständnis und ein stiller religiöser Proporz, der allen Religionen politische Beteili gungschancen signalisiert. Die Relativierung explosiver religiöser Gegensätze ist das Erfolgsrezept der Kongreß-Partei.
Das europäische Beispiel für die Umsetzung dieses Konzeptes liefert die Schweiz. Die permanente Proporzregierung der Eidgenossenschaft ist ja nur ein der Oberfläche eine zwischen (vier) Parteien; sie ist gleichzeitig auch eine zwischen den Sprachgruppen und den beiden Konfessionen - Katholiken und Protestanten. Deren Konflikte, die im 19. Jahrhundert für einen Bürgerkrieg verantwortlich waren, wurden durch das Modell einer sprachliche und religiöse Gegensätze verklammernden Garantie wechselseitiger Machtbeteiligung kanalisiert.
Diese Beispiele zeigen, daß es nicht nur auf die Moral, sondern auch auf die Macht ankommt; nicht nur auf die Appelle, die ja für kroatische und eidgenössische Katholiken wie auch für nordirische und Schweizer Protestanten gleichermaßen gelten müßten, sondern ebenso auf die Entwicklung politischer Techniken.
Das setzt aber eine bestimmte politische Kultur voraus: die der Toleranz und des (politischen) Relativismus. Eine solche Kultur ist jedem Fundamentalismus antithetisch gegenübergestellt. Daher gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen fundamentalistischen und nationalistischen Tendenzen - in Indien ebenso wie im Nahen Osten wie auch im „christlichen“ Europa.
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