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„Nordische“ statt „Nato“?

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Eine ganze Reihe von Meldungen berichtete in der letzten Zeit von Bestrebungen, die nordischen Staaten nach Ablauf des NATO-Vertra-ges im Jahre 1969 zu einer Nordischen Verteidigungsunion zusammenzuschließen. Zwar wurde die Richtigkeit dieser Meldungen sofort entweder von Stockholm oder von Oslo dementiert, doch sie entsprachen allzusehr den im Norden herrschenden Stimmungen und den Diskussionen in internen Parteikreisen, als daß man sie mit einer Handbewegung abtun könnte. Eine kritische Betrachtung läßt im Gegenteil klar erkennen, daß sich hier eine Entwicklung anbahnt, die zu völlig anderen Ländergruppierungen führen kann!

Es ist natürlich wahr, daß es noch nicht zu hochoffiziellen Verhandlungen zwischen den Regierungen gekommen ist, wohl aber kam es im Sommer zu Aussprachen der Verteidigungsminister aller berührten skandinavischen Länder über „unsere Länder gemeinsam berührende Verteidigungsfragen“, und man kann sich vorstellen, daß dazu auch die Bildung einer Nordischen Verteidigungsunion gehört.

Zu allem Überfluß fiel Mitte Oktober der schwedische Verteidigungsminister Sven Andersson bei einem Interview des Dänischen Rundfunks aus der Rolle des zwar interessierten aber doch passiven Zuschauers und sagte, daß Schweden zu Verhandlungen über die Bildung einer schwedisch-norwegisch-däni-schen Militärunion bereit sei, wenn Dänemark und Norwegen zum Austritt aus der NATO bereit seien, oder es zur Auflösung der NATO kommen sollte. Nichts in der schwedischen Neutralitätspolitik spreche gegen eine solche Verteidigungsunion. Schweden habe es die ganze Zeit über bedauert, daß es 1948 nicht zur Bildung einer solchen Union gekommen war. Es besteht kein Zweifel darüber, daß durch Aussprüche solcher Art jene Kräfte in Dänemark und Norwegen gestärkt werden, die auf einen Austritt aus der NATO und eine skandinavische Lösung der Verteidigungsfrage hinarbeiten. Der dänische Verteidigungsminister Victor Gram beeilte sich allerdings zu versichern, daß Dänemark zur Zeit in der Mitgliedschaft in der NATO immer noch die bestmögliche Lösung dieser Frage sehe.

Bereits im Frühsommer hatten die sozialistischen Studentenverbände der skandinavischen Länder auf einer Konferenz in Kopenhagen ihre Regierungen aufgefordert, die Möglichkeit einer militärischen Zusammenarbeit der nordischen Länder von neuem zu prüfen; der Sozialistische Jugendverband in Stockholm stellte dieselbe Forderung auf, und sogar das Zentralorgan der Arbeiterpartei kritisierte die norwegischen Parteikameraden wegen ihres „Festklebens an NATO-Vorstellungen“.

Wandlungen seit 1949

Diese ganze Entwicklung entstand natürlich auch aus dem Unbehagen über die amerikanische Politik in Südostasien heraus, doch sie ist dabei keineswegs im Prinzip antiamerikanisch, sondern sie ergibt sich eben aus einer seit 1949 wesentlich veränderten Situation.

Die Politik ist im Norden schon immer nicht nur eine dänische, schwedische oder norwegische Politik gewesen, sondern auch eine skandinavische Politik mit dem Blick auf das Interesse der größeren Einheit, und sie ist weit mehr als etwa in Westdeutschland eine Frage der kühlen Überlegung als des Gefühls. Und dieser kühle Verstand notiert und stellt in Rechnung:

• Die Sowjetunion ist heute für Westeuropa nicht mehr jene akute Gefahr, die sie vor 15 Jahren ge-

' wesen ist. Eine militärische Verteidigungsunion unter Führung der USA erscheint heute nicht mehr unbedingt notwendig.

• Das außerhalb der NATO stehende Schweden hat in dieser Zeit — trotz allen düsteren Prophezeiungen — seine politische und militärische Stellung wesentlich verstärken können; seine neutrale und bündnisfreie Haltung führte keineswegs zu jener internationalen Diskriminierung, die man befürchtet hatte, ja, seine Neutralität hat dem Land in vieler Hinsicht eine begünstigte Stellung eingebracht.

• Während die russische Drohung an Gewicht verlor, haben die USA zweifellos an Ansehen verloren, besonders durch die politische Fragwürdigkeit ihrer Aktionen in Südostasien.

• Der Sturz der norwegischen Arbeiterpartei ist in der Hauptsache auf das Auftreten der NATO-feind-lichen sozialistischen Volkspartei zurückzuführen, die ihre Wählerzahl nahezu verdreifachen konnte. Das bedeutet eine Warnung auch für die dänischen Sozialdemokraten.

Die Zeit ist reif

Zu allen diesen Momenten kommt noch, daß die sehr effektive schwedische Rüstungsindustrie neue Märkte finden muß, wenn sie in ihrer Produktion zu längeren Serien übergehen will. Dänemark und Norwegen kommen dabei zuerst in das Blickfeld, aber auch andere kleine europäische Staaten, wie etwa Holland, Österreich und die Schweiz. Eine produktionsmäßige Zusammenarbeit könnte dabei sehr wohl betont militärpolitische Gruppierungen ersetzen, die aus verschiedenen Gründen für die genannten Länder nicht aktuell oder wünschenswert sein mögen.

Der Plan auf Bildung einer multinationalen Atomflotte, auf den man in Bonn so großen Wert zu setzen scheint, und der den Dänen und Norwegern soviel internen Kummer bereitet hat, erscheint nun endgültig abgeschrieben. Damit fällt jedoch auch eine Klammer fort, die die NATO-Nationen hätte fester aneinander binden können. Daß Frankreich eine Reform des europäischen Bündnissystems wünscht, ist allgemein bekannt, und wenn schon neue Mächtegruppierungen, warum dann nicht eine Nordische Verteidigungsunion jener Art, wie sie von Schweden bereits im Jahre 1948 vorgeschlagen worden ist? Die Zeit ist jedenfalls reif für eingehende Diskussionen in dieser Richtung.

Für die schwedische Arbeiterpartei, die eben erleben mußte, wie ihre norwegische Bruderpartei aus der Regierungsstellung hinausgedrängt wurde, und die weiß, wie locker die dänischen Parteikameraden auf Ihren Regierungssesseln sitzen, muß der Gedanke einer wirtschaftlich starken und militärisch zuminde-stens beachtenswerten nordischen Union etwas sehr Verlockendes haben. Wenn irgend etwas, so kann dieser Gedanke eines jener „neuen, kühnen Ziele“ andeuten, die man so dringend braucht, von denen man schon so lange in allgemeinen Wert-düngen spricht, und die bisher noch keine klare Gestalt annehmen wollten. Allgemein-europäische, speziellskandinavische, militärpolitische und schwedisch-nationale Erwägungen weisen also alle in dieselbe Richtung!

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