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Nur wenige schöpfen aus dem vollen

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Der diesjährige Familienfasttag widmet sich der „Kostbarkeit” Wasser. Die weltweite Ungleichverteilung ist frappant.

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Der diesjährige Familienfasttag widmet sich der „Kostbarkeit” Wasser. Die weltweite Ungleichverteilung ist frappant.

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Die Anzahl von Wasserhähnen sagt mehr über die Gesundheit einer Bevölkerung aus als die Zahl der Krankenbetten', so lautet ein Credo der Weltgesundheitsorganisation. Zu wenig Beachtung wurde bisher dieser Aussage gewidmet, das beweisen die Zahlen: Zwei von drei Haushalten der Welt müssen sich Wasser im Freien besorgen. Eine Milliarde Menschen verfügt über keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Vier Fünftel aller Krankheiten in der „Dritten Welt” sind auf verunreinigtes Wasser zurückzuführen. Bei keinem anderen Thema zeigt sich die Ungleichverteilung des Zugangs zu Bessourcen so. drastisch wie beim Lebensquell Wasser. In 26 Ländern der Erde stehen der Bevölkerung pro Kopf weniger als drei Liter pro Tag zur Verfügung. Eine einzige WC-Spülung im Norden jagt bis zu 45 Liter Trinkwasser in den Kanal.

Das Plakat der katholischen Frauenbewegung zum Familienfasttag am 10. März bringt es auf den

Punkt: Hier der volle Krug, der wenige aus dem vollen schöpfen läßt, dort die vielen leeren Gläser. Die Grenze zwischen den Extremen ist scharf gezogen, auf dem Plakat, aber auch in der Realität.

Doch arm und reich ist nicht der einzige Aspekt des Themas. „Der fehlende Zugang zu Wasser in den Entwicklungsländern trifft vor allem die Frauen”, weiß auch Hildegard Wipfel, Referentin für Entwicklungsförderung in der katholischen Frauenbewegung.

Die täglichen, stundenlangen Märsche zu den Wasserstellen im ländlichen Afrika werden wie selbstverständlich den Mädchen aufgebürdet. Oft ein Grund, auf den Schulbesuch verzichten zu müssen.

Frauen und Entwicklung

In den Slums Lateinamerikas verbringen Frauen tagtäglich Stunden damit, auf das Wasser von Tankwagen zu warten. Verlorene Zeit, in der keiner Beschäftigung für ein bitter benötigtes Einkommen nachgegangen werden kann. Mehr noch, für das kostbare Naß muß auch noch bezahlt werden.

Etwa 170 Entwicklungshilfeprojekte werden mit den Spendenerlösen des Familienfasttags unterstützt. Der Schwerpunkt liegt derzeit in Asien. Allein in Indien werden 37 Projekte mit kirchlichen und nicht-

staatlichen Partnern abgewickelt. Einer der verläßlichsten Partner in der Entwicklungszusammenarbeit ist die indische Caritas. Dabei sind gerade bei den Projekten in Indien schwierige ideologische Hürden zu nehmen. Hildegard Wipfel dazu: „Sowohl hinduistische als auch islamische Fundamentalisten orten in jedem Brunnen, der für die Bevölkerung gebaut wird, einen christlichen Missionierungsversuch.”

Gerade bei den Projekten in Indien wird die Interdependenz von Ausbeutung der Natur, Wassermangel und der Bedeutung der Frauen für die ländliche Entwicklung deutlich.

In den Jawadhu-Bergen Südindiens wurden die Wälder über Jahrzehnte hinweg rücksichtslos von auswärtigen Händlern abgeholzt. Die kräftigen Monsunregen schwemmen jetzt fruchtbare Erde weg und senken den Grundwasserspiegel. Während die wenigen reichen Großgrundbesitzer einfach tiefere Brunnen graben lassen können, bleibt der einfachen Bevölkerung nur verschmutztes Wasser aus den Tümpeln. Das von der katholischen Frauenbewegung unterstützte Projekt „Wasser für Jawadhu” setzt auf langfristige Initiativen, zur Rehabili-tierung der Umwelt und zur sozialen Aufwertung der Frauen. Dämme und Terassen werden angelegt, die in der Monsunzeit die Wassermassen regulieren, Begenwasser wird in

Tanks gesammelt. In den neugegründeten Komitees, die den sparsamen Umgang mit de,m Trinkwasser verantworten und auch dessen gerechte Verteilung überwachen, stellen Frauen die Hälfte der Führungspositionen. Die früher nur die Mühe und die Arbeit hatten, können im Rahmen des Projekts nun erstmals ihr Wissen und die ihren Tätigkeiten entsprechende Verantwortung gegenüber der Gesellschaft einbringen. Neben den erhofften Spendeneinnahmen erhofft die Katholische Frauenbewegung mit Aufklärungsaktionen rund um den Familienfasttag die Sensibilität aller Probleme um die „Lebensquelle Wasser” erhöhen zu können.

Der Aufruf zum Teilen der Kostbarkeit Wasser setzt allerdings tiefer an als beim vollen Krug und den vielen leeren Gläsern auf den Plakaten. Denn der Sahelzone hilft es nicht, wenn in Europa weniger geduscht wird. Nachdenklich soll vor allem machen, daß Verschwendung als Lebensstil auch dort als Vorbild wirkt, wo Mangel herrscht. Hildegard Wipfel, die jahrelang als Entwicklungshelferin in einer Dürreregion in Zimbabwe gearbeitet hat, kennt dieses Phänomen aus Erfahrung. „Die Leute sind von einem Entwicklungshelfer nur schwer zum Bau von Latrinen zu motivieren, wenn sie wissen, daß die Helfer zuhause alle ein Wasserklosett besitzen.”

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