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O Wunderwuzzis!

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Zu Hoffnungsträgern hochstilisierte Polit-Stars sehen sich zunehmend mit überzogenen Erwartungen konfrontiert.

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Zu Hoffnungsträgern hochstilisierte Polit-Stars sehen sich zunehmend mit überzogenen Erwartungen konfrontiert.

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Zwei „News"-Coversto ries hintereinander - das ist schon Haider-verdächtig: Einmal mit Frau, die Finger zum Victor(y)-Zeichen geformt, einmal mit Boxhandschuhen in der Pose des Kämpfers, präsentierte sich der neue Bundeskanzler auf der Titelseite des „Magazins der 90er".

Viktor Klima hat sich vorgenommen, mit Jörg Haider anders umzugehen als sein Vorgänger: er wolle nicht ständig für den FPÖ-Chef indirekt Werbung betreiben. In der

Medien- und Infotainment-Gesellschaft kann das nur heißen: er muß ihm buchstäblich die Show stehlen. Wieweit Klima das gelingt, wird sich weisen, doch deutet einiges daraufhin, er könnte in diesem Sinn der richtige Mann zur richtigen Zeit sein. „News"-Covers sind da freilich nur ein Indiz für die entsprechende Tauglichkeit, aber immerhin-es läßt sich ja so schlecht nicht an.

Interessant ist vor allem ein Phänomen, das rund um den perfekt, inszenierten Kanzlerwechsel deutlich sichtbar wurde: Es sind die nachgerade „messianischen" Erwartungen, die sich auf den „Neuen" am Ballhausplatz richten. Nach der Lähmung des nichts geht mehr liegt' Aufbruchsstimmung in der Luft. Neue Gesichter, ein neuer Stil im Umgang mit der Öffentlichkeit —ja wie sich alles dreht... Es herrscht die Erwartung, der Stillstand werde nun von Bewegung abgelöst.

Was soll bewegt werden? — Das ganze Land, die Gesellschaft hin aufs nächste Jahrtausend (welche Fügung, ein solches Amt an der Schwelle zur Jahrtausendwende anzutreten!). Wohin soll die Beise gehen? - Darüber gibt es je nach Interessenlage unterschiedliche Vorstellungen. Täuschen wir uns nicht: hinter den zeitlos-menschlichen Sehnsüchten nach Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit verbergen sich die höchst heterogenen Vorstellungen von „Heil", welche auszubalancieren Ziel jeder klugen Politik sein muß. Stichworte zu den Zielvorstellungen gibt es zuhauf: Modernisierung, Technologie-Offensive, Flexibilisierung, neue Gründerzeit auf der einen Seite, Bekämpfung der Armut und Arbeitslosigkeit, Sicherung des sozialen Netzes wenigstens für die Bedürftigsten andererseits. Sie stecken freilich nur das Feld ab, das der Bearbeitung harrt.

Daß es also Schwierigkeiten bei der inhaltlichen Präzisierung der Aufgaben künftiger Politik gibt, ist - wie denn auch anders - offenkundig. Seltsamer ist da schon der formale

Aspekt: daß sich all die unterschiedlichen Hoffnungen eben auf die eine Person des neuen Begierungschefs richten, an ihr festgemacht werden. Da kann Klima noch so sehr (und noch so redlich!) betonen: niemals könne er allein den Wandel schaffen, ja, nicht einmal von seinem Team dürfe man dies legitimerweise erwarten. Alle gemeinsam - oder gar nicht, lautet seine Botschaft zurecht. Und dennoch: Er ist buchstäblich der Hoffnungsträger, in ihm bündeln sich die auf ihn projizierten unbestimmten Gefühle und konkreten Forderungen nach Veränderung.

Seltsam ist dies aus mehreren Gründen. Zum einen fällt eine Ungleichzeitigkeit auf: Während der Buf nach „starken Männern" aus historischen Gründen obsolet geworden ist, treibt die Personalisierung der Politik immer kuriosere Blüten. Nur der Form nach bleibt man korrekt: man spricht von „Machern", „Pragmatikern", ...

Zum andern aber ist es die Gnadenlosigkeit des Systems, die zu denken gibt. Wohl nie zuvor waren das Hosanna und das Crucifige so nahe beieinander.

Wir kennen das Phänomen der Polit-Stars vor allem aus den USA. Vor 30 Jahren wurde dort schon J. F. K. zum Symbol einer Generation, einer neuen Politik, eines erneuerten Lebensgefühls. Der jetzige (wiedergewählte) Präsident knüpfte gezielt daran an, adaptiert an den veränderten Zeitgeist. In Erinnerung ist etwa noch jenes Agenturbild, das nach dem Wahlsieg am 5. November um die Welt ging: Bill Clinton, den einen Arm um Tochter Chel-sea, den anderen um Hillary gelegt, mit visionärem Blick nach vorne — man meint, er sehe hinüber ins 21. Jahrhundert, wohin er die Brücke zu bauen versprochen hat. Clintons Hoch hält - trotz einiger Image-Kratzer - noch an. Doch ein anderer Hoffnungsträger, Newt Gingrich, der Exponent der „konservativen Bevolution", stürzte jählings ab, als seine persönliche Integrität und die sachliche Fragwürdigkeit seines Programms zutage traten.

In Osterreich wissen vor allem ÖVP-Obmänner ein Lied davon zu singen, wie dünn die Luft ganz oben ist. Aber auch Franz Vranitzkys eleganter Bückzug kam wohl nur dem Schlimmsten zuvor.

Ein düsterer Befund also? Nicht nur: kein Trend, dem nicht auch der Keim zum Guten innewohnt. Denn die Personalisierung der Politik ist auch Folge von deren Ent-Ideologisierung. Und seien wir ehrlich: Wer wünschte sich tatsächlich zurück in die Zeit der weltanschaulichen Festungen, der dogmatischen Starre der diversen politischen Lager? Inhalte, gewiß! Aber ist es nicht auch ein Hoffnungszeichen, daß unsere Zeit sensibler dafür geworden ist, daß Inhalte nur so glaubwürdig sein können, wie die Personen, die sie vertreten (siehe etwa Newt Gingrich)? Wer AVahlen gewinnen möchte, wird künftig

noch mehr als bisher Vertrauen gewinnen müssen - im Bewußtsein, daß die Grenze zwischen „geerdeter Politik" und Populismus hier haarscharf verläuft.

Dieser entzündet Strohfeuer, jene setzt auf Nachhaltigkeit. Am Beispiel Klimas: Es sei ein Buck durchs Land gegangen, befand ein Jungunternehmer kürzlich in einer TV-Diskussionsrunde. Bichtig. Doch dieser Buck müßte von der Be-gierung weitergeführt werden, und deren Entschlossenheit müßte wiederum ansteckend wirken auf Köpfe und Herzen der Menschen in diesem Lande.

Wenn am Ende der Legislaturperiode davon noch etwas spürbar ist, kann Viktor Klima wieder die Finger zum „V" formen.

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