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Oberst Türkes taucht auf

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Eine völlig neue innenpolitische Situation schafft, wie bereits erwähnt, das politische Wirksamwerden des ehemaligen Obersten Alpaslan Türkes. Der von vielen als der neue „starke Mann“ angesehene Exoberst war an der Anti-Men-deres-Revolution maßgeblich beteiligt und Mitglied der vierzehn-köpflgen Militärjunta „Komitee der Nationalen Einheit“, welche nach der Revolution ein Jahr lang die Regierungsgeschäfte führte und deren Haupt der heutige Staatspräsident Cemal Gürsel war. Türkes ist einer jener Offiziere, die die Einführung des parlamentarischen Mehrparteiensystems als Verrat der Prinzipien der Revolution des 27. Mai 1960 ansahen. Durch seine lautstark verkündeten autoritären und zum Teil auch rassistischen Ideen zu einem unbequemen innenpolitischen Kassandrarufer geworden, wurde er 1961 als Militärattache nach Neu-Delhi abgeschoben. Nach seiner Rückkehr wurde er mit einer gewissen Scheu als „der Mann im Hintergrund“ angesehen, der nur auf die Stunde seines „Einsteigens in die Politik“ zu warten schien. Offenbar hielt er im heurigen Frühjahr diese Stunde für gekommen, denn er trat mit /einigen treuen Gesinnungsgenossen der Nationalen Bauernpartei bei. Die CKMP war seit ihrer Gründung immer eine Kleinpartei gewesen, die nur in einigen Provinzen lokale Bedeutung hatte. Türkes hat es verstanden, die um ihren Bestand ringende Splitterpartei binnen weniger Monate zu einem Werkzeug seines Machtstrebens zu machen, indem er den Parteichef Hasan Dincer, bis vor kurzem auch Verteidigungsminister im Kabinett Ürgüplü, mit Hilfe seiner Agitatoren und „Kampfgefährten“ ausbootete und im Juli den Parteivorsitz an sich riß.

Seither hat er die CMKP völlig umgestaltet — Dincer und seine

Anhänger traten geschlossen der AP bei — und unter dem Motto „Für eine starke Türkei in Wohlstand“ ein neues Parteiprogramm ausgearbeitet, das stark faschistische Züge aufweist. So will Türkes, falls er an die Macht kommt, 40.000 ana-tolische Dörfer auflassen und deren Einwohner in 4000 sogenannte „Agrarsiedlungen“ zusammenfassen; er will eine „starke“ türkische Nation und wendet sich daher gegen die Geburtenkontrolle. Ein straffes Unterrichtswesen soll die Jugend zu „volkstumsbewußten“ Staatsbürgern erziehen. In wirtschaftlicher Hinsicht plädiert er für die Verstaatlichung und für Maßnahmen gegen die „Gewinnsucht der Unternehmer“. Außenpolitisch tritt Türkes für eine „Neuorientierung der Auslandsbeziehungen“ ein, was auf einen Neutralismus ä la Nasser hinausläuft. Dieser „Rechtsextremismus türkischer Prägung“ hat zweifellos Aussichten auf Anhängerschaft, da eine Neigung zum Autoritären in den Türken noch aus Atatürks Zeiten verwurzelt ist und gar nicht so selten Rufe nach einem „starken Führer und Retter vor dem Parteiengezänk“ laut werden. Noch ist Türkes' Bewegung zu jung und zuwenig organisiert, um bereits bei diesen Wahlen zu einer Gefahr für die Demokratie zu werden, ihre Weiterentwicklung wird man jedoch im Auge behalten müssen!

Den Gegenpol zu Türkes' Rechtspartei bildet die linksgerichtete „Türkische Arbeiterpartei“, die unverkennbar marxistisches Gedankengut propagiert. Obwohl sie seit ihrer ersten Beteiligung an den Kommunalwahlen des Jahres 1963 ihre Organisation auf eine breitere Basis stellen konnte, fehlt es ihr an einer echten Breitenwirkung innerhalb der 1,5 Millionen zählenden Arbeiterschicht, die eher für die progressiven Kandidaten der beiden Großparteien stimmt. Immerhin verfügt sie bereits über eine gewisse Anhängerschaft unter den Führern der immer einflußreicher werdenden Gewerkschaften, die laut Gesetz streng unpolitisch organisiert sind. Trotz dieses geringen Anklanges bei den Wählern ist der geistige Einfluß der Linken in der Türkei im Zunehmen. Er ist vor allem bei den Studenten und sonstigen Intellektuellen wirksam, die mangels geeigneter „proletarischer“ Kandidaten auch die meisten Führungskräfte der Partei stellen. Die TIP betreibt eine geschickte Wahlpropaganda und wird zweifellos einige Erfolge zu verzeichnen haben.

Durch die verstärkte Agitation der CKMP und der TIP steht der Wahlkampf in dem für die Türkei ungewohnten Zeichen der Spannung zwischen „rechts“ und „links“. Dies hat sogar seine Auswirkungen auf die beiden Großparteien der Mitte. Angesichts dieser Tatsache ist es besonders schwer, für die bevorstehenden Wahlen verläßliche Prognosen aufzustellen. Bei den letzten Parlamentswahlen 1961 und den Kommunal wählen des Jahres 1963 ergab die Stimmenverteilung der wichtigsten Parteien folgendes Bild:

Die Volkspartei wird ihren Stimmenanteil im großen und ganzen halten können beziehungsweise geringe Verluste in Kauf nehmen müssen. Die Gerechtigkeitspartei ist wohl allzu optimistisch, wenn sie hofft, die 50-Prozent-Grenze zu überschreiten. Die Partei der Neuen Türkei wird vermutlich noch weiter zurückfallen, ebenso die Partei der Nation, während Türkes' neue Bauernpartei vielleicht 10 Prozent der Stimmen wird erringen können. Die Arbeiterpartei könnte mit einem Anteil von ein bis zwei Prozent einen Achtungserfolg erzielen und damit auch einige Abgeordnete ins Parlament entsenden.

Kommt die große Koalition?

Die CHP neigt derzeit zu einer großen Koalition mit der AP, die, falls sie zustande käme, eine überwältigende parlamentarische Mehrheit besäße und den Zuzug zu den Großparteien wieder verstärken würde. Die AP verspürt indes zu einer großen Koalition wenig Lust und möchte allein an die Macht kommen. Diese Konstruktion wird jedoch auf den Widerstand der Armee, die sich bisher aus dem Wahlkampf strikte herausgehalten hat, stoßen. Höchstwahrscheinlich wird es wieder zur Bildung einer Koalitionsregierung kommen. Türkes ist natürlich der Ansicht, daß eine starke Einparteienregierung für die Türkei das beste System wäre, allerdings meint auch er, daß hierfür „die Zeit noch nicht reif sei“. An einer Koalition mit einer Großpartei wird er sich nicht beteiligen. Die einzige ausgesprochene türkische Linkspartei hat noch zuwenig Einfluß, um nach Regierungsämtern zu streben, und wird eine Position der klassenkämpferischen Opposition beziehen.

Wie imimer sich die neue türkische Regierung nach dem 10. Oktober zusammensetzen wird, sie wird den gleichen dringenden Problemen gegenüberstehen wie ihre Vorgängerinnen: Bodenreform, Steuerreform, Sozialgesetzgebimg, Förderung der Industrialisierung und Verbesserung der Anbaumethoden. Das wichtigste Ziel der türkischen Außenpolitik ist nach wie vor eine befriedigende Regelung der Zypernfrage. Das Programm der Regierung Ürgüplü unterschied sich jedenfalls wenig von dem seines Vorgängers Inönü. Nicht ganz zu Unrecht konnte daher der greise Oppositionsführer in einer Wahlrede ausrufen: „Sie imitieren mich alle!“ Die Lösung der offenen Fragen wird in erster Linie davon abhängen, ob sich innerhalb der beiden großen Parteien in Zukunft die progressiven oder die konservativen Strömungen werden durchsetzen können.

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