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Ökologie als Ersatzreligion

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Wer kennt nicht die erschreckenden Zahlen vom Artensterben: Drei Arten pro Stunde, 70 am Tag und 27.000 im Jahr verschwinden laut einer oft zitierten Schätzung für immer von unserem Planeten. „Die Panikmacher können keine einzige dieser Arten nennen", empört sich der bekannte Tierfilmer David Attenbourough. „Viele Biologen sind sehr skeptisch, was diese hohen Aussterberaten betrifft", gibt auch Vernon Heywood zu, ein Botaniker im Dienst der Umweltorganisation der Vereinten Nationen, „aber sie sind still, weil sie in der Öffentlichkeit der Sache des Naturschutzes nicht schaden wollen". Mit Sicherheit ausgestorben sind in den letzten 400 Jahren 480 Tier- und 654 Pflanzenarten, die der Fachwelt bekannt waren - die Hälfte davon vor 1900.

„Öko-Optimismus" haben die beiden Umweltjournalisten Dirk Maxeinerund Michael Miersch ihr Buch genannt, in dem sie mit der Umweltbe-wegung hart ins Gericht gehen: Apokalyptische Horrorszenarien werden als unzutreffend dargestellt, in der Ökoszene kursierende Vorurteile werden entlarvt und Lügen sowie Unwahrheiten angeprangert. Der ehemalige Chefredakteur und der ehemalige Bessortchef bei dem deutschen Umweltmagazin „natur" wollen, die Umweltzerstörung nicht leugnen oder herunterspielen, aber sie sagen: „Die Umweltbewegung verliert rapide an Glaubwürdigkeit. Wer nicht zur Selbstkritik fähig ist, macht es der Gegenseite leicht." „Reflexartig hält sie an alten Denkmustern fest und schürt aus alter Gewohnheit Katastrophenängste", kritisieren Maxeiner und Miersch an der Umweltbewegung. Doch das Waldsterben zum Beispiel hat nicht stattgefunden, obwohl nach den damaligen Voraussagen heute kein Baum mehr stehen dürfte.

Als der Supertanker Exxon Valdez 1989 vor der Küste Alaskas zerbrach, glaubten viele, daß die Natur Jahrhunderte brauchen würde, um sich von der Ölkatastrophe zu erholen. Inzwischen jedoch sind kaum noch Spuren des Unglücks feststellbar. Als 1993 der Tanker Braer an den Klippen der Shetland-lnseln zerschellte, bangte die ganze Welt um jenes Meeresvo-gelparadies. Doch im Sturm wurde die angekündigte Ölpest zerstoben. Buiniert war nur der Tourismus, da viele Medien dennoch von einer Um: weltapokalypse phantasierten.

Auch die Umweltorganisation Greenpeace operierte anläßlich der geplanten Versenkung der Ölplatt-form „Brent Spar" mit falschen Zahlen, wie sich Wochen später herausstellte. „Es geht nicht um genaue Mengenangaben, sondern ums Prinzip", erklärte ein Geenpeace-Spre-cher. „Man stelle sich vor, Shell hätte so argumentiert", bemerken Maxeiner und Miersch.

„Die Vulgärökologie ist zum Religionsersatz geworden", kritisieren die beiden - damit ist ihr mit rationalen Argumenten und Vernunft nicht mehr beizukommen.

Technik und Industrie seien an allem Schuld, heißt es oft. Falsch: die In -dustrialisierung und die Dampfmaschine retteten den Wald, denn zur Energiegewinnung wurde vor allem Holz verwendet. England zum Beispiel war zu Beginn des 19. Jahrhunderts fast vollständig entwaldet. Doch wer bezweifelt, daß unsere Zivilisation direkt in den Abgrund führt und glaubt, Umweltprobleme seien technisch lösbar, wird bestenfalls als Naivling abgetan.

Daß die Natur gut, der Mensch aber schlecht sei, ist ein beliebter Allgemeinplatz. Doch auch Tiere tun all das, was den Menschen schlecht macht: Sie töten Kinder ihrer eigenen Art, sie vergewaltigen, sie führen Kriege und sie zerstören ihre Umwelt. Auch Pflanzen und Tiere nutzen ihren Lebensraum, bis alle Ressourcen aufgebraucht sind. Sogar die friedliebenden Bäume versuchen, ihren Konkurrenten das lebensnotwendige Licht zu stehlen. Die als unnatürlich verteufelten Städte beherbergen in Europa 18.000 Tierarten, darunter viele, die anderswo schon ausgestorben sind.

Risken werden oft völlig falsch eingeschätzt. So wurden deutsche Motorradfahrer befragt, was denn an ihrer Art der Fortbewegung besonders riskant sei. Viele nannten das Einatmen giftiger Dämpfe beim Tanken; den Verkehrstod betrachteten nur wenige als Gefahr. Stoffe, die kiloweise an Ratten und Mäuse verfüttert Krebs auslösen, rufen Panik hervor, 'auch wenn ihre Konzentration der eines im Boderisee aufgelösten Stücks Würfelzucker entspricht. „Dann dürften wir kein Obst, Gemüse, Brot oder Müsli mehr essen: Pflanzen bilden giftige Substanzen, um sich vor Schädlingen zu schützen. Im Tierversuch wirken diese natürlichen Pestizide krebsauslösend, im wahren Leben schaden sie weder Menschen noch Mäusen", schreiben die Autoren.

Eingefahrene Vorurteile machen oft alles noch schlimmer: Mit dem Boykott von asiatischem Tropenholz werde kein Quadratkilometer Tropenwald gerettet, argumentieren die Autoren. Ist Tropenholz unverkäuflich, werden die Wälder erst recht gerodet um Platz für Plantagen zu machen. „Wo Holzfäller abziehen, steht gewiß kein jungfräulicher Wald mehr. Doch schon nach zehn Jahren kann man die ehemaligen Einschlaggebiete kaum noch vom Urwald unterscheiden", schreiben Maxeiner und Miersch. In Plantagen jedoch gibt es keinen Platz für Orang-Utans und Orchideen. Generell gilt: Was keinen ökonomischen Wert hat, gilt als nutzlos. Deshalb können Tiere und Pflanzen in der Dritten Welt nicht gegen die Interessen der dort lebenden Menschen bewahrt werden.

Ein Elefant, der durch ein Maisfeld trampelt, ist für afrikanische Bauern nichts weiter als Ungeziefer. Sie freuen sich, wenn Elfenbeinwilderer das Tier abschießen. Durch eine beschränkte Jagd würden die Dickhäuter, die keineswegs vom Aussterben bedroht sind, plötzlich zu einer Kapitalanlage, die man nicht leichtfertig zerstört. Fazit: „Männer, die bereit sind, zigtausend Mark für die Erlaubnis zum Abschuß eines einzigen Tieres auszugeben, sind keine angenehmen Bundesgenossen. Aber ihr Geld kann viel bewirken."

Öko-Optimismus

Von Dirk May einer und HHI Michael Miersch

Metropolitan Verlag, Düsseldorf 1996 Wm 256 Seiten, geb., öS)69,-

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