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Österreich liegt in Europa

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Im europäischen Haus mag es viele Wohnungen geben, die nach individuellen Bedürfnissen und persönlichem Geschmack eingerichtet werden können. Die Erhaltung, der Ausbau und die Sicherheit des Gebäudes ist jedoch gemeinsame Sache.

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Im europäischen Haus mag es viele Wohnungen geben, die nach individuellen Bedürfnissen und persönlichem Geschmack eingerichtet werden können. Die Erhaltung, der Ausbau und die Sicherheit des Gebäudes ist jedoch gemeinsame Sache.

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Es wäre ein verhängnisvoller Fehler, würde die lebhafte Diskussion über die unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen einer Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union die grundsätzliche Bedeutung der Integrationsbemühungen verdrängen. Es geht letzten Endes nicht nur um die Frage, ob die Milch billiger und das Dieselöl teurer wird, wie hoch der Mitgliedsbeitrag ist, welche finanzielle Unterstützungen von der EU zu erwarten sind, welche Wirtschaftssparten zusätzliche Chancen erhoffen dürfen oder wo eine Beeinträchtigung der Konkurrenzfähigkeit zu befürchten wäre.

EU: DAS KRAFTFELD FÜR EUROPA

Entscheidend ist, daß sich die Europäische Gemeinschaft im Laufe der Jahrzehnte zu einem Kraftfeld entwickelt hat, das heute das weitere Schicksal dieses Kontinents maßgebend bestimmt und auch in Zukunft bestimmen wird, ob wir das nun wollen oder nicht. Wie groß auch die Schwierigkeiten sind, mit denen der Einigungsprozeß in der Vergangenheit zu kämpfen hatte, wie hoch die Hindernisse, die in Zukunft noch zu übenwinden sein werden, zu Brüssel gibt es keine Alternative. Dies wird auch durch die Bemühungen offensichtlich, die mittel- und osteuropäische Länder wie Ungarn, Slowenien, Tschechien und Polen unternehmen, um lieber heute als morgen Mitglied der EU zu werden. Denn es wird immer deutlicher, daß eine Teilnahme am Bau des Europäischen Hauses nur innerhalb, nicht außerhalb der EU-Institutionen möglich ist. Die dort getroffenen Entscheidungen wirken auf ganz Europa. Wir haben die Wahl, sie mitzugestalten oder im nachhinein und mit meist unzureichenden Mitteln zu reagieren. Dies ist das stärkste sachliche Argument der Befürworter einer österreichischen Beteiligung an der Europäischen Integration. Es relativiert die allgemein bekannten Problemfelder, die trotz aller wirtschaftlichen und politischen Vorteile einer Mitgliedschaft nicht geleugnet werden dürfen.

Auch darf auf eine kritische Prüfung der bisherigen Leistungen der EU, ihrer Zielsetzung und ihrer künftigen Entwicklung nicht verzichtet werden. Die notwendige Diskussion muß jedoch selbstbewußt geführt werden. Zwar gibt es jede Menge ungelöster Aufgaben und einige negative Trends - wie längst überwunden geglaut)-te nationale Konflikte oder der wachsende Einfluß extremer Gruppierungen -werden in ihrer Gefährlichkeit nicht selten unterschätzt. Das Klima ist rauher geworden. Und doch dürfen wir aufgrund der bisherigen Leistungen der Europäischen Gemeinschaft zuversichtlich sein: Sie hat ihren Mitgliedern nicht nur Wohlstand gebracht, sondern vor allem den Frieden gesichert. Wer in der Welt herumblickt und die Geschichte des Kontinents kennt weiß, daß dies keine Selbstverständlichkeit ist.

EU-DAS BESTE

INTEGRATIONSIVIODEli

Einer der großen Baumeister des neuen Europas,

Jean Monnet, war "überzeugt davon, daß Völker, die keine Visionen von ihrer Zukunft haben, letztlich zugrunde gehen". Trotz aller nationalen Egoismen und Streitigkeiten, die oft genug zu schweren Krisen in der Gemeinschaft führten, hat der Europagedanke immer wieder zur Überwindung scheinbar unüberbrückbarer Gegensätze geführt. Auch zeigt die Geschichte, daß sich eine höhere Integrationsstufe, wie sie in den Römer Verträgen des Jahres 1957 zur Gründung einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (und ihrer Weiterentwicklung zur Europäischen Gemeinschaft und nach Maastricht zur Europäischen Union) angestrebt wurde, einer losen Freihandelszone überlegen ist. Dies hatte zur Folge, daß im Laufe der Zeit alle wichtigen Länder der Europäischen Freihandelszone (EFTA) mit Ausnahme der Schweiz zur EG gewechselt haben oder die Mitgliedschaft gerade anstreben. Der Wettbewerb der konkurrierenden Integrationsmodelle wurde eindeutig zugunsten der Union entschieden.

Es soll aber auch nicht übersehen werden, daß Vorhaben der Gemeinschaft unvollendet geblieben sind. Sie stecken im Morast gegensätzlicher Interessen. Manche Kompromißlösungen, die nach hartem Ringen zustanden kamen und schließlich nur den kleinsten gemeinsamen Nenner darstellen, tragen den Keim späteren Versagens in sich. Sie schieben Probleme vor sich hin, die dadurch nicht kleiner, sondern größer werden. Die produktions-, nicht nachfrageorientierte Landwirtschaftspolitik der ECU, die für viele Bauern gar nicht so vorteilhaft ist, und die Beeinträchtigung des Lebensraums durch die Freizügigkeit des Verkehrs sind Beispiele solcher Fehlentwicklungen. Doch auch hier Ist eine Korrektur nur innerhalb der Union denkbar.

PRO UND CONTRA EU „FAIRE DENKSCHRIFT" DER KATHOUSCHEN AKTION

Ohne der österreichischen Bevölkerung ein bestimmtes Abstimmungsverhalten zu empfehlen, hat nun die Katholische Aktion Österreichs in einer Denkschrift ("Österreich und die Europäische Union") die Für und Wider eines Beitritts in einer fairen Weise enwogen. "Auch christlicher Weltverantwortung" werden "sowohl die Besorgnisse gegenüber einem EG-Beitritt als auch die Hoffnung auf ein gemeinsames Europa erörtert". Der mündige Staatsbürger wird eingeladen, sich anhand der dargelegten Fakten und Überlegungen selbst ein Bild über die folgen eines "Ja" und "Nein" bei der Volksabstimmung zu machen.

Die Denkschrift macht den drohenden Verlust von Exportmöglichkeiten in dem für Österreich so wichtigen EG-Markt deutlich. Auch die meist übersehene Gefahr der Abwanderung wichtiger Unternehmen in den EU-Raum wird in Erinnerung ge-aifen. Beides gefährdet Arbeitsplätze. Vorbehalte der Katholischen Aktion gegenüber der EU betreffen unter anderem das soziale Gefälle, ökologische Versäumnisse und bürokratischen Zentralismus. Dazu einige ergänzende Bemerkungen:

Brüssel ist für die Sozialpolitik der Mitgliedstaaten (noch) nicht zuständig. Regionale Unterschiede im Lebensstandard bestehen in oft erheblichem Ausmaß selbst innerhalb eines Landes. Geringe Einkommen, die nicht selten mit niedrigeren Lebenshaltungskosten Hand in Hand gehen, sind in einer Übergangsphase oft Voraussetzung für internationale Konkurrenzfähigkeit eines industriell noch wenig entwickelten Landes. Ein forcierter Abbau des Lohngefälles innerhalb der EU würde zu Exporteinbußen, Investitionsrückgängen und damit zu einem Absinken der Beschäftigung gerade bei den wirtschaftliqh schwächeren Mitgliedern führen. Vor allem aber wird sehr oft übersehen, daß es weltweit keine transnationale Gemeinschaft gibt, in der so erhebliche Transferzahlungen von den reicheren an die ärmeren Staaten geleistet werden.

ÜBERPROPORTIONALE MNWIRKUNGSMÖGLJCHKEIT FÜR KLEINE LÄNDER

Besondere Beachtung verdienen die ökologischen Folgeschäden in Europa und in den Entwicklungsländem, die ein unverantwortlicher Raubbau an den Ressourcen auf Kosten künftiger Generationen verursacht. Es gibt jedoch keinen Hinweis, wonach die Vemachlässi-gung des Umweltschutzes in der Europäischen Union bedeutender wäre als in anderen Teilen der Welt, Nordamerikas und Japan eingeschlossen, von Osteuropa und den Entwicklungsländern gar nicht zu reden. Umweltpolitik als Schutz von Mensch und Natur kann überdies nur in einem größeren Rahmen wirkungsvoll betrieben werden. Nationalstaaten sind hier hoffnungslos überfordert; das zeigen die vergeblichen Bemühungen Österreichs, seine Vorstellungen von den Gefahren der Atomkraftnutzung mit den Wirtschaftsin-

, „Österreich und die Europäische Union"

Eine Denkschrift der : Katholischen Aktion Österreichs beleuchtet Pro und Contra einer IVlItgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union.

Der Wettbewerb der konkurrierenden Integrationsmodelle wurde eindeutig zu Gunsten der EU entschieden, teressen seiner Nachbarn ir Einklang zu bringen.

Es kann nicht geleugnet werden, daß in Brüssel eine Tendenz zu zentralistisch-bürokratischen Regelungen besteht. Anfechtbar ist auch die nur indirekte demokratische Legitimation der wichtigsten EU-Entscheidungsor gane (Rat und Kommission) die bekanntlich ohne unmittelbare Mitwirkung des Wählers bestellt werden. Hier gilt ebenfalls, daß Änderungen von außen nicht herbeigeführt werden können. Wer etwa das Europäische Parlament stärken will muß Mitglied sein. Die Mitwirkungsmöglichkeiten eines kleinen Landes sind da bei überproportional groß: So hat Dänemark mit 5,2 Millionen Einwohnern drei Stimmen, Deutschland mit 80 Millionen Einwohnern zehn Stimmen im Ministerrat. Ginge es streng nach der Mathematik, könnte Bonn über 48 (!) Stimmen verfügen.

Wenn die katholische Aktion feststellt, daß die christlichen Kirchen Europa; in ihrem gesellschaftspolitischen Handeln versuchen müssen, "die großen Stränge der Menschenrechtstradition - das sind vor allem persönliche Freiheit und soziale Gerechtigkeit - zu verbinden", so kann dies nur ir einem größeren, institutionell tragfähigen Rahmen geschehen. Im europäischen Haus mag es viele Wohnungen geben, die nach individuellen Bedürfnissen und persönlichem Geschmack eingerichtet werden können Die Erhaltung, der Ausbau und die Sicherheit des Gebäudes ist jedoch gemeinsame Sache. Um ein wünschenswertes Leben in diesem Hause für alle zu gewährleisten, bedarf es auch einer "Hausordnung". An einer solcher art)eitet die Europäische Union in einem mühsamen und permanenten Prozeß. Österreich ist aufgerufen, sich daran zu beteiligen.

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