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Die Zweite Republik Österreich verdankt ihre Gründung dem Sieg der Alliierten über die Kriegsmaschine Hitlers im Zweiten Weltkrieg. Ihre Erhaltung bis heute verdankt sie der Tatsache, daß die führenden Männer in den beiden Regierungsparteien aus der Vergangenheit gelernt haben.

Wenn diese beiden Tatsachen „vergessen“ oder „übersehen“ werden, ist das Schlimmste zu befürchten: das Hineinschlittern in Abenteuer und innere Kämpfe, die der Anfang vom Ende sein können.

Die führenden Männer der Österreichischen Volkspartei, die 1945 die erste Regierungspartei wurde, hatten in Gefangenschaft, Konzentrationslager und Widerstand sich auf die Grundlagen der christlich-sozialen Bewegung und einer demokratischen Zusammenarbeit mit Andersdenkenden besonnen. Die Sozialisten und Sozialdemokraten, die 1945 in die Zentralregierung und in den Landesregierungen in die politische Verantwortung für Staat und Volk in Österreich eintraten, hatten aus ihren nicht minder bitteren Erfahrungen mit dem radikalen Linkssozialismus und mit dem Nationalsozialismus gelernt. Im Gefängnis und Lager und in der fragwürdigen „Freiheit“ der Jahre 1938 bis 1945 hatten sich die Politiker und Parteimänner der demokratischen Rechten und Linken als Menschen, als Österreicher kennengelernt. Ein österreichischer Patriotismus, langsam aber tief sich einwurzelnd, hatte 1933 zu wachsen begonnen: die Bedrohung durch das nationalsozialistische Deutschland führte Menschen aus sehr verschiedenen weltanschaulichen Lagern zusammen. Dieser Patriotismus ergriff nach 1938 auch nicht wenige Menschen, die 1934 bis 1938 im Nationalsozialismus ihr Heil gesehen hatten. Nach 1945 wurde dieser Patriotismus vor allem durch zwei Tatsachen gestärkt: durch die Erinnerung an die nahe Vergangenheit und durch die Konfrontierung mit einer harten Gegenwart: im benachbarten Ungarn und in der Tschechoslowakei wurden kommunistische Diktaturen errichtet. In Österreich scheiterte ein kommunistischer Putschversuch (26. bis 28. September 1950): die sozialistische Arbeiterschaft und das Bauerntum verbanden sich als stärkste Kräfte in der Abwehr.

Begegnung im Widerstand

Der Kampf gegen den Kommunismus hat seither in Österreich vier Seiten, vier verschiedene Frontlagen: er ist als erstes in den Jahren 1945 bis 195 5 eine Auseinandersetzung mit der Kommunistischen Partei, mit den Kommunisten, die sich auf ihre guten Beziehungen zur Sowjetischen Besatzungsmacht verließen und sich bemühten, die Polizei und Gendarmerie und die als „deutsches Eigentum“ beschlagnahmten Betriebe der Industrie in ihre Hände zu bekommen beziehungsweise nicht aufzugeben. Es gelang der Ersten Regierung Figl, der ersten Koalitionsregierung, Kommunisten aus Schlüsselstellungen im Staat, in der Exekutive zu entfernen.

Die zweite Seite der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus ist bereits heikler und schwieriger: sie besteht in der Abwehr des Druckes, der von volksdemokratischen Staaten und von der Sowjetunion auf Österreich ausgeübt wurde. Österreichische Staatsmänner, voran Figl und Raab, haben hier in den ersten schweren Jahren nach 1945 und in den Verhandlungen um den Staatsvertrag eine Praxis des Widerstandes und der Zusammenarbeit, der Begegnung im Widerstand entwickelt, die im einzelnen modifiziert werden kann, an sich aber vorbildlich ist für alle künftigen Auseinandersetzungen mit den großen kommunistischen Mächten: bei klarer, offen bekannter politischer und weltanschaulicher Gegnerschart wird gleichzeitig in einem Atemzug Tag für Tag die mögliche Zusammenarbeit in wirtschaftlichen und kulturellen Bereichen und — im Rahmen von Organisationen und Aufgaben der Vereinten Nationen — die weltpolitische Partnerschaft angestrebt.

Heikel und problematisch sind in besonderer Weise die dritte und vierte Dimension des Kommunismus-Problems in Österreich. Da die Zusammenarbeit in der Regierung für beide Partner anstrengend und belastend ist, kamen Politiker und Propagandisten in den beiden großen gegnerischen Lagern nach 1945 mehrfach in die Versuchung, dem Gegner und Koalitionspartner die „rote Katze“ zuzuschieben und ihn des Paktierens mit dem Kommunismus beziehungsweise der „kommunistischen Infiltration“ zu verdächtigen. Die ÖVP war um 1950 und dann vor allem in der Zeit vor dem Abschluß des Staatsvertrages dieser gefährlichen Denunziation ausgesetzt, die SPÖ ist vor allem in Wahlkampfzeiten einer artgemäß verwandten Denunziation — als „Steigbügelhalter des Bolschewismus“ — ausgesetzt.

Die „vierte Front“

Dieses Spiel mit dem Feuer wird von Männern und Kräften mitentfacht, die an der vierten Front des Kommunismus-Komplexes sich engagiert haben: ehemalige Nationalsozialisten und junge Rechtsextremisten und ihnen nahestehende Gruppen und Kreise versuchen, innen- und außenpolitisch stärker ins Spiel und in den Besitz wichtiger Positionen im Staate zu kommen, indem sie sich als erstrangige, wenn nicht einzige „Kämpfer gegen den Bolschewismus“ deklarieren. Hier ist in den Jahren nach 1945 bis heute viel Verwirrung in Österreich angerichtet worden, nicht zuletzt durch eine zügellose Presse und eine sehr geschickt „gerichtete“ Propaganda.

Hier tut heute und morgen viel Volksaufklärung, politische Volksbildung und nicht zuletzt Selbstkritik und Selbstherstellung in den Großparteien not: es gilt, den politischen Aberglauben zu überwinden, daß „alte Kämpfer“, Nationalsozialisten und Rechtsextremisten neueren Schlages und gelegentlich mit ihnen im Bunde Exkommunisten die besten und hochwertigsten Kämpfer gegen den Kommunismus seien.

Die Demokratie kann nur von Demokraten verteidigt werden. Österreich kann nur von Österreichern behauptet werden.

Die planmäßige Denunziation von österreichischen Patrioten, von Politikern und Staatsmännern, die entschlossen für Österreichs Freiheit und Unabhängigkeit nach allen Seiten kämpfen, als „Kommunistenfreunde“, als „Russensöldlinge“ — Bundeskanzler Raab war mehrfach Zielscheibe solcher Angriffe - im Inland und Ausland, muß uns erinnern an jene kritischen Jahre vor 1938, in denen die Regierung Schuschnigg nicht zuletzt aus Angst und Sorge als „bolschewisten-freundlich“ von Italien und Deutschland angegriffen zu werden, es unterließ, mit demokratischen Sozialisten zu verhandeln. Eine art- und zielverwandte Propaganda gefährdet heute vor allem die Bemühungen, Österreichs Wirtschaft soweit eigenständig zu erhalten, als es für unsere staatliche Freiheit notwendig ist.

Mehr als eineinhalb Milliarden Dollar, die Österreich über den Marshallplan zuflössen, haben diesen Regenerationsprozeß der österreichischen Wirtschaft mächtig vorangetrieben. Im Innern wirkten sich vor allem zwei Tatsachen positiv aus: es gelang im wesentlichen den Arbeitsfrieden zu erhalten, wobei der neue Gewerkschaftsbund sich als ein staatserhaltender, verantwortungsbewußter Partner ersten Ranges erwies.

Die andere Kraft ist in dem energischen Willen der breitesten Volksschichten zu sehen, aus Elend, Not, Mangel, Entbehrung herauszukommen.

Die Wirtschaft — das Ringen um ihre Stabilisierung, um ihren Wiederaufbau und um den Anteil der einzelnen Gruppen an ihrem Produkt und Gewinn — prägt dieses erste Jahrzehnt der Zweiten Republik. Die Entwicklung in Richtung auf Vollbeschäftigung, zur Wohlstandsgesellschaft, eine beginnende Verschmelzung der Arbeiter und Angestellten zu einer Konsum-Gesellschaft auf relativ hohem materiellen Niveau: das alles begann sich um 1955 abzuzeichnen.

Flucht in die eigenen Gefühle

Österreich hatte nach 1945 reiche Hilfe vor allem von Amerika erhalten. Jetzt galt und gilt es, Österreichs Beiträge zur Überwindung von Hunger, Krankheit, Not, zum Wachsen von Frieden und Freiheit in aller Welt von Jahr zu Jahr zu steigern.

Auf diese ernsten Verpflichtungen war und ist man im Innern noch nicht ganz vorbereitet. Dasselbe gilt für den Innenraum selbst: unsere Wohlstandsund Konsumgesellschaft, reich ausgestattet mit Mobilien, Waschmaschinen, Fernsehgeräten und Luxusartikeln, sich selbst verzehrend in einem gigantisch steigenden Verbrauch von Genußmitteln, Drogen und Alkoholika, kann auf überfüllte Hörsäle, auf „vorsintflutliche“ Laboratorien und höchst mangelhaft ausgestattete Versuchsanstalten blicken. Wir sind in vielem zurückgeblieben, ja unterentwickelt: und die Angehörigen junger afro-asiatischer Staaten sehen erstaunt auf diese Dürftigkeit, wenn sie zuvor in anderen Ländern in West und Ost studiert, gearbeitet haben.

Der Weltruf wurde nicht wiedererlangt

Trotz bedeutender persönlicher Anstrengungen ist es — das muß offen einbekannt werden — Österreichs Wissenschaften nicht gelungen, den Weltruf wieder zu erlangen beziehungsweise zu behaupten, den etwa die Jurisprudenz und Medizin 1900 bis 1930 besaßen. Die Abwanderung hochbegabter junger Kräfte stellt, anders und verwandt der Lage 1918 bis 1938, ein ernstes Problem dar.

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