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Österreichs Schutzwehr

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Unser junges Bundesheer hat die Prüfung seiner ersten großen Parade glänzend bestanden. Darüber sind sich wohl alle einig, die dem militärischen Schauspiel, mit dem die Amtseinführung unseres neuen Bundespräsidenten ihren würdigen Abschluß fand, beigewohnt haben: die vielen Zehntausende unkritischer Zuschauer, die, in dichtem Spalier den Ring säumend, ihrer hellen Freude Ausdruck gaben, zum erstenmal wieder nach fast zwanzig Jahren österreichische Bataillone auf dieser historischen Straße defilieren zu sehen, ebenso wie die sachverständigen Beobachter, die sich kritischen Auges nicht eine Einzelheit entgehen ließen, die ihnen für die Beurteilung unserer wiedererstandenen bewaffneten Macht von Wichtigkeit war.

Ein höherer fremder Offizier faßte seine Eindrücke in der Bemerkung zusammen, es sei kaum glaublich, daß die Mehrzahl der Truppen, die an dem Vorbeimarsch teilnahmen, eine knapp siebenmonatige Ausbildungszeit hinter sich hätte; in der Armee seines Landes sei es ausgeschlossen, in einer so kurzen Zeit einen auch nur annähernd gleich hohen Grad von Disziplin, Strammheit und Präzision zu erreichen. Diese Erklärung eines ausländischen Fachmannes bedeutet nicht nur für die leitenden Stellen im Landesverteidigungsministerium, für die höheren Stäbe, für die Bataillons- und Kompaniekommandanten, für die in der Kaserne und auf dem Exerzierplatz mit der Detailausbildung betrauten Offiziere und Unteroffiziere ein ehrendes Zeugnis; in ihr liegt eine Anerkennung des vorzüglichen Geistes, der die Truppe beseelt und in dessen Ermangelung es nicht gelingen könnte,

nicht in sieben Monaten und nicht in der doppelten und dreifachen Zeit, den Neuling im Waffenhandwerk zu einem Soldaten zu erziehen, auf den das Vaterland stolz sein darf. Diesem wahrhaft soldatischen Geist, dem bereitwilligen Eifer, mit dem sich der junge Oesterreicher der militärischen Dienstpflicht unterzieht und bestrebt ist, sich die Fähigkeiten und Kenntnisse anzueignen, die er braucht, um voll und ganz seinen Mann zu stellen, kommt die allergrößte Bedeutung zu. In jeder Armee ist der Wehrwille, die Dienstfreudigkeit, die Moral der Truppe naturgemäß ein äußerst wichtiger Faktor, aber vielleicht nirgends so entscheidend wie bei uns, wo in Anbetracht aller sonstigen Umstände und Gegebenheiten die moralische Komponente geradezu die Grundlage zur Defensivplanung für den hypothetischen Ernstfall bilden muß.

Es ist durchaus begreiflich, daß das Landesverteidigungsministerium, das in der kurzen Zeit seines Bestehens mit unzulänglichen Mitteln Außerordentliches geleistet hat, nichts unversucht lassen will, um die aus den Restbeständen der seinerzeitigen Besatzungsmächte stammende und daher uneinheitliche und großenteils überalterte Bewaffnung des Heeres mit modernem Material zu ersetzen und erheblich zu vermehren. Dabei ist namentlich an die Panzerwaffe gedacht, noch mehr aber an die Luftstreitkräfte, die sich ja sozusagen noch im embryonalen Zustand befinden. Nun hält aber Oesterreich, was die finanziellen Aufwendungen für militärische Zwecke betrifft, wahrscheinlich den Weltrekord an Bescheidenheit. Nur 1,5 Milliarden Schilling, das sind weniger als fünf Prozent des Gesamt budgets, stehen im heurigen Jahr für das Heerwesen zur Verfügung, und was nach Bestreitung des Personalaufwandes und der sonstigen laufenden Ausgaben für den Ankauf von neuzeitlichem Kriegsmaterial — mangels einer eigenen Rüstungsindustrie notgedrungen im Ausland — erübrigt werden kann, fällt kaum ins Gewicht. Selbst wenn bei einer künftigen Verdoppelung des Verteidigungsbudgets, was bestenfalls vielleicht erwartet werden darf, die genannte Summe ausschließlich für solche Anschaffungen verwendet werden könnte, würde sich die Lage nicht in entscheidendem Maße verbessern. Denn der Käufer von Panzern, Düsenflugzeugen und anderem modernen Kriegsgerät kommt mit Schillingmillionen nicht weit, er muß in Dollarmillionen rechnen, und 1,5 Milliarden in unserem Geld sind eben bloß etwa 60 Millionen in der amerikanischen Währung.

Die Frage drängt sich daher auf, ob nicht ein anderer Weg einzuschlagen wäre, um die bestmögliche Verteidigung unserer Neutralität und territorialen Integrität im Falle X sicherzustellen. In eine irgendwie ernst zu nehmende Konkurrenz mit einer der Mächte treten zu wollen, die als potentielle Aggressoren in Betracht kommen können, wäre auf dem Gebiet der sogenannten konventionellen Rüstung — und eine „nichtkonventionelle“ ist uns ja allein schon durch den Staatsvertrag verwehrt — von vornherein ein aussichtsloses Beginnen; auch bei äußerster Anspannung unserer wirtschaftlichen und finanzieren Kräfte könnten die österreichischen Panzer- oder Luftgeschwader, gemessen an den in der potentiell feindlichen

Umwelt geltenden Maßstäben, niemals eine achtunggebietende Stärke erreichen. Was allerdings nicht bedeutet, daß das österreichische Verteidigungspotential nicht in einer Weise entwickelt werden kann und entwickelt werden sollte, die auch einem materiell weit überlegenen Gegner einen Einbruch über die österreichische Grenze als ein schwieriges und riskantes Unternehmen erscheinen lassen müßte. Die ersten Voraussetzungen hierfür, die Wehrfähigkeit, der Verteidigungswille, der soldatische Sinn des österreichischen Volkes, sind unzweifelhaft gegeben. Worauf es nun ankäme, wäre, dieses ungemein wertvolle Aktivum richtig einzusetzen. Durch Einführung von Waffenübungen, nicht nur für abgerüstete Mannschaften des jetzigen Bundesheeres, sondern vor allem für ältere gediente Jahrgänge, müßten starke Reserven geschaffen werden, die im Bedarfsfälle sofort, und zwar auch zur Aufstellung eigener Verbände, namentlich in bedrohten Grenzgebieten, verwendbar sein müßten. In den nicht weniger als vierzig Garnisonsorten, auf die das Bundesheer schon jetzt aufgeteilt ist, und in vielleicht noch weiter zu errichtenden Depots wären Waffen und Ausrüstung für diese Reserveverbände be reitzuhalten, so daß deren Mobilisierung und Einsatzfähigkeit binnen Stunden bewirkt werden könnte. Mit Panzer- und Luftabwehrwaffen entsprechend dotiert wären die Truppen der Reserve auch ohne Unterstützung durch das aktive Heer wohl imstande, die Angriffslust eines Aggressors zu dämpfen. Freilich, diese Vorsorgen und die Einrichtung der notwendigen permanenten Kader für die Reserve würden erhebliche Opfer erfordern, aber sicherlich weit geringere als der Versuch, das Bundesheer in seiner jetzigen Struktur zu einer Miniaturausgabe des Heeres einer Großmacht zu gestalten.

Vieles, was das Landesverteidigungsministerium bis jetzt unternommen hat, besitzt verständlicherweise einen experimentellen Charakter. Manches, so zum Beispiel die feldmäßige Ausrüstung des Infanteristen, ist vorzüglich geglückt: anderes, und da vor allem die Uniformierung, weit weniger. Die altösterreichische Feldkappe war ebenso kleidsam wie praktisch, was man vor ihrer jetzt getragenen Abart, der „Gebirgsjägermütze" deutschen Stils mit dem viel zu breiten Schild, nicht behaupten kann. Das Zivilhemd mit Krawatte, nach amerikani schem Vorbild, ist, militärisch gesehen, eine Unmöglichkeit; ein schlechter Ersatz für die alt- österreichische Bluse mit geschlossenem Steh- umiegkragen. Die Uniform des Soldaten soll ihn auf den ersten Blick als solchen kenntlich machen und eine Verwechslung etwa mit einem Zo,l- oder Postbeamten ausschließen; was gegenwärtig, worüber unsere Soldaten keine Freude haben können, nicht der Fall ist. In den genannten Punkten, und in verschiedenen anderen — wir möchten da auf die noch ausstehende Wiedereinführung des altösterreichischen Waffenrockes für Offiziere bei außerdienstlichen Anlässen hinweisen — wäre noch manches der Reform und der Aenderung bedürftig. Aber bei der Aufgeschlossenheit, die das Ministerium für Landesverteidigung bisher bewiesen hat, ist zu hoffen, daß bei allen Fragen, die unsere bewaffnete Macht und die Aufgaben, zu deren Erfüllung sie berufen ist, betreffen, schließlich die richtige Lösung gefunden wird. Eine Lösung im österreichischen Geist und unter steter Bedachtnahme auf die Interessen des österreichischen Vaterlandes.

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