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Rom, im Juni.

Der neapolitanische Reeder Achille L a u r o hat sich mit seiner Familie auf die elegante Privatjacht „Karama“ geflüchtet, sobald der triumphale Sieg seiner Liste bei den Gemeinde-und Provinzwahlen sich abzuzeichnen begann. Den Ueberschwang seiner Neapolitaner kennend, hielt er es für ratsam, von sicherem Ort aus eine Proklamation an das parthenopäische Volk zu erlassen: „Eine neue Aera...“ Lauro hat wohl nicht ganz die 300.000 Stimmen erhalten, die er verlangt hatte, sondern nur 276.618, aber immerhin genug, um im Rathaus allein regieren zu können. Neapel hat keine Politik gewählt, sondern einen Mann, einen wirklichen „Signore“, der reich genug ist, um sich eine Privatjacht halten zu können und es sich erlauben darf, von ihr aus Proklamationen zu eilassen.

Die äußerste Rechte Italiens verdankt es dem „Comandante“, wenn ihr Niedergang weniger sichtbar wird: die Rechte war bei den politischen Wahlen 1953 mit einer Stimmenzahl von 12,7 v. H. beteiligt gewesen, bei den Provinzial-wahlen 1956 mir mit 10,8 v. H. Aber der Anteil der Neofaschisten und nationalen Monarchisten Covellis betrug nur noch 8,5 v. H.

Auf der extremen linken Seite hat sich ein ähnlicher Vorgang abgespielt. Hier sind die Verluste der Kommunisten weitgehend durch die Erfolge der Linkssozialisten Nennis wettgemacht worden. Der Linksblock hatte 1-95 3

35.5 v. H. und 1956 35,1 v. H. aller Wählerstimmen erhalten. Wie groß der Aderlaß bei den Kommunisten gewesen ist, geht aus den Statistiken über die Provinzialwahlen nicht hervor, da die beiden Parteien in einem gemeinsamen Block auftraten. Die Ergebnisse der Kommunalwahlen, wo sie getrennt kämpften, liegen in ihrer Gesamtheit noch nicht vor. Aber die Verluste müssen beträchtlich gewesen sein, wenn Giancarlo Pajetta, heute die Nummer 2 in Italiens KP, von „Kräfteverschiebungen“ und einzelnen Rückschlägen sprach.

Die Parteien der Mitte haben ihren Anteil von 49,9 auf 52,7 v. H. erhöht. Trotz diesem scheinbar geringen Unterschied hat jedoch gerade das demokratische Zentrum mit den größten Ueberraschungen aufgewartet. Die Partei der Christlichen Demokraten ist zwar immer noch der feste Stützpfeiler des politischen Gebäudes, aber ihr prozentueller Anteil erniedrigte sich seit 1953 von 40,8 auf 38,9, während der rechte Flügel, die konservativen Liberalen, von 3,0 auf 4,2 und der linke, die immer noch oft als „Saragatianer“ bezeichneten Sozialdemokraten, gar von 4,5 auf 7,5 v. H. anstiegen. Die italienischen Linksparteien haben also heute

42.6 Prozent der Wählerschaft hinter sich. Der christlich-demokratische Parteisekretär, Amin-tore F a n f a n i, hatte sich wohl ein besseres Ergebnis seiner unermüdlichen Organisation-arbeit und Propaganda erwartet, vielleicht sogar im stillen auf eine Wiederholung jenes 18. April 1948 gehofft, der seiner Partei die absolute Mehrheit im Lande gebracht hatte.

Abgesehen von der erfreulichen Absage der Italiener an jeden Extremismus, haben die Wahlergebnisse mehr Dinge in Fluß gebracht, als die auf den ersten Blick unerheblich erscheinenden Veränderungen vermuten lassen. Die Wahlen waren, auch wenn es um Gemeinde- und Provinzausschüsse ging, unter einem politischen Vorzeichen gestanden, und folgenschwere politische Auswirkungen sind zu erwarten, mögen sie auch nicht sofort sichtbar werden. Fanfani will die Resultate als eine Bestätigung der Zentrumskoalition auffassen und weigert sich, aus ihnen Schlußfolgerungen zu ziehen, die im Widerspruch mit der bisherigen Regierungs-politik stehen könnten. Doch die so gegensätzlichen Liberalen und Sozialdemokraten, die bereits in der Vergangenheit schwer auf einen Nenner zu bringen waren, haben beide ihre Positionen gestärkt. Zwar wendet sich der liberale Leadcr Malagodi mit einem klassischen Zitat „Aequam memento“ aus dem Horaz beschwörend an die sozialdemokratischen Verbündeten: „O Mensch, bewahre deinen Gleichmut in den Widrigkeiten des Lebens und zügle deinen frechen Frohsinn in der Gunst der Stunde.“ Aber auf der gegenüberliegenden Seite hat man eine größere Sorge als die Aufrechterhaltung der Koalition. Die Stunde der Wiedervereinigung scheint günstig, nämlich der Zu-samme chluß der beiden sozialistischen Parteien.

Viele Kommunisten haben ihrem Gewissenskonflikt im Gefolge der unglaublich raschen Wendung ihres Parteiführers Togliatti vom Personenkult zur Gemeinschaftsführung, vom Sta-linismus zur Koexistenz durch eine Flucht in die Partei Nennis entrinnen wollen. Man mag einwenden, daß die Unterschiede zwischen dem Kommunismus und dem Linkssozialismus in Italien gering sind. Wenn es so wäre, würden die Hunderttausende, die sich unter Nennis Regenschirm stellten, betrogen sein. Das weiß Nenni so gut wie Togliatti. Nennis Furcht, „das Schicksal Saragats zu nehmen“ und von seinen Anhängern verlassen zu werden, hat heute weniger Grund als vorher. Seine Autonomie und seine Qualifizierung gegenüber den kommunistischen Verbündeten wächst mit der wachsenden Zahl seiner Parteimitglieder. Man braucht sich nicht dem unnützen Spiel hinzugeben und endlos die Blätter der Orakelblume entzupfen: Nenni löst ich, er löst sich nicht... Die Loslösung dürfte niemals mit der formalen Kündigung des gemeinsamen Aktionspaktes kommen, sondern der Pakt wird langsam seines Inhalts verlorengehen. Anzeichen dafür gab es bereits während der Wahlkampagne. Nenni hat scharfe Attacken gegen Tito und den Titoismus geritten, aber Togliatti ist es, der jetzt nach Belgrad zum großen Versöhnungsfest gefahren ist. Vor der Auslandspresse hat Nenni zugegeben, daß die gemeinsame Aktion manchmal Schwierigkeiten mit sich bringe. Und auf die Frage, wie er sich stellen würde, wenn sich die Kommunisten seiner eventuellen Zusammenarbeit, mit dem Zentrum — ohne Togliatti — widersetzten, erwiderte er: „Dann müßten die Kommunisten die Verantwortung übernehmen.“

Auch die Sozialdemokraten haben an Anhängerschaft zugenommen. Auch sie fühlen sich genug gestärkt, um das Gespräch .mit Nenni aufzunehmen. Innerhalb der Sozialdemokratie hat die Richtung des Parteisekretärs Matteo Matteotti, jene „gesprächsbereite“, gegenüber der des unbedingt koalitionstreuen Saragat das Uebergewicht erlangt. In den nächsten Tagen und Wochen wird die erste Fühlungnahme zwischen Nenni-Sozialisten und den „Saragatia-nern“, die keine mehr sind, stattfinden.

Kurz, die Verschiebungen innerhalb des „gestärkten“ Zentrums bedeuten in Wirklichkeit eine Schwächung der Koalition. Und es ist gerade auf dem Boden der neuen Gemeindevertretungen, wo sie sich zuerst fühlbar machen wird. Die Aufgabe der Majoritätsprämie zugunsten des Proporzsystems im neuen Wahlgesetz hat das Zentrum in Hunderten von Gemeinden um die sichere Mehrarbeit gebracht. In einigen großen Gemeinden, in Florenz und in Mailand, wollen .liberale und Sozialdemokraten nicht mehr zusammenarbeiten. Will Fanfani wirklich überall, wo keine arbeitsfähige

Verwaltung zustande kommen kann, Regierungskommissare einsetzen lassen? Sollen die Wahlen wirklich nach einem halben Jahr in hunderten Wohnzentren wiederholt werden?

Die christliche Demokratie befindet sich in einem peinlichen Dilemma. Fanfanis „Verschlußtheorie“ — verschlossene Türen nach rechts und links — läßt sich auf die Dauer kaum aufrechterhalten. Heute spricht man bereits von der Theorie des „von Fall zu Fall“: Bündnisse mit der Rechten im Süden und mit Nenni im Norden. Reine lokale Notwendigkeiten, heißt es, ohne politische Konsequenzen. Es bleibt abzuwarten, ob die Sozialdemokraten im Süden und die Liberalen im Norden damit einverstanden sind.

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