7127576-1997_11_05.jpg
Digital In Arbeit

„Ohne Euro droht Spaltung”

19451960198020002020

In Italien steht der radikale Umbau des gesamten politischen Systems zur Diskussion. Im furche-Gespräch nimmt Pietro Folena, Spitzenpolitiker des linksgerichteten PDS, der größten Regierungspartei, dazu Stellung.

19451960198020002020

In Italien steht der radikale Umbau des gesamten politischen Systems zur Diskussion. Im furche-Gespräch nimmt Pietro Folena, Spitzenpolitiker des linksgerichteten PDS, der größten Regierungspartei, dazu Stellung.

Werbung
Werbung
Werbung

DIEFURCHE: Welchen Reformen wird die parlamentarische Kommission für die Verfassungsreform Priorität geben? Wird ein Kompromiß mit den Forderungen der Rechts- Opposition in Richtung Präsidentialrepublik möglich sein?

pietro folena: Es ist Aufgabe der Verfassungskommission, den zweiten Teil unserer Verfassung, der die gesamte Organisation des Staates betrifft, grundsätzlich zu reformieren. Unser Interesse gilt besonders diesen vier großen Themen: Föderalismus, die Rolle des Parlaments und die der Regierung, das System der verfassungsgesetzlichen Garantien. Ich glaube, daß ein Kompromiß zwischen dem starken Präsidentialismus, den die Opposition fordert, und dem reinen Parlamentarismus, den wir in Italien haben, möglich ist, und zwar durch eine direkte Wahl des Regierungschefs, also eines stark legitimierten Kanzlers, in einem neugestalteten parlamentarischen Rahmen.

DIEFURCHE: Aufder Tagesordnung der Verfassungskommion steht aber auch eine Reform des Justizwesens: will man die Macht der Staatsanwälle einschränken?

folena: Dies ist der Punkt, wo unsere Ansichten am meisten von denen von Forza Italia (Partei des Medienzaren Silvio Berlusconi; Anm.) abweichen. Wir sind der Meinung, daß die Staatsanwaltschaften weiterhin eine starke Bolle behalten sollten. Sie müssen für ihr Vorgehen zur Verantwortung gezogen werden können, aber nicht von der Politik, wie Forza Italia es möchte, sondern von der richterlichen Gewalt selbst. Die in der Verfassung verankerte Pflicht des Staatsanwaltes einer obligatorischen Strafverfolgung bleibt für uns ein unverzichtbarer Wert, auch wenn diese Pflicht heutzutage oft nicht befolgt wird. Man müßte diesbezüglich mit einem Gesetz genaue Vorschriften erlassen.

DIEFURCHE: Alle demokratischen politischen Kräfte, von der Alleanza Na-zionale (l}ostfaschisten; Anm) bis zum PÜS, verlangen föderalistische Reformen, doch bü heute ist es noch nicht dazu gekommen.

Fol .ena: Die Trägheit des alten bürokratischen zentralistischen Systems ist sicherlich ein Grund dafür. Die Gesetzesvorlagen sehen bereits eine föderalistische Umwandlung des Staates vor. Nun muß die Verfassungskommission den Rest tun. Unsere Vorstellung ist die eines sehr subsidiären Föderalismus, also auf Gemeindeebene konzentriert, in der Kooperation einerseits und Wettbewerb andererseits vorherrschen. In diesem Rahmen haben die Regionen die gesetzgebende Gewalt, mit den üblichen Ausnahmen für den Bund.

DIEFURCHE: Ist der PDS auf dem Weg zur Verwandlung in eine sozialdemokratische Partei nach europäischem Muster?

FoLENA: Wir sind bereits eine sozialdemokratische Partei. Wir haben kein Muster, die großen nordeuropäischen sozialdemokratischen Erfahrungen sind dennoch ein gutes Beispiel. Besonders wichtig ist für uns die Entwicklung der Europäischen Sozialistischen Partei in eine richtige überstaatliche Partei.

DIEFURCHE: In Italien sind mehrere politische Ungereimtheiten zu beobachten, die in anderen europäischen Ländern kaum vorkommen: der Chef der Mehrheit ist nicht gleichzeitig Regierungschef, der Oppositionsführer kontrolliert das private Fernsehen, trotz eines Mehrheitswahlsystems gibt es im Parlament mehr Parteien als zuvor, darunter fünf Zentrumsparteien, und fünf verschiedene Wahlsysteme. Wird es dabei bleiben?

FOLENA: Ich stimme mit Ihnen überein. Es ist unsere Absicht, einen normalen Staat aufzubauen, in dem all diese Sonderbarkeiten sich nicht weiter fortsetzen, aber der Weg ist noch lang.

DIEFURCHE: Mit dem Verbündeten Ihrer Partei, der Rifondazione Comuni-sta (Kommunistische Neugründung, Altkommunisten; Anm) wird es dieser Regierung sehr wahrscheinlich nicht gelingen, die notwendigen Maßnahmen (Privatisierungen, Rentenreform und so weiter) durchzusetzen, um das Land wirtschaftlich zu sanieren. Ist auch eine andere Mehrheit vorstellbar? FOLENA: Nein. Man darf den Bipolarismus (Rechts-Bündnis - Links-Bündnis) nicht in der Wiege töten. Dies wäre eine weitere jener Eigenheiten, von denen Sie vorhin richtigerweise gesprochen haben. Das heißt aber nicht, daß man sich nicht um die Zustimmung der Opposition für ein paar wichtige Themen aktiv bemühen soll. Auf der anderen Seite muß man, wegen der externen Unterstützung der Regierung, mit den Kommunisten eine Übereinkunft finden.

DIEFURCHE: In den finanziellen und politischen Kreisen Furopas glauben die wenigsten an einen pünktlichen Eintritt Italiens in die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU). Was für Konsequenzen hätte der Ausschluß -für Italien und für Europa? FOLENA: Die Folgen wären dramatisch. Italien hat mit der Regierung von Romano Prodi eine starke Position wiedergewonnen, wir müssen nun ohne Verzögerungen der WWU von Anfang an beitreten, zusammen mit Deutschland, um jeden Preis. Die Folge für Italien wäre sonst eine irreversible Spaltung des Landes zwischen einem Norden der D-Mark bzw. des Euro und einem Süden mit der Lira. Für Europa hätte dies eine hinkende, monozentrische Union zur Folge.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung