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Ohne Julius Raab

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Noch ist es nicht Frühling, aber auch der Winter hat seine Kraft bereits verzehrt. Feuchtschwüle Nebel lagern über den Städten, wer ihnen entfliehen kann und in diesen Tagen auf die Höhen der Berge steigt, wird nicht immer durch klare Luft und weite Sicht belohnt. Seltsame Zeit — Zwischenzeit!

Die Männer der ersten Regierungspartei, die in diesen Tagen wieder einmal dem Semmering zustreben, geben sich kaum solchen Betrachtungen hin. Ihr Sinn gilt anderem. Was zunächst eine routinemäßige und durch Tradition beinahe schon ge

heiligte Zusammenkunft schien, in die nur von außenstehender Seite viel hineingeheimnist wurde, hat in den letzten Tagen eine Bedeutung bekommen, die über das Interesse der politischen Auguren und Kaffeesudleser weit hinausgeht. Die Zusammenkunft der Abgeordneten und führender Funktionäre der Landesparteileitungen sowie der Bünde der Volkspartei wird dieses Jahr ohne Julius Raab stattfinden. Selbst ein kleiner Blitzbesuch des Bundeskanzlers aus dem Krankenhaus könnte daran kaum etwas ändern, daß die auf dem Semmering versammelten Männer der ersten Regierungspartei sich allmählich mit dem Gedanken vertraut machen müssen, sehr bald ohne den Bundeskanzler Julius Raab auskommen und ihren Weg in die Zukunft nehmen zu müssen. Schon nennt man als Tag, an dem der Kanzler Abschied vom Ballhausplatz zu nehmen gedenkt, den 14. März.

Soll man diesen Tag wirklich im politischen Terminkalender und — auch das kann, ohne hochtrabend zu werden, gesagt sein — im Geschichtsbuch der Zweiten Republik vormerken? Die Österreicher kennen ihren Julius Raab. Sie wissen, daß er schon seit über einem Jahr da und dort vom Rücktritt, vom Abschied aus der hohen Verantwortung sprach und dabei sogar voraussichtliche Termine nannte, aber immer war ein kleines Augenzwinkern dabei — es könnte ja schließlich auch noch anders kommen

Das erste ernsthafte Symptom da-

für. daß es Julius Raab wirklich ernst sei mit einer Übergabe der Kanzlerschaft, erblickten politisch Eingeweihte darin, als er einen seiner getreuesten Helfer und Gefolgsleute um die Jahreswende aus der Bundesparteileitung in Richtung Argentinierstraße ziehen ließ. Dazu kam später die Wiederübernahme der Obmannschaft des Wirtschaftsbundes — eine Position, die jedem, auch wenn er nicht Julius Raab hieße, ein gewichtiges Wörtlein auch in Zukunft in der Partei mitsprechen läßt. Den letzten Ausschlag, von der allgemeinen Erörterung von Rücktrittsabsichten zu genauen Terminen überzugehen, gab aber letzten Endes wohl der sachlich eindringliche Rat der Arzte, in deren Obhut sich der Kanzler begeben mußte.

Ohne Julius Raab tagen die Männer der ersten Regierungspartei auf dem Semmering. Ihre Gespräche gelten wohl oder übel einer Volkspartei, die ohne Julius Raabs Persönlichkeit auf dem Ballhausplatz ihren Weg in die Zukunft nehmen muß. Es ist jetzt keineswegs die Stunde, um die imponierende politische Person des Kanzlers zu würdigen, seine Verdienste für die Positionsbestimmung Österreichs als freiem, unabhängigem und neutralem Staat an der Scheidelinie der großen Weltgegensätze zu gedenken und jenes eigenartige System des „Raabismus“ mit seinem Glanz, aber auch mit manchem seiner von Jahr zu Jahr deutlicher erkennbar werdenden Schatten zu analysieren. Davon wird zu gegebener Zeit ausführlich zu sprechen sein.

Versuchen wir, uns in die Lage der Männer auf dem Semmering zu versetzen, die von hier durch die Ver- hangenheit später Wintertage den Blick in die Zukunft der Volksparti

zu richten beginnen. Durch manche Schleier geht dieser Blick.

„Auf dem Semmering ist die dritte Österreichische Volkspartei zu schaffen, oder sagen wir genauer: der dritten Epoche dieser Partei Formen zu geben.“ Das Wort, vor einer Woche von einem Journalisten an der Salzach geschrieben, ist gut. Nur glauben wir nicht, daß dieser „dritten Volkspartei" in den zwei Tagen auf dem Semmering Form gegeben werden kann. Wird dies überhaupt in den nächsten Wochen, ja selbst in den nächsten Monaten möglich sein? Wünschenswert und bestimmt und auch notwendig wäre es. Allein, wer dies für die nächste Zukunft erwartet, verkennt die Struktur der Volkspartei. Vielerlei Kräfte sind hier heute am Werk. Mitunter könnte man sogar den Eindruck gewinnen, daß sie sich gegenseitig hemmen, zuzeiten sogar lähmen. Deswegen wird auch die bisweilen stürmisch geforderte Reform an Haupt und Gliedern, gleichgültig ob unter den in Reichenau aufgepflanzten „bürgerlichen“ Bannern oder unter dem Zeichen einer Besinnung auf das christliche und soziale Erbe, weder auf dem Semmering noch anderswo stattfinden. Heute nicht.

Resignation? Nein, Realismus.

Um eine durch die Lande eilende . und selbst die letzte schlafmützigste ■ Parteizelle aufstörende Bewegung aus- ( zulösen, bedürfte es eines heftigen ; Anstoßes oder einer großen Herausforderung, der man sich einfach nicht entziehen kann. Im Zeichen der trotz Abschwächungen bestehenden Hochkonjunktur und in einer Zeit, in der handfeste materielle Interessen auch in der ersten Regierungspartei nicht klein geschrieben werden, beinahe eine Illusion. Lassen wir sie deshalb außer Rechnung. Dazu kommt noch, daß das alte biologische Gesetz, unter großen Bäumen wachse in kurzer Zeit nichts gleiches heran, immer wieder, wenn ein „starker Mann“ Abschied nimmt, in Erinnerung gerufen wird. Die große Reform der Volkspartei ist zur Stunde jedenfalls Traum. Was aber getan werden kann und getan werden muß, ist dies: Es sind konsequent die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß in einer veränderten Umwelt jene „dritte Volkspartei" wachse und werde, bevor äußere Anstöße dies gebieterisch fordern.

Wenn wir richtig informiert sind, spricht sich Julius Raab dafür aus, die Wiedervereinigung des Amtes des Bundeskanzlers mit dem des Parteiobmannes als Gebot der Stunde zu vollziehen. Der Nachfolger Raabs als Parteiobmann heißt Dr. Alfons Gorbach. Der Nachfolger Raabs als Bundeskanzler wird dementsprechend ebenfalls Dr. Alfons Gorbach heißen. Diese Nomination zeichnete sich in den letzten Monaten schon deutlich ab, sie darf heute als Gewißheit gelten. Der Schwerkriegsbeschädigte Offizier des ersten Weltkrieges, der temperamentvolle Streiter heißer politischer Kämpfe in den Jahren vor 1938, der dritte Präsident des Österreichischen Nationalrates der Zweiten Republik weiß genau, daß er nicht eben der — österreichische Kennedy ist. Mit dem Vulgärmaterialismus unserer Tage Schluß zu machen, die Phantasie der Österreicher anzusprechen, sie an eine „neue Grenze“ zu führen, mag nicht gerade seine Sache sein. Vor dieser Selbsttäuschung bewahrt ihn schon sein silbernes Haar. Dennoch hieße es . den armen Grafen“ inmitten der auf ihre jeweilige Hausmacht in den Ländern oder Bünden gestützten „Fürsten“ der Partei, deren Stunde jetzt nach der Abschwächung der starken „Kaisergewalt“ ohne Zweifel geschlagen ihat, unterschätzen, wollte man ihn

nur als „Ersatzmann“ ansehen.

Warum verschweigen, was bekannt ist: Nicht alle Worte und Taten des „Taktikers“ Gorbach haben vor Jahren uns ansprechen können. Ein gewisser politischer Relativismus, der jedes weltanschauliche Bekenntnis für überholt ansieht und eine stärkere staatspolitische Profilierung bewußt vermeidet, hat seinerzeit von Graz aus Starke Impulse bezogen. Um so erfreulicher war es aber, zu sehen, wie Präsident Gorbach, der lange Zeit von manchem als „rechter Flügelmann“ der Partei angesehen wurde, als Parteiobmann ins Zentrum gerückt ist. Ein Faktor der Kontinuität, ein Mann des Ausgleichs, der Mitte und des Maßes, der auch den richtigen Ton im Gespräch mit dem Partner und Gegner auf der linken Seite zu finden versteht, das ist Gorbach heute. Und das allein gilt. So mag er der Lotse sein, der vom festen Ufer, das die Ära Raab bildete, abstößt und das Schiff der Partei und der Regierung bewegten Gewässern und widrigen Winden, die uns die Zukunft gewiß nicht ersparen wird, entgegenführt. Mehr noch. Der Lotse verläßt freilich ein Schiff nach getaner Arbeit, ohne sich um dessen weiteres Schicksal zu kümmern. Das darf man schon heute Dr. Gorbach nicht zutrauen. Selbst wenn er die auf ihn zukommende Zeit höchster

Verantwortung für Staat und Partei nur unter zwei Gedanken stellt, dann werden ihm beide wahrhaft zu Dank verpflichtet sein. Diese beiden Maxime aber heißen: Die Heran- und auch Hineinführung der nachrückenden Generation in die Volkspartei und die Inangriffnahme des „geistigen Nachziehverfahrens“, das dem wirtschaftlichen Aufbau folgen muß, sollen nicht Staat und Volk an Leib und Seele Schaden erleiden. Wenn nichts anderes dazu mahnt, dann die Aktivität, die die zweite Regierungspartei an der „Kulturfront" zu entfalten beginnt.

Ein Drittes kommt hinzu — vielleicht ist es das Erste: Es gilt, vor der Bevölkerung die Fehlmeinung zu korrigieren, daß es in der Volkspartei außer einer Hand voll Männern, die seit vielen Jahren „die Last des Tages tragen", keine anderen gibt, die das Zeug haben, höchste Verantwortung für den Staat zu übernehmen. Die personelle Zusammensetzung der neuen Regierung Gorbach könnte das Gegenteil beweisen.

Sind das geringe Aufgaben? Wahrlich nicht. Sie aber sind nur die Voraussetzung dafür, daß die Partei, aber auch das Land bestehen können, eben wenn die Flut steigt, die Winde widriger werden und nicht mehr Julius Raab auf der Kommandobrücke steht.

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