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Ohne levantinischen Charme

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Libanons Schicksal steht auf des Messers Schneide. Das Land gleicht einem havarierten Schiff, dessen Kapitän an Bord blieb und dessen Steuermann es im Stich ließ. Hilflos treibt es in den Orkan, dessen Wolken sich schon zusammenziehen. Der Kapitän ist Charles Helou, der im Präsidentenpalais ausharrt, obwohl er von allen verlassen wurde. Der Steuermann ist Regierungschef Kerami, dessen Demission inzwischen auch die restlichen fünf Kabi- nettsmätglieder folgten.

Beirut hat in den letzten Monaten seinen ganzen levantinischen Charme verloren. In den volkreichen Moslemvierteln herrscht Revolutionsstimmung. In den Flüchtlingslagern und den Machtzentren der Guerillas spricht man offen vom Umsturz. Die Christen, die sorgenvoll in die Zukunft blicken, bleiben möglichst in ihren Quartieren. Im Judenghetto, das hermetisch abgeriegelt ist, herrscht Pogromfurcht. Die größte Gefahr ist der seit langem nicht mehr zu kontrollierende Waffenzufluß. Nicht nur die Partisanen verfügen über wohlgefüllte Arsenale, von syrischer Seite erhielten sie jetzt angeblich sogar schwere Waffen, auch die anderen Bevölkerungsteile haben vorgesorgt.

Die kürzlich wiederholte amerikanische Existenzgarantie für den Libanon spielt dabei die Rolle des Katalysators für die arabische Wut gegen das verhältnismäßig freiheitliche und im arabisch-israelischen Streit ziemlich zurückhaltende Land. Genüßlich kolportieren muselmanische Kreise unbewiesene Gerüchte über das Auftauchen eines Flugzeugträgers der sechsten US-Flotte vor der Küste und heizen damit die antiamerikanische Anti-Regierungsstimmung weiter an. Guerillas wie radikale Araberregierungen in Damaskus, Kairo und Bagdad wollen, erstens, verhindern, daß der Libanon stillschweigend aus der arabischen Einheitsfront gegen Israel ausschert. Zweitens nehmen die Gegensätze unter den Partisanengruppen ständig zu. Am besten übertünchen könnte man sie durch einen spektakulären Erfolg über die zu „schlappe“ Regierung in Beirut oder einen Schlag gegen den jordanischen Monarchen. Die radikalen Araberführer brauchen, drittens, endlich einen der Siege, sie sie ihrer Bevölkerung seit dem verlorenen Sechstagekrieg dauernd prophezeien. Gegen Israel können sie ihn nicht erringen. Also versuchen sie es im Libanon und in Restjordanien. Käme es in diesen beiden Ländern zu Umstürzen, wäre das ein „gewaltiger Sieg“ für die gedemütigten und gefährdeten „Pro- gressisten“ in Kairo und Damaskus. Fraglich ist, ob die erwähnte amerikanische Garantie auch gegen einen solchen Versuch wirksam würde.

Der große Unbekannte ist die Haltung Israels. Würde es einen grundlegenden Wandel in den beiden Nachbarstaaten hinnehmen? Von der Antwort auf diese Frage, die hier jeder stellt und die niemand beant worten kann, hängt vielleicht das Schicksal Libanons ab.

Auch Jordanien ist ein Ziel der offensichtlich gesteuerten Umsturzkampagne palästinischer Guerillas und progressistischer arabischer Regierungen, die man seit dem letzten Wochenende im Nahen Osten beobachten kann. Den Regierungen in Kairo, Damaskus und Bagdad und einem Teil der Partisanen geht es um den Sturz des seit dem Sechstagekrieg verschonten König Hussein und die Beseitigung der Haschi- mitenmonarchie. Beide betrachten sie als das letzte Hindernis gegen einen totalen revolutionären Volkskrieg bis zur Vernichtung des Zionismus.

Der Monarch stützte sich bisher auf die zwar zurückgegangene, aber immer noch vorhandene Sympathie seiner Beduinenkrieger und der transjordanischen Bevölkerung sowie auf ein Abkommen mit „el-Fatach“. Ihm zufolge unternahm er nichts gegen die von transjordanischem Gebiet aus operierenden Guerillas, und deren Chef Arafat unterließ dafür jegliche Agitation gegen die Regierung. Es hat den Anschein, als hielte sich „Abu Ammar“, wie ihn seine Anhänger nennen, auch weiterhin an diesen Vertrag.

Untergrund gegen Untergrund

Nicht so jedoch die ohnehin nicht an ihm beteiligten konkurrierenden Widerstandsgruppen. Sie entfesselten in den letzten Wochen einen geheimen Untergrundkampf gegen die Leute Arafats. Er begann mit einem allerdings fehlgeschlagenen Bombenattentat gegen den „el-Fatach“-Sprecher in Amman. Letzte Woche folgte ein bis jetzt unaufgeklärter Raketenüberfall auf das Büro der mit „el-Fatach“ fusionierten PLO in Beirut. Bei ihm erlitt der Bürochef, Schefik el-Chut, Verletzungen. Zwei Ausländer, ein Österreicher mit dem arabisierten Namen Achmed Rauf und ein angeblicher holländischer Fernsehreporter, verschwanden rechtzeitig ins Ausland. Die PLO machte offiziell den israelischen Geheimdienst „Mossad“ verantwortlich für den Anschlag. In Beirut vermutet man jedoch dahinter die Hand der „Volksfront für die Befreiung Palästinas“ (PFLP).

Deren abgefallene orthodox-marxistische Fraktion PDFLP gewinnt Anhänger jedoch auch unter den bislang unbeteiligten transjordanischen Stadt- und Landbewohnern und vor allem unter den längst integrierten Altflüchtlingen. Während die „el-Fatach“ zunächst nur die Rückeroberung der besetzten Gebiete anstrebt und sich die „Volksfront“ vorwiegend auf Einzelaktionen spektakulären Zuschnittes, aber geringer militärischer Wirkung beschränkt, verkündet die PDFLP eine logisch klingende Ideologie. Ihr Chef Hauetmi ist zwar nicht gegen den Partisanenkampf, glaubt aber, ein marxistisches arabisches und ein marxistisches israelisches Regime würden problemlos miteinander aus- kommen.

Dahin mag es ein Weg ohne Ende sein, doch entspricht das letztlich der in den Massen untergründig vorhandenen Friedenssehnsucht. Hauetmi zeigt den Weg zu einer extremen Lösung, den kein anderer arabischer Politiker bislang zu finden wußte.

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