Orbáns Mission

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Die jüngsten Änderungen des Grundgesetzes in Ungarn sind ein Schlag gegen die Gewaltenteilung, schreibt die Neue Zürcher Zeitung.

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Die jüngsten Änderungen des Grundgesetzes in Ungarn sind ein Schlag gegen die Gewaltenteilung, schreibt die Neue Zürcher Zeitung.

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Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán hatte den Wahlsieg von 2010, der seiner Partei Fidesz eine Zweidrittelmehrheit einbrachte, zu einer Revolution an den Urnen überhöht. Im klaren Votum des Wahlvolks, in dem auch eine Absage an die Misswirtschaft und Korruption der Sozialisten zum Ausdruck kam, sah Orbán die Legitimation, Ungarn nach seinen eigenen Vorstellungen politisch und wirtschaftlich von Grund auf zu erneuern - als ob das Land zuvor keine Demokratie gewesen wäre und es nichts gegeben hätte, worauf man hätte aufbauen können. Das Herzstück der Umgestaltung war eine neue Verfassung. Zweifellos gab es Gründe dafür. Das Land war damals in einem schlechten Zustand. Der Fidesz machte sich denn auch sogleich mit missionarischem Eifer ans Werk. Die Zweidrittelmehrheit war knapp, und es hätte ja geschehen können, dass sie abbröckelt, bevor das Werk vollendet ist.

Bruch der rechtlichen Kontinuität

Die neue Verfassung, wurde in aller Eile und im Alleingang durch das Parlament gepeitscht. Für Orbán stellt sie eine historische Zäsur dar, die Vollendung der Wende vom Kommunismus zur Demokratie. Doch ist sie die Verfassung einer einzigen Partei, und sie spaltet die Nation mehr denn je.

Der Fidesz hat zahlreiche umstrittene Gesetze in den Verfassungsrang erhoben, die nur mit einer Zweidrittelmehrheit geändert werden können. Und solche wird kaum eine Partei oder Koalition so schnell wieder erringen. So dürfte die Verfassung auch für eine neue Regierung zu einer schweren Hypothek werden.

Orbán nutzt heute die Zweidrittelmehrheit gnadenlos dazu aus, die Macht seiner eigenen Partei zu zementieren. Nun ging Orbán aber noch einen Schritt weiter. Mit der am Montag verabschiedeten vierten Änderung des Grundgesetzes reagierte der Fidesz auch auf frühere Urteile des Verfassungsgerichts. Dieses hatte eine Reihe von Regelungen in den Übergangsbestimmungen für ungültig erklärt. Nun wurden einige von ihnen, unter Umgehung des Urteils des obersten Gerichts, in die Verfassung eingeschleust. Eine derartige Aushebelung des Verfassungsgerichts ist ein Verstoss gegen rechtsstaatliche Prinzipien und auch ein Schlag gegen die Gewaltenteilung.

Recht und Macht

Die obersten Richter dürfen künftig Verfassungsbestimmungen in der Regel nur noch auf ihr formal gültiges Zustandekommen überprüfen. Der Inhalt wird damit ihrer Kontrolle entzogen. Auch dürfen sie ihre Urteile nur auf die neue Verfassung abstützen, nicht aber auf frühere Entscheide. Für den Fidesz beginnt die Demokratie in Ungarn offenbar erst mit dem Amtsantritt Orbáns. Das bedeutet eine Absage an jegliche politische Kontinuität seit der Wende 1989. Nun folgt auch der rechtliche Bruch. Der Wahlsieg erweist sich als Stunde null. Die Rechtspraxis von 22 Jahren wird damit faktisch ausgelöscht.

Viele Verfassungsgesetze mögen inhaltlich demokratischen Standards entsprechen. Problematisch ist aber die Vorliebe, politisch umstrittene Vorhaben unter Ausnutzung der Zweidrittelmehrheit zu Verfassungsgesetzen zu erklären, die damit kaum mehr geändert werden können. Dazu gehören Maßnahmen gegen Obdachlose, die im Übrigen von den obersten Richtern zuvor für verfassungswidrig erklärt worden waren, ebenso wie Auflagen für Hochschulabsolventen, die ein staatliches Stipendium erhalten hatten. Der frühere Staatspräsident und Jurist Laszlo Solyom bezeichnete in einem Vortrag in Bern die seiner Meinung nach politisch motivierten Zusätze als gefährlichen Rückschritt, denn die Verfassung werde nicht aus rechtlichen Erwägungen geändert, sondern aus parteipolitischen.

Aus Neue Zürcher Zeitung, 13. März 2013

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