Orbán - © Foto: APA / AFP / Attila Kisbenedek

Orbáns Rolle rückwärts

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Ungarn war der erste Staat, der sich 1989 die Freiheit nahm. Heute badet es in Patriotismus.

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Ungarn war der erste Staat, der sich 1989 die Freiheit nahm. Heute badet es in Patriotismus.

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"Die Ungarn haben uns das Mandat für drei Ziele erteilt", interpretierte Premier Viktor Orbán am Abend der EU-Wahlen das Wahlergebnis vor dem futuristischen Bálna-Gebäude am Budapester Donauufer: "Zuallererst, dass wir die Einwanderung stoppen, dass wir das Europa der Nationen sowie die christliche Kultur in Europa schützen. Wir brauchen Führungskräfte, die stolz auf die 2000 Jahre christlicher Kultur sind." Orbán, dessen Parteienbündnis Fidesz-KDNP 52,14 Prozent der gültigen Stimmen abgeräumt hatte, inszenierte sich einmal mehr als Verteidiger des christlichen Abendlandes, das er in den Demokratien Westeuropas nicht in guten Händen sieht. Vor allem Brüssel, also die EU-Kommission und das Europaparlament, sind dankbare Feindbilder. So plakatierte man im Wahlkampf landauf, landab hässliche Bilder von Jean-Claude Juncker an der Seite von George Soros. Der in Ungarn geborene Milliardär, der weltweit liberale Organisationen fördert, ist für Orbán das liebste Hassobjekt -ungeachtet der Tatsache, dass er 1989/90 dank eines Soros-Stipendiums in Oxford studieren durfte.

Ágnes Vadai, Abgeordnete der sozialdemokratischen Demokratischen Koalition (DK), spricht im Interview mit dieser Zeitung von einer Politik des Hasses: "Zuerst hassten sie Brüssel, multinationale Konzerne und Banken. Jetzt hassen sie Soros und die Migranten." Diese Politik sei schwer zu bekämpfen: "Wenn jemand starke Gefühle entwickelt, ist es schwer, mit Fakten und Richtigstellungen zu argumentieren."

Banken, Migranten, Soros. Auch Daniel Hegedüs, Analyst für Internationale Beziehungen und Politik beim German Marshall Fund of the United States, glaubt, Orbán wäre auch ohne Flüchtlinge erfolgreich: "Er würde mit großer Wahrscheinlichkeit eine andere Krise finden, die diese populistische Mobilisierung weiterhin ermöglichte. 2010 hat er die große Wirtschaftskrise instrumentalisiert. 2015 hat er mit der Flüchtlingsbewegung eine weitere Krise gefunden." Im Notfall "gestaltet er die europäischen Krisen auch aktiv mit", meinte Hegedüs bei einem deutsch-ungarischen Expertentreffen in Erfurt im vergangenen Oktober. Da die freie Presse weitgehend ausradiert ist, werden die Botschaften Orbáns ungefiltert bis in den hintersten Winkel des Landes verbreitet.

Terror und Bankkarten

Wie Pressearbeit in Orbáns Ungarn funktioniert, beschrieb Márton Gergely vom liberalen Wochenmagazin HVG jüngst in der Berliner taz. Bei einem Pressebriefing in Brüssel habe sich der Korrespondent der staatlichen Presseagentur MTI zu Wort gemeldet: Warum die Kommission an "Migrantenkarten" festhalte, fragt er. Die Bankomatkarten sind Gegenstand einer Verschwörungstheorie, die Ministerpräsident Viktor Orbán persönlich nährt: In Griechenland verteile die Europäische Union solche anonymen Karten, mit der illegale Migranten größere Summen abrufen können. So werde Terrorismus finanziert. Ein genervter Sprecher erklärt einmal mehr, dass an den Vorwürfen nichts dran sei, die EC-Karten seien "sehr erfolgreich", weil sie den Missbrauch der Finanzhilfen ja gerade ausschließen. Wenig später sei der Pressesprecher der ungarischen Regierung in Budapest vor die Kameras getreten: Es sei ein Skandal, dass die Kommission immer noch von einem "sehr erfolgreichen Programm" spreche, wo doch Terroristen damit finanziert würden. Gergely zitiert einen Kollegen von den staatlichen Medien: "Der Korrespondent ist nicht dafür da, Fragen zu stellen, er muss lediglich Zitate von der Kommission liefern, um eine Geschichte am Laufen zu halten." Er interessiere sich in Wirklichkeit gar nicht für die Karten, müsse aber dem Pressesprecher irgendetwas entlocken, "damit die Regierung zu Hause weitermachen kann".

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