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Pakistan!

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Vor wenigen Tagen hat der britische Vizekönig Lord Louis Mountbatten den Führern der indischen Parteien den Efitschluß der englischen Regierung bekanntgegeben, Indien den Status als Dominion zu verleihen. Aber es ist nicht das unter der Krone des British Indian Empire geeinte Indien^ das, vom Indus bis zum Ganges reichend, alle Völkerschaften, Rassen und Sprachen dieses Raumes umschloß. Denn der Status angenäherter Souveränität, der allen derartigen Gliedern de* britischen Imperiums zusteht, wird zwei getrennten Gebieten, Hindustan und Pakistan, zuerkannt. Er soll bis Oktober dieses Jahres verwirklicht werden. Diese beiden Länder sollen dann selbst die Entscheidung treffen, ob sie nach dem 1. Juni 1948, dem Endtermin für die Zurückziehung Englands aus Indien, im Empire verbleiben wollen oder nicht.

Der Gedanke eines selbständigen moslemi-tischen Staates in Indien ist durchaus neu. Er wurde 1933 von einer Gruppe junger Moslems erstmals vorgebracht, und noch vor 1937 nahm ihn niemand ernst. Erst die unfreundliche Haltung des indischen Kongresses gegen die Moslems nach den Wahlen jenes Jahres brachte dem Pakistangedanken wirkliches Leben. Die Mohammedaner, 94 Millionen an der Zahl, fühlten sich nun in ihren Rechten zurückgesetzt und als Minorität. Diese Volkszahl, größer als die jedes europäischen Staates mit Ausnahme der Sowjetunion, siedelt vornehmlich in fünf Provinzen, deren Bevölkerung freilich sehr gemischt ist. Es sind dies.

Gesamt- Moslems

bevölkerung in Prozenten in Millionen

Pundjab 28 Mill. 57 16

Sind 4 Mill. 70 2,8 Nordwestl.

Grenzgebiete 3 Mill. 91 2,7 •

Bengalen 60 Mill. 54 • 32,4

Assam 10 Mill. 33 3,3

Gerade die bevölkertsten Provinzen, von denen hier die Rede ist, Bengalen und Pundjab, weisen demnach nur eine schwache moslemitische Majorität auf. Dies ergibt schwierige Probleme, die nach dem britischen Plan durch eine Aufteilung der gemischten Provinzen selbst, auf Grund von Volksabstimmungen geregelt werden sollen. In Bengalen ist die Hauptstadt Kalkutta von Hindus bewohnt, der Ausfuhrhandel des moslemitischen Teiles der Provinz müßte sich auf den Hafen Chittagong stützen. Eine Abspaltung* der „Burdvan Division“ genannten Landstriche von Bengalen, würde den Anteil der muselmanischen Bevölkerung in der Restprovinz auf 65 Prozent steigern. Nach der Volksabstimmung in Bengalen soll auch in dem überwiegend von Moslems bewohnten Ostdistrikte Sylhet der Provinz Assam ein Referendum stattfinden, ob sich dieser dem muselmanischen Ostbengalen anschließen wolle. Ähnlich, nur noch verwickelter, liegen die Verhältnisse im Pundjab. Die Moslemliga trachtet in diesen Teil ihrer Machtsphäre, der das eigentliche Pakistan darstellt, Kaschmir einzubeziehen, das zu 76 Prozent von Mohammedanern besiedelt ist. Eine Loslösung von Ambala aus dem Pundjab würde den muselmanischen Hundertsatz im verbleibenden Teile von 57 auf fast 63 erhöhen. Man sieht, daß eine befriedigende Scheidung schwer ist, und daß nach all dem noch gewaltige Minoritäten ■verbleiben würden. Überdies siedeln im Pundjab die Sikhs, ein ungemein disziplinierter und lebenstüchtiger Stamm, der die besten Soldaten der britisch-indischen Armee stellte. Diese fürchten ebenso eine Majori-sierung durch die Moslems, wie jene eine solche durch die Hindus. Es handelt sich um eine wirtschaftlich starke und technisch sehr begabte Volksgruppe von etwa vier Millionen, deren Hauptort, Amritsar, von erheblicher Bedeutung ist. Master Tara Singh, der Führer der Sikhs, steht in strikter Ablehnung gegen die Moslems, deren Führung einen weiten Blick beweisen wird müssen, um diese, einer kastenlosen Kriegerreligion anhangende, also auch religiös abweichende Gruppe mit Vorsicht zu behandeln.

Da die moslemitische' Bevölkerung der eingangs aufgezählten fünf muselmanischen Kernprovinzen nur etwa 57 Millionen betragt, wohnen 37 Millionen in das weite übrige Territorium Indiens eingesprengt, Teile von ihnen auch im Süden der Halbinsel Dekkan. Es ist kein Wunder, daß sonach in Indien die gleichen Probleme in Erwägung stehen, die über Europa soviel Sorge und Leid gebracht haben: Umsiedlung und Neuansiedlung, bei welcher Bevölkerungsteile völlfg verschiedener Lebensbedingungen und Lebenskreise lediglich auf Grund der gemeinsamen religiösen Zugehörigkeit zu einer wahren Völkerwanderung verurteilt würden.

Alle diese Schwierigkeiten treten jedoch hinter jenen zurück, welche sich aus der geographischen Lage Pakistans einerseits und den hochfliegenden politischen Aspirationen der Moslemliga andererseits ergeben. Pakistan gruppiert sich in seinem westlichen Teile um den Indus, in seinem östlichen„ d n sogenannten Nordostprovinzen, um den. unteren Ganges. Dazwischen liegen, mehr als tausend englische Meilen breit, die hinduistischen Zentralprovinzen. Der Führer der Moslemliga, Jinnah, hat vor Bekanntmachung der neuesten britischen Indienerklärung ein Programm von acht Punkten veröffentlicht, das unter anderem einen Korridor durch das erwähnte zentralhindustanische Gebiet fordert. Der Kongreßsprecher C. R. Rajagopalachari hat diesen Wunsch als „absurd“ und „phantastisch“ bezeichnet und gegen eine solche Konstruktion leidenschaftlichen Protest erhoben, von der klar ist, welch gefährliche Waffe sie in den Händen eines so machtstrebenden Partners wäre. Da Jinnah gleichzeitig erklärte, er werde jeder Teilung von Bengalen und Assam in einem Kampf „um jeden Zoll breit Bodens“ entgegentreten, scheint eine befriedigende Regelung dieser dornigen Fragen noch vor vielen und bedrohlichen Klippen zu stehen. — Pakistan soll nach Jinnahs Wunsch selbständiges Mitglied der Liga der Vereinten Nationen werden. Seine Stellungnahme zur panislamitischen Bewegung hat Jinnah vorsichtig-ausweichend formuliert und den indischen Fürstenstaaten die Wahl freigestellt, sich für Pakistan oder Hindustan zu entscheiden. Tatsächlich wird von einigen der indischen Fürsten ein Zusammenschluß dieser Territorien zu einem eigenen „Radschistan“ propagiert. Im ganzen darf bei diesen Fragen nicht vergessen werden, daß die Mohammedaner auf eine glanzvolle Tradition der Herrschaft über ganz Indien zurückblicken. Unter Akbar dem Großen (1556—1602), der übrigens weitgehende religiöse Toleranz übte und auch Jesuiten an seinen Hof zog, erlebte sie ihren Höhepunkt. Jinnahs Sekretär hat es einmal offen ausgesprochen, die Moslemliga wolle nicht nur Pakistan, sondern ganz Indien erobern.

Die Teilung Indiens kann schließlich nach britischer Meinung die Geltendmachung nicht unbedeutender Gebietsansprüche der Nachbar- ' Staaten, vor allem Afghanistans, Nepals und Chinas auslösen, die bisher dem machtvollen Britisch indien gegenüber nicht durchgesetzt werden konnten. Afghanistan ist nicht gewillt, die von England gemachten Eroberungen dessen Reditsn achfolgern zu belassen, und man glaubt, daß es wenigstens die Rückgabe von Peshawar beanspruchen werde. Ahnlicher gilt für Belutschistan und die stets unruhigen Nordwestprovinzen. Das ganze bisherige, durch komplizierte Verträge und militärische Zonen gesicherte Grenz-sytem Indiens könnte ins Wanken kommen — vor allem im Sektor Pakistans.

Die Erklärung der Teilung Indiens in die unabhängigen Staaten Hindustan sowie Pakistan ist von Pandit Nehru und Jinnah mit Zustimmung aufgenommen worden. Werden damit die vielfältigen und sorgenvollen Probleme des indischen Raumes gelöst sein?

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