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Pakistan und sein geistiger Hintergrund

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Nicht mit Unrecht wurde von britischer Seite gesagt, der Entlassung Indiens aus dem Verbände des Empires sei nur der Entschluß Paschalis IL, um der Freiheit der Kirche 'Villen auf alle geistlichen Hoheitsrechte im eich zu verzichten, an die Seite zu stellen. Der Europäer hat Indien gegenüber eine völlig neue Haltung einzunehmen. Es ist vor tllem' die Frage, ob Indien nach Abzug der 'iritischen Streitkräfte überhaupt noch unter diesem Namen bestehen wird. Soweit die Pressemeldungen uns Kenntnis vermitteln, sind Kongreß wie Muslimliga bereit, jenen Subkontinent zu teilen. Es wird also ein neuer .slamischer Staat künftig im Osten auf-auchen, und damit wird auch der Komplex 10m Bosporus über Tanger bis zum lalaiischen Archipel ganz neuen Möglichkeiten gegenüberstehen. Noch weiß niemand vcher, welche Territorien das künftige Pakistan umfassen soll. Sein Name bedeutet etwa „H e i 1 i g 1 a n d“ oder „kultisch reines Land“, enthält jedoch in den Buchstaben Pak die Initialen von Panjab, Afghanistan und Kaschmir. Die Muslims Indiens leben jedoch ium größten Teil in der Diaspora und drängen sich nur im trocken-subtropischen Panjab zu 56 Prozent der Bevölkerung und im heißfeurhten Bengalen zu 54 Prozent zusammen. Ihr Mittelpunkt Delhi, Hauptstadt des alten Mogulreiches, sieht die Muslimen als die kleinere Hälfte der Einwohner. Die Gesamtzahl der Mohammedaner Indiens beträgt etwa 94 Millionen, also mehr als die ihrer Glaubensgenossen in ganz Vorderasien zusammen. Man darf nicht etwa denken, daß diese Massen von einer zentralistisch einge-•tellen H:erarchie zusammengehalten werden. Ihre Ulama sind ziemlich lose in Verbänden zusammengeschlossen. Obwohl ge- , nügend Sekten und die große Gruppe de{ Schi'a vorhanden sind, bekennt sich doch die übergroße Mehrzahl zur Sünna, wie Türken und fast alle Araber. Rassisch ist ihr Grundstock indisch, und ebenso ist es sprachlich be-tellt. Und dennoch kann jeder Fremde mmer wieder hören: „Meine Nation ist . Musulmän“.

Ihre Liebe zur Unabhängigkeit ist im Volksempfinden nicht vom Nationalstaats-i;edanken getragen. Der Hindu kann die Muttergöttin Kali mit dem fruchtbaren Indien identifizieren, dem Muslim widerstrebt dies. Er hat andere Speiseverbote als der Hindunachbar, völlig verschieden ist sein bildloser Kult, und verschieden sind seine patriotischen Ideale. Gerade die mohammedanischen Eroberer Indiens wie die vielbesungene Mahmud von Ghazna sind die großen Gestalten unzähliger Volksepen. Die in den letzten Jahrzehnten stark angewachsene islamische Literatur bringt immer wieder Erzählungen aus den Ländern der einstigen Kalifenherrschaft. Hier in Indien herrscht auch nicht wie in der Türkei ein gewisses Ressentiment gegen den früheren theokra-tischen Staat mit der Tyrannei eines Abdul-hamfd. Freiheitliche Ideen waren unter der britischen Herrschaft nie behindert gewesen und jederzeit in Presse und Versammlung 'usgesprochen worden. Bis zum Ende der Mogulherrschaft war der Muslim Mitglied der herrschenden Klasse. Die britische Zeit brachte ein erneutes Anwachsen des Hindueinflusses vom aufstrebenden Kalkutta her. Gerade in dem gut europäisch gebildeten Bengali Bäbü sieht der Muslim ein Symbol fremden Einflusses, der ihn selbst einst seiner Vormachtstellung beraubt hatte. Als man im Dritten Reich versuchte, unter Führung des Bengalen Subhäs Tschandra B6se einen ziemlich naiven Nationalismus unter indischen Kriegsgefangenen zu propagieren, konnte man unter Mohammedanern hören: „Wie können wir uns hinter einen Ungläubigen stellen?“ Der Muslim denkt beim politischen Führer zugleich an den Vorbeter, iHr vor der Gebetsreihe der Andächtigen die Zercrronien leitet. Der letzte große Versuch einer Erhebung Indiens 1857 stand unter Führung von Mohammedanern. Der letzte Mogul war zugleich Dichter, und sein Vers „Solange unter Glaubenskriegern der Duft des Glaubens bleibt — Solange wird Indiens Schwert bis I ondön reidien“, war der Untertitel einer in Berlin gedruckten Freiheitszeitung.

Der Islam Indiens bedurfte also nicht erst eines europäischen Gedankens vom Selbstbestimmungsrecht der Völker, um nach Unabhängigkeit zu streben, sondern die Tradition der Großväter genügte ihm. Ein viel wich- J tigeres Problem ist ihm die Aufrechterhaltung seiner Eigenkultur gegenüber einer allenfalls aggressiv werdenden Mehrheit der Hindu. Unter britischer Herrschaft hatten die Muslimen ihre Universitäten und sonstigen kulturellen Anstalten ruhig unterhalten können. Hätte ein Zentralismus nach westlichen Mustern ihnen diese Vorrechte auf die Dauer gewährleistet? Gewisse Erscheinungen bei den Wahlen in den Provinzen scheinen zu Befürchtungen Anlaß gegeben zu haben. Der Muslim hat nämlich der britischen Verwaltung eine gewisse Steigerung seines Einflusses dadurch zu verdanken, daß seine Sprache, wie er sie ihn Delhi spricht, das Urdü oder Hindustani, sich durch die Armee wie die Administration in ganz Indien zur Lingua franca entwickelt hat. Nun ist dieses Urdü wohl ein echt indischer Dia-likt, jedoch ist er, so wie das Englische, mit romanischen Wörtern und grammatischen Formen, mit arabischen und persischen Elementen stark durchsetzt. Zudem wird diese Sprache in der ästhetisch hervorragenden persischen Tacliqschrift geschrieben. Die Versmaße in der Dichtung sind, wie alle Gleichnisse, den großen persisdien Vorbildern gefolgt. Diese Sprache ist eme durchaus islamische, und die Osmäniya-Universität in Haiderabad entnimmt bei der Abfassung von modernen Wörterbüchern immer wieder ihre Termini dem modernen Arabisch, wie es in Kairo fortgebildet wird.

Demgegenüber schreibt der Hindu mehr und mehr den gleichen Dialekt mit der alten Devanagarischrift und entnimmt seine fehlenden Ausdrücke dem Sanskrit, so daß tatsächlich die höhere Sprache für den Muslim nicht mehr verständlich ist. Bei Rundfunkübertragungen sind daher bereits erhebliche Schwierigkeiten entstanden. Politische Artikel können nicht in einer gemeinsamen indischen Sprache geschrieben werden, da alle Ausdrücke, die über den Alltag hinausgehen, entweder dem Arabischen oder dem Sanskrit entnommen werden müssen. Also auch die indische Sprache ist in einen islamischen und einen hinduistischen Zweig streng geschieden.

Man muß an all dies denken, will man einen Begriff von der Schwierigkeit des Zusammenlebens der beiden Kulturen sich bilden. In dieser vor allem seit etwa hundert Jahren immer weiter ausgebildeten Sprache hat der Muslim nun auch eine ansehnlidie Literatur geschaffen, die ein Spiegelbild seiner Ideen ist. Den nachhaltigsten Einfluß unter allen Urdüdichtern übt heute der vor Beginn des Krieges gestorbene Muhammad I q b £ 1 aus. Er hat dem Muslim Indiens am meisten ins Gewissen geredet. Eigentümlicherweise stammt dieser hervorragende Literat aus einer islamisierten Brah-manenfamilie Kaschmirs. Seine orientalische Bildung ergänzte er noch in England und Deutschland. So ist er Kenner des Westens wie des Ostens und hatte darum der letzten Generation genug zu sagen. Von ihm stammt . das überall gesungene Nationallied: „Aller Länder schönstes ist mein Indien —

Es ist der Rosengarten, wir sind darin die Nachtigallen.“ /

Es ist noch ganz auf den nationalen Gedanken eingestellt und mahnt auch zur Versöhnlichkeit unter den Religionen. Jedoch immer mehr entwickelte sich bei Muhammad Iqbal der Glaube an die Sendung des Islams, um den Osten vordem Materialismus Europas zu retten. In dieser Haltung ähnelt er etwa auch Mahätmä Gandhi, doch ist sein Ideal kein indisches, sondern übernational, er nennt es „das ideale Hidschas“, das Reich einer neuen islamischen Kultur. Das Nationallied der indischen Muslimen aus seiner Feder besagt die ganz deutlich: „Arabien, China sind unser, ganz Indien ist unser — Muslimen sind wir, die ganze Welt ist unser Vaterland — Du Garten Andalusiens, ge.lenkest ja noch unser — die Tigriswelle erzählt noch unsere Heldensage ...“

Mit blitzenden Augen singen es die jungen Anhänger der großen, pfadfinder-gleichen Organisation des Khäksär im Panjab wie der dunkelhäutige Diasporamuslim in Haiderabad: „Im Schatten der Schwerter sind wir aufgewachsen — unser Nationalzeichen ist der Halbmondsäbel“. Am gewaltigsten jedoch hat seine große Dichtung gewirkt: „Die Klage“ und „Die Antwort auf die Klage“. Wegen ihres problematischen Charakters nennt der Inder sie gern den „Faust Indiens“. Ganz im Stile der großen Perser, wie Hafiz oder Dschelal-eddin, beschwört Iqbal darin alle großen Ideen des Islams vergangener Jahrhunderte. Die Erinnerung des Kampfes für den Monotheismus, wm in er die gewaltigste Leistung der Muslimen sieht, steht im krassen Gegensatz zu seiner Ohnmacht heute. Er klag, darum Allah selbst an, der seine getreue Gemeinde im Stich lasse. Aber auch die andere große Zeit im Islam läßt er in berückender Weise aufleuchten, die Zeit der religiösen Genies, der Mystiker, der „großen Liebenden“, die sich für Gott verzehrten wie der Falter in der Kerzenflamme. Er fragt nad) dem Wohin all dieser Gottesfreunde, die ihre reichen Gaben mit sich nahmen und still gegangen sind. „Nun geh und suche sie mit der bunten Laterne!“ Die Ulama exkommunizierten den kühnen Dichter, nahmen aber den Bann zurück, als dieser die „Antwort auf die Klage“ veröffentlichte. Gott anwortet darin dem Muslim, und zwar hält er ihm das geringer werdende religiöse Bedürfnis der Gemeinde de's Propheten vor, den Säkula-rismus, die Bequemlichkeit gegenüber dem strengen Gesetz Mohammeds, die nationalistische Aufspaltung gegenüber dem einstigen universalen Reich des Kalifats: „Ihr s^id alles mögliche, nur Muslims seid ihr nicht!“ Dann gibt er ihnen aber wieder Mut und zwar durch den Hinweis, daß der Monotheismus noch nicht überall verbreitet sei, daß die Dattelpalme des Islams immer noch ein lebendiger Baum sei, daß die Welt von heute ein Feuerbrand sei, der viel altes Gut zerstöre, jedoch könne der Islam existieren, auch wenn seine von ihm geführten Kulturen dahin seien. Er sei jener Joseph des Alten Testaments, der den Staub jede Vaterlandes vom Saume streife und sich überall sein Kanaan schaffe, also übernational! Dann weist Iqbal aber noch auf die auch ohne Gläubige ewig existierende Wahrheit an sich hin, und zwar greift er als wohl einziger unter den führenden Geistern des modernen Islams die gnostische Lehr auf von Mohammed als dem präexistierenden Weltbildner, am ehesten dem Christus der Arianer nahekommend, wie ihn die halborthodoxe Mystik des Islams immer wieder in leuchtenden Farben malte. Die neuplatonisch gedachte Welt der Ideen gehöre ja dem Muslim: „Die wohlverwahrte Tafel und das Schreibrohr, sie sind dein.“

Unzählige Male habe ich indische junge Muslimen diese Dichtung mit hinreißendem Pathos vortragen gehört, in allen Mittelschulen wird sie gelesen und kommentiert, selbst in die Gefangenenlager gelangte sie immer wieder durch das Rote Kreuz. Sie hat den Islam Indiens gerade an der richtigen Stelle getroffen. Der moderne Skeptiker wird darin ebenso abgetan wie der starrsinnige Verfechter des Kultgcsetzes. Der Sinn für Gottesminne und Askese wie für heldenmütiges Sidieinsetzen für die Sache des Islams, „den Duft des Blütengartens des Eingottglaubens“ zu verbreiten und das sehnsüchtige Weiterziehen der läutenden Karawane auf dem Wege zum ideellen Hidschas, der neuen Weltkultur im Sinne eines Gottesreiches, wie es der arabische Prophet predigte, all dies erhält ein neues Leben durch des Dichters Verse. Iqbäls Briefwechsel mit dem Führer der Muslimliga Mohammed Ali Dsdiinnäh wird in Indien veröffentlicht und zeigt deutlich seine Anschauung über d i e politische Trennung des islamischen Volksteils im bisher britisch-indischen Verwaltungsgebiet von dergroßen Hindu m a s s e.

Die Frage des Zusammenlebens beider Kulturen ist also eine äußerst schwierige, die hinduistische neigt zur Vergottung von Nation und Vaterland und bleibt daher irgendwie „blut- und bodengebunden“, die islamische ist das Widerspiel der katholisdien und sieht in der ganzen Ökumene ihr Betätigungsfeld und ihre Heimat. Es steht zu erwarten, daß der Einfluß des indisdien Islams sich auch in den heute vom Nationalismus^ beherrschten Ländern Westasiens stark auswirken wird und zum Beispiel der Frage nach dem Kalifat, der Palästinaangelegenheit, der Zukunft des westlichen Nordafrika usw. neue ideologische Auftriebe gibt.

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