Paradoxe Warnung vor Völkermord

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Die Vereinten Nationen verschärfen durch ihre Genozid-Warnung den Konflikt im Kongo, schreibt die Berliner „taz“.

Wenn die UNO vor einem Völkermord im Kongo warnt, ist das einerseits ein gutes Zeichen. Es zeigt, dass die Sprengkraft des neuen Krieges der Demokratischen Republik Kongo im Osten endlich erkannt wird. Und es ist höchste Zeit: Die mörderischen Kämpfe und Vertreibungen im Ostkongo währen schon jahrelang, ethnische Polarisierung und Hass sind in den letzten Jahren stetig gewachsen.

Andererseits tappt die UNO in eine Falle. Die Warnung vor einem drohenden Völkermord gehört auf allen Seiten zentral zur propagandistischen Mobilisierung in Ostkongos neuem Krieg. Der Tutsi-General Laurent Nkunda legitimiert seine Rebellion damit, dass Ostkongos Tutsi schutzlos seien gegenüber der kongolesischen Regierung. Denn diese arbeitet militärisch mit Hutu-Milizen aus Ruanda zusammen, die 1994 am Genozid an den dortigen Tutsi teilnahmen und bis heute die Ausrottung aller Tutsi wollen. Nkundas Gegner wiederum werfen ihm vor, andere Ethnien auslöschen zu wollen, vor allem die kongolesischen Hutu. Als Beleg dienen derzeit die Massaker von vergangener Woche an Hutu im Ort Kiwandja.

Propaganda-Rhetorik eilt militärischer Realität voraus

Nun können sich all diese Kräfte durch die UNO bestätigt fühlen, zumal deren Beauftragter Deng es bei seiner Warnung vermieden hat zu sagen, wer denn eigentlich an wem Völkermord plane. Das hilft nicht weiter. Sowohl das Lager von Kongos Präsident Joseph Kabila als auch das der Rebellen um Nkunda eilen dieser Tage mit ihrer Rhetorik weit der militärischen Realität voraus. Die einen denken, sie könnten ohne funktionierende Armee einen Krieg gewinnen, die anderen wollen ohne breitere Unterstützung ihren Krieg bis ins ferne Kinshasa tragen.

Da sollte alles unterlassen werden, was die Kriegstreiber auf beiden Seiten in ihrer Weltsicht bestätigt. Wenn die UNO ihre Warnung ernst meint, muss sie auch etwas gegen den Völkermord tun. Sie kann nicht einerseits einen Genozid fürchten und gleichzeitig betonen, es gäbe keine militärische Lösung im Kongo. Das ist ein Armutszeugnis. Wenn es Völkermordplaner im Kongo gibt, muss man sie mit Gewalt unschädlich machen. Und muss man den bedrohten Bevölkerungen effektiven Schutz bieten.

Die internationalen Pressestimmen sind sich einig

Die dänische Zeitung Politiken meint dazu: Die Geschichte dieses Landes ist derart blutig verlaufen, dass die Umwelt sich nur schwer dazu verhalten kann. Jetzt am vordringlichsten ist die Entsendung von mehr internationalen Friedenstruppen mit stärkerem Mandat, um den derzeitigen Wahnsinn zu stoppen. Die EU sollte sich angesichts der großen Mitschuld europäischer Kolonialmächte am kongolesischen Elend besonders stark verpflichtet fühlen.

Paris-Normandie aus Rouen kommentiert wiederum: Kann die Diplomatie den Wahnsinn noch aufhalten, der im Gange ist? Ein Wahnsinn, der von ethnischem Groll genährt wird, aber auch vom Reiz des Profits. Die Region hat Erze im Überfluss, von denen manche sehr selten sind. Und die Armeen der beiden Lager sind die wichtigsten Lieferanten der westlichen Unternehmen, die natürlich vollkommen zivilisiert sind. Und zweifellos gewillt, die Grausamkeit zu kritisieren - die ihrer Lieferanten.

Und der britische Independent schreibt: In diesem großen Land hat es anderswo bereits viel schlimmere Kriegsgräuel gegeben, doch sind sie in Regionen versteckt, die durch verfallene Verkehrswege unzugänglich geworden sind. Die Gefahr besteht, dass Goma ein weiterer Fototermin für besorgte westliche Minister wird. Nach Jahrzehnten des Krieges haben die Menschen im Kongo Besseres verdient.

„Die Tageszeitung“, 10. November 2008

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