6775433-1969_20_04.jpg
Digital In Arbeit

Parlament vor letzter Runde

19451960198020002020

War einst die ÖVP-Alleinregierung mit dem stolzen Fahrplan in die laufende Legislaturperiode gegangen, die gesamten in der Verfassung vorgesehenen vier Jahre zwischen zwei Nationalratswahlen zur Arbeit zu nützen — so steht die derzeitige Innenpolitik diesem Vorhaben nicht entgegen. Die Zeit bis zum 1. März 1970 (immerhin zehn Monate) wird kaum zur sachlichen Arbeit zu verwenden sein: denn der Wahlkampf hat fast schon begonnen.

19451960198020002020

War einst die ÖVP-Alleinregierung mit dem stolzen Fahrplan in die laufende Legislaturperiode gegangen, die gesamten in der Verfassung vorgesehenen vier Jahre zwischen zwei Nationalratswahlen zur Arbeit zu nützen — so steht die derzeitige Innenpolitik diesem Vorhaben nicht entgegen. Die Zeit bis zum 1. März 1970 (immerhin zehn Monate) wird kaum zur sachlichen Arbeit zu verwenden sein: denn der Wahlkampf hat fast schon begonnen.

Werbung
Werbung
Werbung

Von den 82 Vorlagen, die ins Parlament gekommen sind und die auf die einzelnen Ausschüsse aufgeteilt wurden, dürften nicht mehr allzuviel erledigt werden. Die ÖVP selbst steht nämlich vor einem großen Dilemma: Beschäftigt die Alleinregierung das Parlament allzusehr, gibt sie damit der Opposition die Bühne für spektakuläre Auftritte gegen die Regierung frei; hält die Regierung jedoch das Parlament auf „Sparflamme“, kann sie ihre hochgesteckten Vorhaben nicht erfüllen und gerät in die massive Kritik von allen Seiten, vor allem aber auch in den Beschuß der eigenen Interessengruppen, die legislative Wünsche haben. Dieser Widerspruch manifestiert sich • nicht zuletzt sehr stark in den beiden Spitzenfunktionen in der ÖVP. Bundeskanzler Josef Klaus drängt immer wieder auf Erledigung der offenen gesetzlichen Probleme und hat einen großen Korb von Wünschen an das Parlament. ÖVP-Klubobmann Hermann Withalm wiederum teilt die bereits von allen Kluhs wiederholte Klage von der „Überforderung“ des Parlaments und möchte die noch zu erledigenden Materien beschränkt wissen.

„Abrechnung“ in der Budgetdebatte

Ganz verständlich freilich ist die Klage der Parlamentarier nicht; vor allem dann nicht, wenn man die wirklich kurzen Sitzungsperioden in diesem Frühjahr in Rechnung stellt. So verstrichen zahlreiche Wochen in diesem ersten Halbjahr ohne Plenumsdebatten, und auch mehrere Ausschüsse traten nur höchst selten zusammen. Daz i kommt, daß man sich in der Präsidialkonferenz auf keinen Ausschußfahrplan einigen konnte und somit wahrscheinlich auch der ganze Mai für die parlamentarische Tätigkeit verloren geht. Im Juni und sicherlich auch im Juli wird man dann bei schon hochsommerlichen Temperaturen lustlose Mehrheitsbeschlüsse fassen und die Zeit bis Ende Oktober wieder ohne parlamentarische Arbeit verbringen. Die Sozialisten werden die Zeit vor der Sommerpause dazu benützen; ihre letzten Gesetzesinitiativen zu beantragen. Insbesondere werden sie der Regierungspartei die Entscheidung über die 40-Stunden-Woche nicht schenken.

Der Herbst aber soll die großen Stunden der Opposition bringen. Nach den Scheingefechten gegen die freie Berichterstattung durch Rundfunk und Fernsehen (der SPÖ-Klub sprach sich neuerlich gegen die vom ORF gestalteten Bild- und Tonbe-richte aus) soll die Budgetdebatte von der SPÖ zur großen sieht- und hörbaren spektakulären Abrechnung mit den vier Jahren Alleinregierung benützt werden. Man trägt bereits jetzt — so versichern SPÖ-Parla-mentarier — konkretes Material gegen die einzelnen ÖVP-Ressorts zusammen, um schonungslose Kritik zu üben.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird es auch klarwerden, was die ÖVP-Alleinregierung in ihrer Regierungserklärung vom 20. April 1966 zwar versprochen, aber nicht gehalten hat. Vom „harten Kern“ der Regierungserklärung sind bisher folgende Punkte unerledigt:

• ein konkretes Verhandlungser-eebnis mit der EWG

• die Bereinigung der Südtirolfrage

• Maßnahmen für eine regionale Strukturpoiitik

• ein effektiver Energieplan

• eine Reorganisation der verstaatlichten Industrie, die als „dauerhafte Lösung“ bezeichnet werden kann.

Noch im Vorjahr hatte Bundeskanzler Klaus aber auch eine Reihe weiterer Programmpunkte, die nun sicherlich nicht mehr erfüllt werden können, angekündigt. So etwa eine umfassende Hochschulreform, ein neues Strafgesetz, ein Pressegesetz, eine Neuordnung des Zivilschutzes, Strukturmaßnahmen für die Landwirtschaft, Sozialmaßnahmen für die Bauern.

Angesichts dieser vielen unerledigten Probleme und der schlechten Wahlerfolge in Salzburg und Wien breitet sich unter den Mandataren und höheren Funktionären der ÖVP eine zunehmende Ratlosigkeit, ja zeitweilig Resignation aus.

Kampf um den NichtWähler

So sah sich auch Vizekanzler Withalm gezwungen, angesichts des von den Sozialisten schon vorgezeigten harten Wahlkampfes gleichfalls auf „hart“ zu schalten und den Funktionären klarzumachen, daß es für die ÖVP um Sein oder Nichtsein geht. Man müsse, so meinte Withalm im „Volksblatt“, „die Unterschiede zwischen den beiden großen Parteien klar und deutlich zum Ausdruck kommen“ lassen. Und Withalm kündigte an, daß „die Auseinandersetzungen im Parlament, die schon bisher nichts an Härte fehlen ließen, in den letzten Monaten dieser Gesetzgebungsperiode noch härter werden“. Auch in den Hauptquartieren bereitet man sich gleichfalls bereits auf den Wahlkampf vor, dessen zentrale Aussagen schon ziemlich klar sind:

• Die SPÖ wird kein grünes Blättchen des Lobes am Baum der ÖVP-Alleinregierung lassen und eine konsequente und totale Oppositionsfront bilden. Bruno Kreisky hat deshalb auch schon ausgesprochen, daß das Wahlziel der SPÖ 1970 eine Alleinregierung darstellt.

• Die ÖVP wird gerade diese (angesichts der letzten Wahlerfolge der SPÖ) konkret mögliche Alleinregierung zu Angstparolen ummünzen, die Unisicherheit und Gefahr eines solchen Risikos aufzeigen.

Die ab nun einsetzende Wahlkampf-stimmung wird aber übereinstimmend von beiden Hauptquartieren als Hauptargument für eine zu erreichende hohe Wahlbeteiligung ins Treffen geführt; denn man könne nur dann den Wähler zur Urne lok-ken, wenn dieser den Eindruck hat, „daß es um etwas geht“.

Angesichts der Sorge um die Nicht-wähler gibt es auch Rechner in den Parteien, die doch noch meinen, daß es zu einer Mini-Wahlrechtsreform kommen könnte. Denn Anfang März 1970 werden immerhin rund 60.000 Österreicher beispielsweise auf Scbi-urlauib sein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung