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Parole „Sozialoffensive“

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„Arbeitnehmerpartei?“ ist der Titel einer Meinungsäußerung aus dem Bereich der Vereinigung österreichischer Industrieller („Die Furche“, Nr. 47 vom 20. XI. 1965), die zu einer Antwort, vor allem vom Standpunkt des ÖAAB aus, provoziert. In diesem Artikel heißt es: „Die österreichische Volkspartei ist als eine Partei der Sammlung gegründet worden, das war ihr großer Vorteil und ihre Stärke. Warum soll diese Grundidee fallengelassen werden?“ In der Antwort auf diese seine rhetorische Frage verweist der Verfasser des Artikels auf Kräfte innerhalb der Volkspartei, „die der Partei mit allen Mitteln das .Image' einer Arbeitnehmerparted geben wollen und die darauf bedacht sind, die Partei von dem Makel einer ,Kapita-listenpartei' reinzuwaschen... Besonderen Auftrieb haben diese Bemühungen durch die Parole von der Sozialoffensive erhalten, die der österreichische Arbeiter- und Angestelltenbund jüngst auf seinem Bundestag in Krems ausgegeben hat.“ — Das kann nicht unwidersprochen bleiben.

Der Verfasser des Artikels ist der Leiter der Presseabteilung der Industriellenvereinigung Herbert Krejci, einer „der besten Köpfe, über den die Industrie auf dem Feld der Publizistik verfügt“, wie der Herausgeber der „Furche“ hervorhebt. Krejci hat mir nun eine Polemik gegen seinen Furche-Artikel dadurch nicht erleichtert, daß er in der Novembernummer des „Pfarrerbriefs der Vereinigung österreichischer Industrieller“ einen längeren Auszug aus einem von mir verfaßten, in der „Freiheit“, dem Bundesorgan des ÖAAB, veröffentlichten Artikel zustimmend wiedergibt und in dem anschließend positiven Kommentar mich persönlich ehrend erwähnt. Das verpflichtet zumindest zur Höflichkeit. Höflichkeit ist kein Zeichen von Schwäche, schließt aber Aufrichtigkeit nicht aus, die immer bewiesen werden muß.

Wirtschaftsgesinnung ist moralisch!

Aufrichtigkeit drängt zu der Feststellung, daß der von Herbert Krejci erhobene Vorwurf „mangelnder Wirtschaftsgesinnung“ keinesfalls den ÖAAB treffen kann. Nicht der ÖAAB ist es, der sich „scheut, in aller Öffentlichkeit für eine gesunde, starke Wirtschaft einzutreten“, und der ÖAAB wäre die falsche Adresse auch für die nachfolgenden Sätze: „Man bekennt sich nur schüchtern, und wenn es unbedingt notwendig ist, dazu, tut aber so, als ob wirtschaftlicher Fortschritt unmoralisch wäre und als ob die Unternehmer... Menschen zweiter Ordnung wären“.

Hat Herbert Krejci übersehen, was In der Resolution zur Wirtschafts-und Sozialpolitik, die vom Bundestag des ÖAAB in Krems einhellig beschlossen worden ist, klar und eindeutig festgestellt wird? Es heißt da zum Beispiel: „Der weitere materielle, soziale und kulturelle Aufstieg des österreichischen Volkes hängt weitgehend von der Wirt-schaftsentwicklung ab. Vollbeschäftigung, Währungsstabilität und eine für alle befriedigende Verteilung des Sozialprodukts setzt die Sicherung des Wirtschaftswachstums voraus.“

„Arbeitnehmercharakter“

Aufrichtigkeit drängt weiter zu der Feststellung, daß nicht ganz zutrifft, was Herbert Krejci zu den Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland schreibt, die der CDUCSU bekanntlich am 19. September durch Stimmen- und Mandatsgewinne einen die Erwartungen dieser deutschen Schwesterpartei der ÖVP übersteigenden Erfolg brachten. Den geringfügigen Stimmenverlust in Nordrhein-Westfalen von 1,1 Prozent (in den übrigen Ländern Stimmengewinne bis über 25 Prozent!) führt Krejci, der Tendenz seines Artikels gemäß, darauf zurück, daß der „Arbeitnehmercharakter“ der von den CDU-Sozialausschüssen gestellten Kandidaten zu sehr herausgestellt worden sei. Diese Meinung bildete er sich zu einseitig nach den „Kommentaren“ der Christlich-Sozialen Kollegenschaft, in denen freilich nichts anderes zum Ausdruck kommt als die Rivalität und die Spannungen zwischen den CDU-Sozialausschüssen, die eine innerparteiliche Gliederung der CDU/CSU sind, und der Christlich-Sozialen Kollegenschaft, die zwar im Gesamtbereich der Unionsparteien wirkt, aber außerhalb dieser Parteien steht: also die Spannungen zwischen den beiden Gruppierungen, dn die sich (neben anderen) die nicht-sozialistische Arbeitnehmerschaft in Westdeutschland leider aufspaltet.

Anläßlich seines Besuches im Wiener Bundeshaus des ÖAAB hat der Sozialminister von Nordrhein-Westfalen, Konrad Grundmann, in einem ausführlichen persönlichen Gespräch ein völlig anderes Bild von den deutschen Bundestagswahlen vermittelt. Inzwischen ist gerade der Bundesvorsitzende der CSU-Sozialausschüsse, der sehr temperamentvolle und geschickt taktierende Kölner Bundestagsabgeordnete Hans Katzer (vgl. „Die Furche“ vom 3. XI. 1965), übrigens ein Schwiegersohn Jakob Kaisers, in der neugebildeten Regierung Erhard Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung geworden; und selbst auf einer in Duisburg abgehaltenen Tagung der Christlich-Sozialen Kollegenschaft in Nordrhein-Westfalen wurde dem Wunsch Ausdruck gegeben, die CDU möge sich nunmehr als Gesamtpartei stärker als bisher den Problemen der Arbeitnehmerschaft widmen. Dies steht in auffallendem Gegensatz zu den Auffassungen von Herbert Krejci, der das deutsche Beispiel ja deswegen anführt, um seinen der Österreichischen Volkspartei erteilten Rat zu untermauern, sie möge „ihre sozialen Inhalte nicht in den Vordergrund“ stellen, da ja „die Sozialisten das Soziale seit hundert Jahren für sich gepachtet hätten“.

Das Nochniedagewesene

Und so bin ich trotz der eingangs erwähnten persönlichen Hemmungen in die Polemik hineingeraten, die im gegenwärtigen Zeitpunkt zumindest unter Freunden, auch aus schwererwiegenden Gründen lieber zu vermeiden wäre. Steht uns doch für die nächsten Monate ein Wahlkampf bevor, in welchem die Polemiken bis zur Weißglut aufgeheizt werden dürften. Immer noch klingt in meinem inneren Gehör die Stimme Leopold Kunschaks nach, mit der er am 9. Februar 1934 in der letzten Sitzung des Wiener Gemeinderates vor der Katastrophe einen Appell richtete an den „reinen Willen und die sittliche Kraft, das Trennende zu meiden, das Einigende zu suchen!“

Und das 20jährige Jubiläum der Gründung der „Furche“ durch Friedrich Funder wäre ein Anlaß, in deren erster Nummer nachzulesen, wie nach den ersten Nationalratswahlen der wiedererstandenen Republik das

„Nochniedagewesene“ gewürdigt wurde, „daß alle Parteien mit derselben Hauptparole auf die Walstatt zogen. Sie hieß: Österreich! Und das Volk, das zu den Urnen kam, hat die große Parole verstanden.“

Unter dem Vorsitz jenes christlichen Arbeiterführers Leopold Kun-schak ist am 14. April 1945 im Wiener Bundeshaus in der Laudongasse der ÖAAB gegründet worden, der heute eine Viertelmillion Mitglieder zählt, weil er glaubwürdig bewiesen hat, daß er eine echte politische Vertretung der Arbeitnehmerinteressen ist. Aber nicht nur eine Interessengemeinschaft ist der ÖAAB, sondern vor allem eine Gesinnungsgemeinschaft, in der alle miteinander durch die gleiche Uberzeugung unverbrüchlich verbunden sind, für die schon die christlichen Arbeiter und Sozialreformer dn der Ersten Republik und in der Zeit der Monarchie kämpften, durch den heute schier revolutionären Glauben nämlich, daß die Grundrechte des Menschen nicht von der Großzügigkeit des Staates, sondern aus der Hand Gottes kommen. Die Fackel wurde von Generation zu Generation weitergereicht und wird von den jungen Menschen, die in die Verantwortungen nachrük-ken, hochgehalten. Ihre erste Frage ist nicht, was ihnen Österreich zu bieten hat, sondern was sie für unser Land und die Freiheit und Würde seiner Menschen leisten können.

Eine Partei neuen Typs

Am 17. April 1945 war es der gleiche Leopold Kunschak, unter dessen Vorsitz im Wiener Schottenstift die österreichische Volkspartei gegründet wurde. Seine Stellvertreter waren für den Bauernbund Leopold Figl, für den Wirtschaftsbund Julius Raab, für den ÖAAB Lois Weinberger. Diese Gründung war in der Zeit der Illegalität gründlich vorbereitet worden, und die Initiativen des ÖAAB für die Integration der drei Bünde in eine gemeinsame christlich-demokratische Partei neuen Typs entsprangen wahrhaftig nicht tagespolitischen Nützlichkeits- und Zweckmäßigkeitserwägungen, sondern entsprachen seinem Grundsatzprogramm, dessen Basis die christliche Soziallehre und dessen Ordnungsbild die klassenfreie Gesellschaft ist. Die österreichische Volkspartei ist keine monolithische, sondern eine organisch gegliederte Partei, also ebenso wenig eine Arbeitnehmerpartei wie eine Bauernpartei oder eine Bürgerpartei oder eine Industriellenpartei, sondern eine Partei aller Gruppen und Schichten des Volkes, die als eine demokratische Vorleistung die von Natur aus gegebenen und nicht wegzuzaubernden Verschiedenheiten ihrer Interessen nach dem Solidaritätsprinzip auf das Gemeinwohl hin abstimmen und harmonisieren.

Der Vorwurf, dessentwegen sich Krejci Sorgen macht, die Volkspartei sei eine „Kapitalistenpartei“ stammt vom politischen Gegner, der, weil die sozialistischen Klassenparolen nicht mehr die alte Zugkraft haben, seine Propaganda auf Gruppen richtet, für die er sich vor kurzem kaum interessiert hat und vor denen er als eine Art echter „Volkspartei“ zu erscheinen sich bemüht. Das kann für den ÖAAB nur ein Ansporn sein, die politisch heimatlos gewordenen Menschen für sich zu gewinnen.

Die Kleinen und die Großen

Entsprechend der Tendenz seines Artikels weist Krejci auf die zehn-tausenden kleinen „Selbständigen“ hin, die weniger verdienen als hochqualifizierte Facharbeiter. Hat der ÖAAB nicht bei jeder Gelegenheit seine Solidarität mit den Kleinen bewiesen und sich für Maßnahmen eingesetzt, die ihnen helfen können? Dies wird er auch künftig gemeinsam mit den zuständigen Gruppen so tun. Diese Solidarität mit den Kleinen und Schwachen, in welcher Bevölkerungsgruppe immer, schließt aber keineswegs sachliche und vernünftige Gespräche etwa mit der Industrie aus, wenn die Gesprächspartner zeitaufgeschlossen sind.

Modern denken!

Bei allem Verständnis für pflegewürdige Traditionen erachtet der ÖAAB ein zukunftsorientiertes Denken nirgends für unentbehrlicher als in der Wirtschaft, deren gesundes Wachstum nur durch die Anwendung moderner ökonomischer Methoden gesichert werden kann. Zeitaufgeschlossenes Denken gibt es glücklicherweise nicht nur im ÖAAB, aber was eine gute und vernünftige Wirtschaftspolitik ist, darüber zu entscheiden kann nicht mehr ausschließlich Angelegenheit selbständig Erwerbstätiger sein, sondern ist eine Angelegenheit aller, die aktiv im Wirtschaftsleben stehen. Wenn mehr als 70 Prozent aller Erwerbstätigen heute Arbeitnehmer sind, kann man ihnen das Mitspracherecht nicht verweigern. Daß gegenwärtig tatsächlich noch manche Arbeitnehmer wenig Verständnis für die Probleme der Wirtschaft aufbringen, ist eine Folge davon, daß sie viele Generationen lang von einer aktiven wirtschaftlichen Mitverantwortung völlig ausgeschlossen waren.

Wenn Krejci meint, der ÖAAB könnte die Sozialisten, die „die Sozialpolitik nach wie vor nur quantitativ, nicht aber qualitativ auslegen“, mit demagogischen Forderungen nicht übertreffen, so hat er völlig recht: Wir können es nicht nur nicht, sondern wir wollen es auch nicht, weil Demagogie für uns kein Kampfmittel ist. Die Sozialisten haben gewiß ein Monopol auf das Wort „sozialistisch“, aber keineswegs auf das Wort „sozial“, und qualitative Sozialpolitik, die in die Sozialreform der Gesellschaft einmündet, gehört auch zur Sozialoffensive des ÖAAB.

Privateigentum für alle

Die - Stoßrichtungen -dieser -Sozialoffensive sind aber vor allem:

• Kulturpolitik,

• Familienpolitik und

• Eigentumspolitik.

Die törichte Bezeichnung „Sozial-romantik“, die insbesondere im Zusammenhang mit dem Gedanken der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand gelegentlich laut wird, wirkt auf den ÖAAB ebenso sympathisch wie auf andere der Ausdruck „kapitalistische Ausbeutung“. Man sollte auf solche unzeitgemäße Invektiven verzichten und sich lieber zu sachlichen und vernünftigen Gesprächen entschließen. Wenn in Staaten, in denen man viel eher als in Österreich von einer kapitalistischen Wirtschaftsweise sprechen kann und in denen die Unternehmer gewiß alles andere als Sozialromantiker sind, der Gedanke der Eigentumsbildung in Arbeitnehmerhand nicht nur in der Theorie ernsthaft diskutiert, sondern in der Praxis mit überzeugendem Erfolg verwirklicht wird, so ist nicht einzusehen, warum er in Österreich weiterhin nur das gelegentliche Thema von Propaganda- und Festreden bleiben sollte, im übrigen aber an versteinerten Vorstellungen der Vergangenheit scheitert.

„Es genügt nicht, das naturgegebene Recht auf Privateigentum, auch an Produktionsmitteln, bloß zu betonen. Mit gleichem Nachdruck muß alles unternommen werden, damit alle Kreise der Bevölkerung in den Genuß dieses Rechtes gelangen!“ So heißt es in der Sozialenzyklika Johannes' XXIII. „Mater et Magistrat Das bedeutet für den ÖAAB eine unabdingbare Verpflichtung für Österreichs Zukunft.

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