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Partei der Parteigegner

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Mit dem Fortschreiten der ökonomischen Sättigung wächst die Gruppe jener Staatsbürger, die da meinen, daß die Politik in jeder Form ein unnützes Ding sei, lediglich geeignet, die Steigerung des Lebensstandards zu behindern. In einem absonderlichen Hochmut sind es auch Christen, die glauben, es sei besser, die Politik und die Führung der Parteien denen zu überlassen, die von „dieser Welt“ sind, sei doch alles jenseits des sakralen Raumes vom Bösen. Diese Weltfluchthaltung kann bis zur häretischen Entartung gehen und bis zur selbstgefälligen Entfaltung eines ichbezogenen und verdeckten Christentums. Geht es jedoch um die höchsteigene Wohlfahrt, dann werden die in politischen Fragen sonst so augenfällig apathischen Christen meist plötzlich urlebendig und haben — im Zusammenhang mit ihrem Wohlbefinden — ganz präzise politische Meinungen. Tatsächlich aber ist die Politik an sich beileibe kein Uebel (auch nicht, wie es so schön heißt, ein „kleineres Uebel“), sondern für den Christen (wie für jeden Menschen, dem die Elemente des Sittengesetzes Richtschnur persönlichen Handelns sind) eine Möglichkeit zur persönlichen Bewährung. In der Welt und vor der Welt. Jener Welt, an deren Probleme man nicht mit dem Gleichmut des Satten herangehen darf.

Wenn man nun den Staat als eine christliche Wirklichkeit anerkennt, er sei so oder so organisiert, dann ist die Politik kein Uebel und die Parteien sind es auch im Prinzip nicht; sie sind nun einmal die einzige Chance, im Bereich der Demokratie wirksam Politik machen und Meinungen im politischen Raum durchsetzen zu können. Wollen die Christen die Prinzipien des Dekalogs in der Welt durchsetzen, werden sie sich in unseren Bereichen mit dem Problem des Vorhandenseins von Parteien abfinden müssen. Daher wird es nicht allein den politisch, sondern vor allem auch den parteipolitisch tätigen und als solcher sein Christentum bekennenden Christen geben müssen. Der Staat und die Parteien sind schließlich das, was die Menschen aus ihnen machen, und demonstrieren insoweit auch das Ausmaß christlicher Bewährung in der Welt.

Wer eine politische Meinung hat, kann im Prinzip nicht gegen die Parteien an sich sein. Ueberparteiliche politische Gruppen sind stets, den Bestimmungen einer politischen Gesetzlichkeit folgend, zu Parteien (oder wie sie sich oft bescheiden nennen, „Wahlblöcken“) geworden. Das war ehedem so und konnte auch in den zehn Jahren des, Bestehens der Zweiten Republik festgestellt werden, gleichgültig, ob sich die politischen Regungen als „Unabhängige“, als „Bewegung“ oder gar als Bund der Parteigegner auswiesen.

Wir haben in Frankreich die Groteske des Entstehens einer Partei der Parteigegner. Auch die NSDAP entstand als eine Partei gegen die Parteiherrschaft (gegen die „Novemberverbrecher“) und endete schließlich als die entartete Form einer volksfremden Parteiherrschaft. Die Poujadisten beginnen schon ihre Abgeordneten zu kasernieren. Wie würden sie es erst mit rfen Staatsbürgern machen! Und dies alles, obwohl sie damit begonnen haben, die „Befreiung“ (von der Steuerzahlung) zum einzigen Programmpunkt zu erheben. Oft erweist sich die Parteigegnerschaft nur als ein verdecktes Ressentiment derer, die selbst nicht zum Zug gekommen sind oder meinen, nur das, was sie an politischen Ansichten haben, sei allein gültig. Wenn nun gar politische Hysterie mit Rednergabe verbunden ist, entsteht eine jener Heilslehren, deren Weg bis zur Flucht des jeweiligen „Führers“ mit Blut und Tränen gekennzeichnet ist.

Schließlich steht hinter der Parteifeindlichkeit nicht selten nacktes wirtschaftliches Interesse, das man freilich stets mit dem frommen Hinweis auf das Allgemeinwohl zu übertünchen sucht. Und so tritt der Reichsverband der konzessionierten Seifensieder, selbstverständlich im Namen des „notleidenden Volkes“ oder des berühmten „kleinen“ Mannes, auf den Plan, hält bei der „Goldenen Traube“ eine „Massenkundgebung“ ab und fordert im Namen der Tausende, die hinter dem Verband angeblich stehen (aber wegen der Schneeverwehungen nicht zur Großkundgebung kämmen konnten), von der Regierung ultimativ die Streichung sämtlicher Steuern und den Selbstmord aller Regierungsmitglieder (ohne „Fehlanzeige“!). Ein anderer Verband hat zum Beispiel eine bestimmte Meinung über ein Rabattgesetz. Alle politischen Werte und alles Staatswohl wird davon bestimmt, wie die Parteien zum besagten Gesetz stehen, dessen Abschaffung oder Einführung die einzige Möglichkeit darstellt, die „unendliche Not“ zu beseitigen. Wer nicht mittut, gegen den wird die Lanze eingelegt. Die eigenen Interessen werden absolut gesetzt mit den allgemeinen Interessen. Man will im gleichen Atemzug weniger Steuern zahlen und reiche Heeresaufträge, schöner* Straßen und Reduktion der Kraftfahrzeugabgaben. Dabei soll keineswegs die berechtigt* Kritik an den Parteien disqualifiziert werden. Die Kritik ist notwendig. Im Interesse der Parteien, die leider nicht selten Kritik nicht vertragen, aber gleichzeitig von der Demokratie reden, die sie jedoch innerhalb ihrer Organisation nicht gelten lassen wollen.

Wie immer man nun über die Parteien denkt, ohne sie gäbe es (etwa im Oesterreich von heute) nur den Kampf von Interessentengruppen gegen andere Interessentengruppen, es käme das harte Gesetz der Wüste zur Anwendung, das keine Gefangenen, sondern nur Sieger und Gemeuchelte kennt. Auch über den Proporz kann man sicher verschiedener Meinung sein. Viele, die ihn bekämpfen, tun dies wahrlich nicht im Interesse einer allgemeinen Freiheit, sondern weil sie bei dem, was sie als „Proporzwirtschaft“ ablehnen, zu kurz gekommen sind. Man soll bei der schon seit Jahren in Mode befindlichen und eigentlich nicht sehr fruchtbaren Kritik der Proporzpolitik beachten, daß trotz aller Mängel das Positive überwiegt und daß es, neben anderen Tatsachen, dem „unleidigen“ Proporz zuzuschreiben ist, wenn härteste Interessengegensätze doch noch immer ausgeglichen werden konnten. Gerade dieser Ausgleich ist es freilich, der gewisse Parteigegner (die in Wirklichkeit für sich selbst und ihre Interessen Partei sind) ungemein ärgert.

Wer die Parteien ehrlich — ohne an die Gründung einer eigenen Partei zu denken — ablehnt, will das Chaos und das Entstehen eines neuen Faschismus, der den Staatsbürgern die politischen Sorgen und vor allem die Mühe des politischen Denkens nimmt.

Für die Wahl dieses Frühlings gilt mehr noch als für andere Wahlen in der Zweiten Republik: Wer nicht wählt, hat auch gewählt. Wer nicht wählt, hat sich aber jedes moralischen Rechtes begeben, bis zur nächsten Wahl die Arbeit der Volksvertretung zu kritisieren. Wer Splitterparteien wählt — sie tauchen, von geheimen Geldgebern finanziert, stets knapp vor den Wahlen mit einem Katalog reichhaltiger Versprechungen auf —, hätte besser getan, am Wahltag daheim zu bleiben.

Der Christ, der die Wahrheit sucht, muß sie auch im Politischen suchen. Diese Wahrheit kann eine bittere sein. Nirgendwo ist vielleicht das Defekte der menschlichen Natur drastischer sichtbar als dann, wenn man Politik auf dem Laufsteg des öffentlichen Lebens treibt. Gerade für den Christen gilt das. der etwa nicht daran vorbeikommt, daß er nicht stets und in jeder Situation allein Weltanschauungspolitik treiben kann, sondern weithin auch Interessen, nackte wirtschaftliche Interessen, vertreten muß.

Die 165 Menschen, die uns die Gesetze geben, werden am 13. Mai gewählt Ob man nun zur Wahl geht oder nicht und dann in vornehmer Zurückhaltung „angeekelt“ (weil der Maigehalt um 5 S:geringer gewesen ist als man erwartete)mit seinem Wagen in (wie es so schön heißt) „Gottes freie Natur“ hinausfährt und abends den letzten Aerger beim Heurigen zu vergessen sucht: Die 165 werden trotzdem gewählt. Dies würde auch geschehen, wenn kein gläubiger Christ zur Wahlurne ginge.

Wir Christen sagen, daß wir eine ganze Welt erneuern wollen. Zweitausend Jahre Kirchengeschichte beweisen diesen Willen, und der Heroismus der Christen in der Unterwelt des Ostens dokumentiert dieses Faktum nicht nur als ein historisches, sondern als eine durchaus gegenwärtige und daher mögliche Chance der Bewährung. Wie könnten wir aber diese Welt erobern, wenn nicht auch durch Aktion im politischen Feld. Wollten wir anders handeln, hieße das, von dem, was wir als Wirklichkeit bezeichnen, die ganze Welt der Politik ausnehmen und nur die Dinge, die jenseits der Welt des Politischen liegen, als Wirklichkeit sehen. Das aber wäre bereits Häresie und in der gegebenen politischen Situation Oesterreichs auch so etwas wie Hochverrat. Am Vaterland und an der Kirche. b.

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