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Partei der sozialen Integration

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In der letzten Auseinandersetzung kam es dabei immer wieder zur Frage der Entstehungsgeschichte der ÖVP: Wer war zuerst? Die Partei oder ihre drei Bünde? Für die jetzigen Probleme der Partei erscheint diese historische Fragestellung wenig relevant. Weder das Bild der „Koalition dreier Bünde“ (alles, was an die Koalition erinnert, ist in Österreich vorbelastet) noch das einer Konföderation oder Symbiose trifft zu. Entscheidend für heute ist vielmehr die Tatsache, daß die Volkspartei von Anfang an eine Partei der sozialen Integration, eine Volkspartei für alle sozialen Schichten sein wollte, und damit den Anspruch erhob, einen moderneren, der heutigen Gesellschaftsstruktur angepaßteren Parteitypus als den der Klassenpartei zu vertreten. Integration ist aber nur notwendig, wo es Gegensätze gibt, soziale Integration setzt voraus, daß man Interessengegensätze als solche akzeptiert und nicht von vornherein als Störfeuer und Quertreibereien des politischen Gegners brandmarkt. Die heute offen zutage tretenden Interessengegensätze sollten daher nicht schamhaft verschwiegen, sondern offen und ehrlich ausgetragen werden.

Wer den ÖAAB in dieser Auseinendersetzung an die „Betriebsfront“ schicken will, um ihn aus der Festlegung des politischen Kurses auszuschalten, verkennt die wesentlich verschiedenen Aufgaben einer wirtschaftlichen Interessenvertretung, die das Optimum für die von ihr vertretene Gruppe herauszuholen hat, und die einer rein politischen Gruppierung, die unter Einbeziehung sämtlicher politischer Überlegungen das innerhalb der verschiedenen Interessen Mögliche auszu-wägen hat, das heißt, er verwechselt die Funktion des ÖAAB und die der Fraktion christlicher Gewerkschafter.

Die christliche Gewerkschaftsfraktion stellt dabei ein eigenes Kapitel in der Geschichte der ÖVP dar. Ge-gpendet, um das Monopol der Sozialisten auf die Vertretung der Arbeiterschaft zu brechen, ist es ihr nie gelungen, eine echte Konkurrenz für die sozialistische Fraktion zu bilden. Das zeigen nicht nur die Stärkeverhältnisse innerhalb der Gewerkschaft, das erweist auch die Aufschlüsselung der 260.000 Mitglieder des ÖAAB: 100.000 Mitglieder rekrutieren sich aus dem öffentlichen Dienst, 46.000 sind Privatangestellte, 80.000 kommen aus der Arbeiterschaft. Der entscheidende Durchbruch in der Arbeiterschaft ist der christlichen Gewerkschaftsfraktion nie gelungen. Die historische Entstehung der christlichen Gewerkschaftsfraktionen, das Bestreben, die Tradition der christlichen Arbeiterbewegung Kunschaks weiterzuführen, hat auch eine Änderung des Namens bis jetzt verhindert. Zwar gab es parallel zu ähnlichen Entwicklungen in Deutschland und Frankreich eine Zeitlang die Tendenz, die Fraktion in „christlichdemokratische Fraktion“ umzubenennen und damit zumindest eine schrittweise Entkonfessionalisierung durchzuführen — jedoch drangen solche Vorschläge nach kurzer Diskussion nicht durch.

Realpolitiker vom Schlage eines Julius Raab nahmen diese Situation zur Kenntnis: sie diskutierten nicht erst lange mit der Arbeitnehmerschaft in der eigenen Partei, sondern setzten sich lieber gleich mit den Sozialisten an den Verhandlungstisch. Nach der dominierenden Rolle, die der ÖAAB als „linker Flügel“ der Volkspartei in den ersten Nachkriegsjahren gespielt hatte (wer kann sich heute noch vorstellen, daß die ÖVP einmal mit dem Slogan „Wählt Österreichs Labour Party!“ in den Wahlkampf zog?!), geriet dann der ÖAAB in der Ära Raab-Karnitz iimimer mehr ins Hintertreffen und wurde zu einem Aschenbrödeldasein in der Partei verurteilt. Erst unter der Führung des jetzigen Obmanns Maleta begann er sich wieder mehr in den Vordergrund zu spielen. Die Entscheidung des 6. März bringt den ÖAAB jedoch erneut in die Gefahr, vom Wirtschaftsbund überspielt zu werden, und damit in eine Zerreißprobe zwischen innerparteilicher Loyalität und der Ambition, mit der SPÖ in der Vertretung der Arbeitnehmerinteressen zu konkurrieren.

Zu diesem innerparteilichen Dilemma, zum Problem der schwachen Repräsentation der Arbeiterschaft innerhalb der Organisation kommt noch ein weltanschauliches Dilemma: Zwar gibt es nach wie vor das sogenannte „Wiener Programm“ des Jahres 1946, das sich auf die christliche Soziallehre, auf Personal-, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip beruft. Dieses Grundsatzprogramm stellt jedoch nur den lok-keren Kitt für weit divergierende weltanschauliche Orientierungen innerhalb der Mitglieder dar. Solche Divergenzen auf den Gegensatz zwischen Dogmatikern und Pragmatikern zu reduzieren, heißt die Wirklichkeit vereinfachen, wichtiger als der Gegensatz zwischen Theorie und Praxis sind die verschiedene Sozialstruktur und die geographischen Stärkeverschiebungen innerhalb des

ÖAAB. Die christliche Sozialiehre hat heute ihre Institutionalisierung im Institut für Sozialpolitik und Sozialreform in Wien gefunden. In den Bundesländern, und das heißt in den echten Zuwachsgebieten des ÖAAB (in Wien ist eher eine gewisse Stagnation festzustellen), wird die christliche Soziallehre überdeckt von kräftigen liberalen Elementen, wie sie in manchen Berufen — in der Mittelschicht der Beamten, im Lehrberuf, bei Pensionisten — noch lebendig sind. Was diese sozialen Schichten in den ÖAAB bringt, ist nicht das Bekenntnis zur katholischen Soziallehre, sondern eine generelle Abneigung gegenüber allem, was sich sozialistisch nennt, besser gesagt, gegenüber allem, was an . Schlagworten sozialistischer Herkunft ins politische Gemeingut eingegangen ist, wie zum Beispiel Kollektivismus, Klassenkampf oder Revolution.

Das Institut für Sozialpolitik und Sozialreform, geleitet und repräsentiert vom Nationalratabgeordneten Kummer, hat der ÖVP schon des öfteren „Kummer von links“ bereitet. Neben der Funktion eines „ideologischen“ Refugiums, einer letzten Hochburg christlicher Ideen zur Sozialreform.— ein Refugium, das im übrigen lange vor der „Aktion 20“ wissenschaftliche Untersuchungen auf sozialpolitischem Gebiet anstellte, erfüllte das Institut lange Zeit die Funktion einer Art Vorfeldorganisation für eine Reihe kirchlich engagierter Katholiken. In den letzten Jahren gingen außerdem eine beträchtliche Anzahl der vielzitierten „jungen Technokraten“ hervor, die heute innerhalb der Partei führende Positionen erlangt haben.

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