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Pflichtübungen in Opposition

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Innerhalb der SPD gibt es kaum einen Zweifel, daß das Ergebnis der Bundestagswahl 1965 nicht nur eine Enttäuschung, sondern trotz der Stimmenzunahme von etwa zwei Prozent eine Niederlage war. Der bisherige Kanzlerkandidat Willy Brandt hat daraus auch die Konsequenz gezogen, indem er erklärte, 1969 nicht mehr als Spitzenkandidat auftreten zu wollen. Diese Erklärung erfolgte gegen den Wunsch seiner Stellvertreter Wehner und Erler. Sie hat trotzdem kaum eine Diskussion ausgelöst, wie überhaupt die SPD die Enttäuschung ihrer Hoffnungen nach außen mit stoischer Gelassenheit hinnahm und so tat, als wäre nichts geschehen.

Das war nicht zu erwarten, hatten doch viele von einer handfesten Krise gesprochen, die der SPD nach einer Niederlage bevorstehe. In der Tat gäbe es einiges zu diskutieren, nachdem sich bei der Wahl herausgestellt hat, daß von den Wählern die Unterstützung der Schröder-schen Außenpolitik durch die SPD nicht honoriert wurde. Erhards Parole, wenn zwei dasselbe wollten, wäre es wohl klüger, das Original und nicht die Kopie zu wählen, zog mehr. Ungeachtet aller Rich-tumgskämpfe innerhalb der CDU/ CSU hat Erhard am 19. September ein imponierendes Vertrauensvotum erhalten. Inzwischen ist freilich viel von dem Nimbus Erhards verflogen. Die Vorgänge um den Diplomaten Huyn, der die Gegner Außenminister Schröders Innerhalb der CDU/ CSU über interne Vorgänge im Auswärtigen Amt informiert hatte und nach seinem erzwungenem Rücktritt persönlicher Referent von Strauß wurde, haben bewiesen, daß Erhards innerparteiliche Gegner nach wie vor aktiv sind. Die Preissteigerungen, gegen die sich Erhard immer gewandt hat, haben in Westdeutschland in den letzten Wochen ein besorgniserregendes Maß angenommen, wenn auch Regierungssprecher darauf hinweisen, Löhne und Gehälter hätten noch mehr zugenommen.

Der CDU/CSU -Bruderkampf

Bei diesen Tatsachen gibt es für die SPD zwei Möglichkeiten: Entweder sie geht in die Opposition, was ihrer parlamentarischen Situation entspräche, dann wird sie aber in Zukunft auf den Sturz der Regierung hinarbeiten. Geht sie weiter so vor, wie bisher, das heißt, betreibt sie Opposition nur dann, wenn es gar nicht mehr anders geht und stützt im übrigen die Regierung Erhard, wo sie kann, so wird die Rolle der Opposition auf jene Kreise der CDU/CSU übergehen, die mit Erhard und Schröder nicht einverstanden sind. Theoretisch böte auch das einige Chancen, . denn es wäre möglich, daß der Wähler die Bruderkämpfe innerhalb der CDU/CSU satt bekommt. Nur ist es sehr die Frage, ob davon die SPD profitieren könnte. Es zeigte sich nämlich, daß jene Wähler, die Erhards und Schröders Politik im Prinzip für richtig hielten, am 19. September 1965 nicht gewillt waren, deshalb SPD zu wählen. Käme aber die Konzeption Adenauer-Strauß zum Zuge, erhielte die SPD eine neue Chance, weil dann von einer breiten Öffentlichkeit abgelehnte außenpolitische Thesen zum offiziellen Regierungsprogramm erhoben wären. Das heißt aber, solange die SPD Regierungsverantwortung und Opposition der CDU/ CSU überläßt, hat sie keine Aussicht, einmal als echte Alternative von den Wählern ernst genommen zu werden.

Die inzwischen verflossene Zeit des 5. Bundestags ist zu kurz, um einen Schluß darüber zuzulassen, ob sich diese Erkenntnis in der SPD durchgesetzt hat. Die akademisch geschliffenen Oppositionsreden

Erlers wirken noch immer wie Pflichtübungen in Opposition.

„Verstärkung“ nach Bonn

Zur Intensivierung der Arbeit im Bundestag hat die SPD den Hamburger Innensenator Schmidt und den Berliner Wirtschaftssenator Schiller nach Bonn gezogen. Von beiden ist Schmidt sicherlich die profiliertere Persönlichkeit. Viele sehen in ihm den künftigen Kanzlerkandidaten der SPD. Ob das so sein wird, hängt sehr von dem Profil ab, das er im Bundestag gewinnen kann. Die Bedeutung des Ortswechsels von Schmidt ist aber nur eine von mehreren Fragen, die es zu beantworten gibt, wenn man den künftigen Kurs der SPD bestimmen will. Was bedeutet der Rücktritt von Brandt als Kandidat für das Kanzleramt und welcher Art wird die Haltung jener Kreise in der SPD sein, die den Opportunitätskurs Wehners nur mit gemischten Gefühlen mitmachten? Ist Schmidt ihr Kandidat?

Diese letztere Frage kann man ohne weiteres verneinen. Schmidt hat seit 1958, seit er sich an der Aktion „Kampf dem Atomtod“ beteiligte, eine ähnliche Schwenkung wie Wehner durchgemacht. Er vertritt innerhalb der SPD heute das konservative Element. Sein Eintritt in die Fraktionsführung bedeutet also keine Richtungsveränderung.

Als Reserveoffizier und Wehrexperte der SPD genießt er größtes Ansehen innerhalb der Bundeswehr. Als Innensenator von Hamburg war er auch Chef des Verfassungsschutzes. Als solcher zeigte er sich als ein Mann, der gegen kommunistische Infiltrationen mit größter Schärfe vorging und als ein unbedingter Anhänger des KPD-Verbotes galt. Auch der Wirtschaftsexperte Professor Schiller gehört dem „pragmatischen“ Flügel an. Nur an einer Stelle hat sich bisher der linke Flügel der SPD zu Wort gemeldet. Der frühere Falkenführer und Berliner Bezirksstadtrat Harry Ristock hat in seinen „Thesen zum Wahlausgang 1965“ eine scharfe Verurteilung der Wehnerschen Politik ausgesprochen und als Ergebnis des Wahlausgangs eine interne Diskussion verlangt. Zur allgemeinen Überraschung ging Willy Brandt nicht gegen Ristock vor, sondern sagte eine Diskussion zu, wobei er anerkannte, daß die SPD nicht einfach so weitermachen könne, als wäre am 19. September nichts geschehen, was den Parteikurs in Frage gestellt hätte. Die Entscheidung Brandts war sicher nicht im Sinne Wehners, der derartige Diskussionen für überflüssig hält

Die Haltung Brandts, mit der er sich sicher keine Freunde im Bonner Fraktionsvorstand gemacht hat, ist insofern besonders erstaunlich, als man in den letzten Jahren mit oppositionellen Kreisen in der SPD, besonders, wenn sie an die Öffentlichkeit gingen, nicht gerade zimperlich umging. In keiner Partei sind Parteiausschüsse so häufig wie in der SPD und in keiner Partei hat ein Mitglied weniger Rechte. Während in der CDU/CSU und in der FDP die Frage eines Ausschusses einem Schiedsgericht übertragen wird und der Angeschuldigte auch das Recht hat, an den Parteitag zu appellieren, besitzt ein ausgeschlossenes Mitglied der SPD kaum die Möglichkeit, sich zu rehabilitieren, wenn es mit dem Vorstand in Konflikt kam. In den Parteischiedsgerichten ist der Vorstand so stark vertreten, daß die Betroffenen nur in Ausnahmefällen von ihren Rechten Gebrauch machen. Das ist eine Folge kommunistischer Unterwanderungsversuche und der geradezu panischen Angst des SPD-Vorstandes, die Partei könne als kommunistisch infiltriert abgestempelt werden. Diese Praxis hat die SPD intern zu einer der undemokratischsten Parteien der Bundesrepublik gemacht, was einesteils ihre innere Geschlossenheit trotz aller Kursänderungen erklärt, anderseits aber auch in Rechnung gestellt werden muß, wenn man ihre Orientierung nach rechts erklären will.

Das „Original“ und die „Kopie“

Diese Rechtsorientierung ist nicht nur ein Ausnützen der Situation, daß es keine extreme Linke mehr gibt, zu der die Arbeiterschaft abwandern kann, sondern auch eine Flucht vor den Verbrüderungsversuchen aus dem Osten. Die Haltung Brandts und seine Bereitschaft zur Diskussion stellt daher ein Novum dar. Es kann aber heute schon gesagt werden, daß die Bonner Fraktionsspitze ihre pragmatische Politik mit allen Mitteln verteidigen wird. Das heißt aber, daß die SPD auch weiterhin trachten wird, eine bürgerliche Alternative zur Regierung Erhard zu entwickeln. Da sich die politischen Ansichten der SPD-Fraktionsführer zumindest in der Außenpolitik weitgehend mit denen

Erhards und Schröders decken, wird die SPD höchstwahrscheinlich auch in Zukunft danach trachten, aus der Uneinigkeit der CDU/CSU Kapital zu schlagen. Die Opposition der SPD wird sich also nicht gegen Erhard und Schröder, sondern gegen alle Abweichungen wenden, zu denen diese vom Strauß-Adenauer-Flügel gezwungen werden. Das heißt aber: Je schwächer die Stellung von Erhard und seinen Anhängern innerhalb der CDU/CSU ist, desto stärker wird die SPD in ihrer Opposition sein. Sollten sich aber Erhard und Schröder durchsetzen können, dürfte es aller Wahrscheinlichkeit nach zu einer Fortsetzung der sozialistischen Opportunitätspolitik der letzten Jahre kommen.

Wie sich dann allerdings der Wähler aus dem Wirrwarr taktischer Winkelzüge ein klares Bild machen soll, ist schwer ersichtlich. Schon einmal (unter dem in diesen Tagen 80 Jahre alt gewordenen Reichskanzler Heinrich Brüning) hat die SPD 1930 bis 1932 eine Tolerierungs-politik ähnlicher Art betrieben. So wenig sich die historischen Situationen auch vergleichen lassen, so ist ein gemeinsames doch vorhanden. In beiden Fällen hoffte die SPD auf bürgerliche Anerkennung. Sie hat in dieser Hinsicht 1932 eine bittere Enttäuschung erlebt, die sie eigentlich vor allzu hoch gespannten Erwartungen bewahren sollte.

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