Werbung
Werbung
Werbung

"Aktivisten, Handel, linke und rechte Parteien: wenn alle weniger Plastik wollen, wieso gibt es dann noch so viel? Plastic Attack will sein Anliegen globalisieren."

John Wubbe ist konsterniert. Da trennt er täglich den Müll, wundert sich bisweilen, dass seine dreiköpfige Familie in der Woche auf zwei Säcke Plastikabfall kommt, und doch überfällt ihn gerade diese Erkenntnis: die paar Artikel, die er gekauft hat, beanspruchen so viel Verpackung! In der einen Hand trägt er ein frisches Baguette und einige zum Aufbacken, in der anderen eine Fertig-Quiche für den Ofen. Seltsam nackt sehen die Produkte ohne ihre gewohnte Hülle aus.

Schon länger sorgt sich Wubbe, der für die europäische Online-Patienten-Plattform EuDiPPA arbeitet, um Mikroplastik in der Nahrungskette. Und genau das bringt ihn zur Place de la Bourse im Zentrum Brüssels. Hier findet an diesem Samstag Nachmittag die erste Plastic Attack auf dem europäischen Festland statt, eine neue Protestform gegen Plastik-Verpackungen. In Großbritannien sorgte sie zuletzt für Aufsehen. Und als Edwin Groenendijk, ein 48-jähriger Designer aus einem Vorort von Brüssel, Ende März das Video einer Aktion bei Bristol auf Facebook sieht, ist er elektrisiert. "Das müssen wir hier auch machen", denkt er.

Zielpunkt Supermarkt

Sein Blick fällt auf einen Supermarkt der Delhaize-Kette. Er startet einen Facebook-Aufruf, der den immer ausufernderen Gebrauch von Plastik anklagt, wovon in Belgien "noch immer das meiste verbrannt" werde. Bald darauf bekommt Groenendijk einen Bericht vom Kommunikations-Chef des Unternehmens. Der Mann macht sich Sorgen: was ist der Zweck der Aktion? Und warum ausgerechnet bei Delhaize? Groenendijk beruhigt ihn. Schon im Aufruf schrieb er, der Protest sei nicht gegen den Betrieb gerichtet, und die Mitarbeiter sollten respektvoll behandelt werden.

Anfang April nehmen belgische Medien das Thema auf. Edwin Groenendijk ist aufgeregt, als er am Plastic Attack-Morgen aufwacht. Es ist das erste Mal, dass er politisch tätig wird. Er gehört keiner Umweltgruppe an, zumindest bisher. In Zukunft will er mit Aktivisten aus Gent zusammenarbeiten. Dort sind, wie in einer Reihe belgischer Städte, am 2. Juni weitere Aktionen geplant. Auch in Deutschland finden an diesem Tag erste Plastic Attacks statt. Die niederländische Premiere ist schon diese Woche in Groningen geplant.

Groenendijks kurzer Weg zum Aktivisten ist ein zeitgenössisches Phänomen. Eine Bewegung ist schnell gestartet, und oft auch schnell wieder verflacht. Soziale Medien sind ihr logischer Katalysator, schließlich kommen all die Schreckensberichte über diese Kanäle, ebenso wie die passenden Protest-Petitionen. Was Plastik betrifft, gab es in letzter Zeit einige Schreckensmeldungen: Mikropartikel im Trinkwasser, im Kompost, selbst im Meersalz. Das beklemmende Fazit: nicht mal ein kritisches Bewusstsein und die Bereitschaft, höhere Preise für Bio-Produkte zu zahlen, sind eine Gewähr.

Erste Schritte

In Brüssel nehmen über den Nachmittag verteilt einige Dutzend Aktivisten teil. Ein erster Schritt, findet der Initiator. Was aber ist gewonnen, wenn der Müll im Supermarkt zurückbleibt, statt von Verbrauchern in separate Säcke sortiert zu werden? Zwar landet er nicht in Bächen und Flüssen, doch die Abfallmenge bleibt die gleiche. Groenendijk betont einen anderen Aspekt. "Es geht darum, Bewusstsein zu schaffen und zu zeigen: wir wollen diese Verpackungen nicht." Womit man quasi in der Plastik-Kette vom Konsumenten zum Produzenten einen Schritt rückwärts geht. Der Ball landet im Spielfeld der Supermärkte, die, darauf verweist auch sein Aufruf, verpflichtet sind das Plastik zurückzunehmen. Wodurch wiederum Druck auf die Politik entsteht, die Verpackungsmenge zu reduzieren.

"Die Politik" ist an diesem Tag auch vertreten, wobei Eline Vermoesen, eine Ökonomie-Studentin, als Privatier an der Aktion teilnimmt. Sie ist in der Nachwuchs-Organisation der Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA) tätig, der stärksten Partei Belgiens. Die N-VA ist eine bürgerliche, rechts-konservative Partei flämischer Nationalisten und nicht die erste, bei der man eine ökologische Agenda vermuten würde. Eline Vermoesen, 25, steht vorm Eingang und spricht engagiert mit einer anderen Frau, die ein No More Plastic-Plakat hochhält.

"Ob Rechts oder Links ist in diesem Fall egal. Wir müssen uns alle zusammen für die Umwelt engagieren", findet Eline Vermoesen. Ihre Partei, erzählt sie, sammle in verschiedenen Stadtvierteln gemeinsam mit den Bewohnern herumliegenden Plastik-Abfall ein. Sie selbst ist seit Jahren Vegetarierin und begeisterte Taucherin. "Letzten Sommer traf ich in Italien Plastik zwischen den Korallen an. Wir sind uns nicht mal bewusst, wieviel wir benutzen", sagt auch sie. Natürlich seien da die Parteien gefordert. In den belgischen Regionen Wallonie und Brüssel sind Einweg-Plastiktüten im Supermarkt bereits verboten. Weitere Schritte wären nötig, "zum Beispiel eine Verschmutzungssteuer für Plastik".

Win-win-Situation

Ein Augenschein in der Frische-Abteilung bestätigt solche Vorschläge. Dreier-,Vierer-und Sechserpacks von Äpfeln, Paprika, Tomaten bestimmen das Bild, Erdbeeren gibt es wahlweise aus Belgien (in Plastikschale) oder aus Spanien (Plastikschale plus Folie), selbst Bio-Ware kommt verpackt daher. Das alternative, abbaubare Plastik hat hier noch keinen Einzug gehalten. Jan De Jonghe, ein Stammkunde mittleren Alters, der auf dem Fahrrad vorbeifährt und sich die Aktion anschaut, ist entsprechend skeptisch: "Eigentlich finde ich das positiv, aber morgen ist hier wieder alles beim Alten, und die Gurken werden noch immer einzeln verpackt. Für Delhaize ist das Publicity."

Was ein freundlicher Mitarbeiter des Supermarkts übrigens bestätigt. Außerdem begrüße man die Aktion, da sie nachhaltig für die Umwelt sei. Als Zeichen der Unterstützung teilt das Personal am Eingang Textil-Taschen aus, um die vom Plastik befreiten Lebensmittel zu transportieren. "Benutz mich wieder, ich bin nachhaltig", steht darauf. Roel Dekelver, Kommunikationschef von Delhaize, spricht nach Ablauf sogar von einer "Win-win-Situation". Und selbstverständlich könnten Supermärkte dazu beitragen, die Verpackungsmenge zu reduzieren.

So viel Konsens kann einen fast schon stutzig machen. Aktivisten, Handel, linke und rechte Parteien: wenn alle weniger Plastik wollen, wieso gibt es dann noch so viel davon? Oder anders gefragt: wenn entsprechende Initiativen offene Türen einrennen, müssten dann nicht viel mehr gestartet werden? Edwin Groenendijk sagt genau das voraus. "Plastic Attack wird global. Ganz sicher."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung