Polen  - © Foto: Otmar Lahodynsky

Polen - 40 Jahre nach dem Kriegsrecht

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40 Jahre nach der Niederschlagung der Solidarność durch Polens Armee setzen sich die Versäumnisse der gespaltenen Gewerkschaftsbewegung bis heute fort. Ein persönlicher Rückblick eines involvierten Journalisten.

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40 Jahre nach der Niederschlagung der Solidarność durch Polens Armee setzen sich die Versäumnisse der gespaltenen Gewerkschaftsbewegung bis heute fort. Ein persönlicher Rückblick eines involvierten Journalisten.

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Es war ein eiskalter Adventsonntag. In der Nacht zum 13. Dezember 1981 hatte die polnische Armee im Auftrag von General Wojciech Jaruzelski, der auch Premierminister und KP-Chef war, die Macht in Polen übernommen. Im Fernsehen verkündete Jaruzelski starr in Uniform die Notstandsgesetze, mit denen die erste freie Gewerkschaft im Ostblock, die „NSZZ Solidarność“, verboten wurde. Eine Bewegung mit über zehn Millionen Mitgliedern wurde von der eigenen Armee gewaltsam niedergeschlagen.

Sicherheitskräfte verhafteten im ganzen Land tausende Funktionäre, ein großer Teil der Führung mit Solidarność-Chef Lech Wałęsa an der Spitze kam in Internierungslager oder in normale Gefängnisse. Zuflucht boten die Kirchen, in denen auch Sammlungen für die Gefangenen organisiert wurden.

Als einziger Journalist aus Österreich in diesen heiklen Tagen war auch ich von den Kriegsrechts-Anordnungen betroffen: So mussten Berichte einer Zensurbehörde vorgelegt werden, Fotografieren war verboten. Ich hielt mich nicht an diese Vorschriften, sondern ließ meine Artikel und Fotos nach Wien schmuggeln.

Es war wohl das letzte Mal, dass ein ganzes Land in Europa komplett von der Außenwelt abgeschnitten wurde: Telefon oder Telex funktionierte nicht mehr. Kein Ausländer durfte mehr einreisen.

An diesem Sonntag herrschte in Warschau eine seltsame Mischung aus Drohkulisse und Normalität. Auf wichtigen Plätzen waren Panzerwagen postiert, und in den Straßen patrouillierten Soldaten. Doch im Łazienki-Park spazierten Familien – Kinder rodelten über verschneite Hügel.

Vor dem Solidarność-Hauptquartier in der Mokotowska-Straße versperrten „Zomo“-Polizisten mit Schildern und Schlagstöcken den Zugang. Vor ihnen versammelte sich eine wütende Menge. Diese Szene hielt ich mit meiner Kamera fest – das rausgeschmuggelte Dia schaffte es auf die Titelblätter internationaler Magazine (siehe Bild).

Eigene Armee als „kleineres Übel“

Das Regime hatte die Machtergreifung durch einen „Militärrat zur nationalen Errettung“ (WRON) schon Monate zuvor geplant. Im Westen war lange eine Intervention von Truppen des Warschauer Paktes befürchtet worden. Doch nun beendete die eigene Armee den Traum von einem Leben ohne Angst, sondern „in Freiheit und Würde“, wie der polnische Papst, Johannes Paul II., bei seinem Heimatbesuch 1979 gepredigt hatte.

Offiziell wurde beteuert, dass dies kein Militärputsch sei, da ja Regierung und Parlament normal weiterarbeiten würden. Mit der Entsendung der polnischen Armee sei ein „kleineres Übel“ gewählt worden als ein durch Einmarsch sowjetischer Truppen sicher ausgelöstes Blutbad, betonte Jaruzelski bis zu seinem Tod im Jahr 2014.

Doch es gab auch Tote zu beklagen: In einem Kohlebergwerk bei Katowice wehrten sich streikende Kumpel gegen Sicherheitskräfte mit Äxten. Die erschossen darauf neun Bergmänner. Es gab auch Selbstmorde und weitere Tote und Verletzte bei folgenden Polizeieinsätzen, darunter den Mord an dem Arbeiterpriester Jerzy Popiełuszko 1984 durch Agenten des polnischen Geheimdienstes.

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