Duda Polen - © Foto: APA / AFP / Wojtek Radwanski

Polen: Das Duell der Lager

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Mitten in den Ferien sind die Polen aufgerufen,­ per Stichwahl ihren Präsidenten zu wählen. Es geht um sehr viel, trotz Urlaubssaison.

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Mitten in den Ferien sind die Polen aufgerufen,­ per Stichwahl ihren Präsidenten zu wählen. Es geht um sehr viel, trotz Urlaubssaison.

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Es wird die spannendste und wohl wichtigste ­europäische Wahl des Jahres: Einige Zehntausend Stimmen könnten diesen Sonntag über den zukünftigen Präsidenten Polens entscheiden. Es steht aber viel mehr auf dem Spiel: Wird die rechtsnationale Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS) weiter an ihrem illiberalen Umbau des Landes festhalten können? Oder wird Herausforderer Rafał Trzaskows­ki, der amtierende Bürgermeis­ter Warschaus von der Bürgerplattform (PO), den amtierenden Präsidenten Andrzej Duda (aus den Reihen der PiS) aus dem Amt ­heben und ein Gegengewicht darstellen?

Noch im Mai hätte kaum jemand damit gerechnet, dass Duda jemand gefährlich werden könnte. Inmitten der Coronakrise­ lag der Amtsinhaber bei bis zu 60 Prozent in den Umfragen und hätte damit die Wahl bereits in der ersten Runde für sich entschieden. Weil der ursprünglich geplante Wahltermin am 10. Mai aber wegen der auch in Polen grassierenden Pandemie – trotz aller Versuche der PiS, das zu verhindern – im allerletzten Moment auf Ende Juni verschoben werden musste, kam alles ganz anders.

Fallende Beliebtheit

Die damalige PO-Kandidatin und Oppositionsführerin Małgorzata Kidawa-Błońska hatte Anfang Mai aufgrund fallender Umfragewerte – vor allem wegen eines von ihr ins Spiel gebrachten Wahlboykotts – ihre Kandidatur zurückgezogen. Ihr kurzfristig gefundener Nachfolger wurde Trzaskowski, früherer Euro­paparlamentarier, Staatssekretär im polnischen Außenminis­terium und seit November 2018 Bürgermeister Warschaus. Binnen weniger Tage hatte der Liberale überraschend nicht nur die für die Kandidatur nötigen 100.000, ­sondern mehr als 1,6 Millionen Unterschriften gesammelt. Zwar lag Trzaskowski (30 Prozent) im ersten Wahlgang mit großem Abstand hinter Duda (44 Prozent), im direkten Duell stehen beide Umfragen zufolge aber Kopf an Kopf. Es ist nicht nur eine Entscheidung zwischen dem gebürtigen Krakauer Duda und dem Warschauer Trzaskowski (beide 48 Jahre alt), sondern auch eine über die Zukunft eines Landes, das politisch tief gespalten ist.

Die Bedeutung dieser Wahl sehen nicht nur Politikbeobachter im In- und Ausland, sondern auch die Polen selbst: 64 Prozent der Wahlberechtigten haben in der ­ersten Runde abgestimmt, mehr als je zuvor bei einer polnischen Präsidentschaftswahl. Ganze 15 Prozent weniger waren es 2015 gewesen, die den zuvor unbekannten Parlamentarier Andrzej Duda an die Spitze des fünftgrößten Landes der EU gebracht haben. Dabei geholfen hat ihm die Wahlkampf-Zuspitzung auf das Thema Flüchtlinge, eine Strategie, die der PiS kurz darauf auch in der Parlamentswahl zu einem fulminanten Sieg verholfen hat. Seitdem hat Duda fast alle Reformen der regierenden PiS durchgewunken und kaum je von seinem Vetorecht ­Gebrauch gemacht, auch nicht bei höchst umstrittenen Gesetzen. Unter seinen Kritikern gilt Duda, Spitzname „długopis“ („Kugelschreiber“), als willfähriger Erfüllungsgehilfe des PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński, der als bloßer Parlamentsabgeordneter zwar keinerlei politische Verantwortung innehat, aber seit Jahren der mächtigste Mann im Staat ist.

„Ein Sieg Trzaskowskis wäre eine politische Wende“, sagt Wojciech Przybylski, Politologe und Chefredakteur des Warschauer Magazins Visegrad Insight. Der Hintergrund: Seit ihrem Wahlerfolg 2015 baut die regierende PiS die Justiz um, weswegen die EU ein Rechtsstaatsverfahren gegen Polen eingeleitet hat. Binnen wenigen Jahren ist das Land in diversen Rankings bezüglich Minderheitenrechten, Demokratie und Pressefreiheit deutlich abgestürzt. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk TVP wurde zum reinen Propaganda-Sprachrohr der Regierung, wie auch medienwissenschaftliche Untersuchungen belegen.

„Wird Duda in eine zweite Amtszeit gewählt, könnte die PiS ungestört mit dem Umbau des Staates weitermachen“, sagt Przybylski. Duda hat im Lauf des Wahlkampfs zur weiteren politischen Polarisierung beigetragen, anstatt die Wogen zu glätten. Die Arbeitsmarktpolitik der Bürgerplattform nennt er „schlimmer als das Coronavirus“, die LGBT-Bewegung eine „gefährlichere Ideologie als den Kommunismus“. Anstatt eine positive Zukunft Polens zu vermitteln, die alle miteinbezieht, schürt er Konflikte und hetzt gegen Schwule und Lesben.

„Duda polarisiert wie eh und je. Er täuscht nicht einmal vor, unabhängig zu sein“, sagt Renata ­Mienkowska-Norkiene, Politik­wissenschaftlerin an der Univer­sität Warschau. Vielmehr argumentiere er, dass die gesamte Macht in einer Hand sein muss, weil sonst Trzaskowski der Regierung ins Krisenmanagement pfuschen könnte. Dass er das ohnehin nicht vorhat, wird Trzaskowski nicht müde zu betonen. Wie er überhaupt die Hand zu all jenen ausstreckt, die ihn nicht gewählt haben, aber sich „Veränderung“ und ein offenes Polen wünschen.

„Seine Rhetorik ist eine andere, als man üblicherweise von den beiden großen Parteien PiS und PO gewohnt ist“, sagt Estera Flieger, polnische Politikbeobachterin und Journalistin. Aus ihrer Sicht ist er der beste Kandidat der Opposition seit Jahren, jemand, dem die Leute tatsächlich zutrauen, Duda schlagen zu können. „Trzaskowski bringt viel frische Energie mit. Gleichzeitig ist er erfahren in der Europapolitik, spricht mehrere Fremdsprachen und vermittelt Hoffnung auf eine verbesserte Beziehung zur EU.“

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