Polen Medien - © Foto: APA / AFP / Wojtek Radwanski

Polens „Hungarisierung“

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Die polnische Regierung geht aufs Ganze: Sie schürt Konflikte und macht Druck auf die Medien, um ihren Machtradius ins Autoritäre zu erweitern – und radikalisiert damit die Gesellschaft. Ein Panoramabild der Extreme.

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Die polnische Regierung geht aufs Ganze: Sie schürt Konflikte und macht Druck auf die Medien, um ihren Machtradius ins Autoritäre zu erweitern – und radikalisiert damit die Gesellschaft. Ein Panoramabild der Extreme.

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Allenthalben nur Konflikte: Seit die Pandemie auch in Polen herrscht, lässt sich beobachten, wie verunsichert die Menschen sind, ganz gleich, wo sie leben. Und allenthalben ist mit bloßem Auge zu sehen, wie diese Verunsicherung bewusst geschürt wird, wie sich Regierende die Krise zunutze machen. In ­Polen greift die nationalpopulistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) gerade in die Vollen. Jüngst beschloss sie etwa ein Werbe­gesetz, laut dem Medienunternehmen eine Steuer auf Werbung zahlen müssen – es ist die Kopie eines Orban'schen Vorgehens, mittels dessen unabhängigen ­Medien der Geldhahn zugedreht werden soll.

Die PiS-kritischen Medien ließen einen Aufschrei folgen und sendeten an einem Tag schwarze Bilder und leere Seiten. Die Aktion und der internationale Druck vor allem aus den USA könnten das Gesetz zwar womöglich doch noch zum Kippen bringen. Doch wie immer es ausgeht: Es war ein gezielter Angriff auf die uanbhängige Presse. „Das ist der Moment, in dem die Regierung offen sagt, dass sie uns an die Kette legen wollen”, kommentierte Adam Michnik, einflussreicher Chefredakteur der Tageszeitung Gazeta Wyborcza.

Einer unter vielen Vorstößen

Dass der Vorstoß aber nur ein weiterer Baustein in dem PiS-Unterfangen der „Hungarisierung“ Polens ist, zeigt ein Blick auf die letzten Monate. Erst wetterte im Spätsommer die mit der PiS ­koalierende Splitterpartei „Solidarna Polska“ auf EU-Ebene gegen LGBT-Rechte.

Dann ließ das PiS-kontrollierte Verfassungstribunal einen Passus im Abtreibungs­gesetz kippen, sodass dieses einen Abbruch selbst bei einer befürchteten schweren Schädigung des Fötus verbietet. Die Folge war seit Oktober eine wochenlange Welle an Protesten, die PiS zog die Initiative draufhin temporär zurück, indem sie das Urteil zunächst nicht veröffentlichte und damit wirkungslos machte.

Aber dabei blieb es nicht, denn es folgte der nächste Konfliktherd: die Veto-Keule Polens beim EU-Beschluss zum Haushalt 2021-2027 und zum Corona-Sonderfonds. Ende Jänner befand die Partei um Jarosław Kaczyński dann offenbar, dass nun doch der beste Zeitpunkt sei, das Urteil zum Abtreibungsverbot zu veröffentlichen. Die Folge waren wieder Proteste, doch diesmal, wie erwartet, schwächere.

Das kann kaum verwundern, viele Menschen sind schlicht müde. Die PiS hat die permanente, gezielte Spaltung der Gesellschaft mit Reizthemen und das harte, nachhaltige Durchgreifen bei der Justiz zur Norm gemacht. Dass nun die Medien und die Frauenrechte an die Reihe kommen, ist folgerichtig. Affären und ­Vergehen einzelner Politiker münden längst nicht mehr in Rücktritten, der Nepotismus ist so offensichtlich wie noch nie seit dem PiS-Machtantritt 2015.

Es ist eine neue Normalität, die, so die Hoffnung der PiS, eine Mehrheit der Menschen im Land als unausweichliches Faktum akzeptieren soll, mürbe gemacht durch geschürte und ungelöste Konflikte. „Die Vereinigte Rechte sieht für sich keine Alternative vor, sie wird geduldig auf verirrte Schafe warten, unreifes ­Aufbegehren überstehen und darauf zählen, dass die Menschen vernünftig sind und ihre eigenen Interessen im Leben verstehen“, schreibt der Publizist Mariusz Janicki im liberalen Magazin Polityka. Es solle, so Janicki, der Eindruck um sich greifen, „dass nichts getan werden kann, dass die PiS am Ende immer gewinnen wird, wie kürzlich bei der Abtreibung.“

Doch die Pandemie-Situation im Land macht nicht nur mürbe. Immer mehr Menschen, aber auch immer mehr Branchen packt der Zorn ob der Zick-Zack-Maßnahmen der Regierung. Wohl auch daher konnte die Opposition in Umfragen Boden gutmachen. Die PiS hat innerhalb der letzten 15 Monate ein Drittel an Zustimmung eingebüßt, sie liegt nun bei nur noch 30 Prozent. „Das Regierungslager hat dabei nicht nur Wähler verloren, sondern auch die Überzeugung, dass sie tut, was zu tun ist“, schreibt der Politologe Jarosław Flis. Das Einzige, was Kaczyński gelinge, so Flis, sei „destruktiver Krawall”.

Opposition profitiert

Daher scheint durchaus symptomatisch, welche oppositionelle Partei von dieser Gemengelage am meisten profitiert. Es ist die jüngst aus der Taufe gehobene Gruppierung „Polen 2050“. Sie positioniert sich als progressiver Block in der Mitte und will eine Art christdemokratische, zugleich moderne Option bieten. Die Gruppierung ist in den letzten Monaten massiv gewachsen, auch wenn die Partei des charismatischen (und christlich geprägten) Szymon Hołownia eigentlich nicht im Parlament vertreten ist. Immer mehr abgeordnete Politiker von der Linken, aber auch von der liberalkonservativen Bürgerplattform (PO) laufen zu Hołownia über, in Umfragen liegt seine Gruppierung mit knapp 20 Prozent an Zustimmung gleichauf mit der PO.

Es scheint, als biete Hołownia mit seiner Mischung aus Intellektualität und Bodennähe für viele die zumindest gefühlt beste Alternative zur PiS. Hołownia gibt sich als der Anti-Spalter. Bezeichnend ist etwa, wie er mit einem der in den letzten Jahren umstrittensten Akteure umgehen will: der katholischen Amtskirche, und mit ihrer Verbrüderung mit der PiS.

Die Offensiven der PiS gegen die Opposition haben ihr geschadet. Sie hat in den letzten 15 Monaten ein Drittel
an Zustimmung eingebüßt, liegt nun bei "nur noch" 30 Prozent.

Hołownias Gruppierung hält der Kirche zwar massive Verstöße vor, etwa in der Nicht-Aufarbeitung von Pädophilie-­Fällen, hat aber zugleich für eine neue Übereinkunft, gar für ein Konkordat plädiert. Die Forderungen spielen eher auf einen kritisch­-versöhnenden Ton an. ­Offenbar ein Antidoton gegen die Konflikt-Politik der regierenden PiS.

Wer gewinnt die nächste Wahl?

Doch die Umfragen sind das eine, bis zu den nächsten turnusgemäßen Parlaments­wahlen sind es noch über zweieinhalb ­Jahre. Eigentlich hält Kaczyńskis Partei alle Machttrümpfe in der Hand, und deswegen kann sie weiter nach dem Prinzip „Teile und herrsche“ vorgehen. Sie könnte in ihrer Allmacht bis 2023 dem ungarischen Staatsmodell sogar nahekommen, in dem die Opposition marginalisiert ist.

Doch so einfach ist es nicht, denn die regierende Koalition wird von Grabenkämpfen geschüttelt. Vor allem der wirtschaftsliberale Jarosław Gowin und sein gutes Dutzend Abgeordnete seiner Kleinpartei „Porozumienie“ sind Kaczyński ein Dorn im Auge. Daher versuchen Teile der Opposition bereits, Gowin aus der Regierung herauszulösen.

Gowin kann die radikalen Volten der PiS nicht gutheißen, er ist ein Mann der Wirtschaft und drängt daher stets nach moderaterer Stabilität. Kaczyński wollte Gowins Leute zuletzt gefügig machen und Gowin als Parteichef stürzen, scheiterte aber. Doch „Kaczyński wird sicher wieder zuschlagen“, schreibt der Publizist Andrzej Stankiewicz. Denn er könne „nur im Konflikt regieren“.

Vorerst dürfte die PiS also weiter mit dem Vorschlaghammer gegen ihre Widersacher und Institutionen vorgehen. Die ­Opposition ist dabei gut beraten, sich nicht nur im Parlament, sondern auch dort einzusetzen, wo sie noch auf das Leben der Menschen realen Einfluss hat und deutlich häufiger als die PiS regiert: in den vielen Kommunen. Und lokal und regional geht es nicht um das Schüren künstlicher Konflikte – sondern um konkrete Lösungen.

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