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„Politik der Macher ist ein Gefühl”

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Der österreichische Schriftsteller Josef Haslinger („Opernball”) über die neuen Macher in der Politik und die Folgen des eu-Beitritts

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Der österreichische Schriftsteller Josef Haslinger („Opernball”) über die neuen Macher in der Politik und die Folgen des eu-Beitritts

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DIEFURCHE: Hat sich an der „Politik der Gefühle” heute etwas für Sie verändert? Josef Haslinger.: Nein, aber durch die Bürgerinitiativen und das Aufkommen der Grünen hat sich ein zweites Element hineingemischt, das die österreichische Demokratie belebt hat. Durch sie wurde im Parlament tatsächlich diskutiert, wenn auch die Abstimmungen kaum beeinflußt wurden. Früher hat man einen Diskurs nachgestellt, der im Grunde schon gelaufen war. Letztlich hat auch die FPÖ mitgespielt, vor allem Jörg Haider. Neben der Politik der Gefühle hat sich also auch eine neue politische Streitbarkeit entwickelt.

hiefurche Mehr als von einer Politik der Gefühle spricht man heute von einer Politik der Macher. Ein neuer Politikertypus soll entstanden sein. haslinger: Dieses Gerede von den großen Machern entspricht ja auch nur einer Bedürfnislage. Denn daß es soziale und politische Probleme gibt, hat sich ja mittlerweile herumgesprochen. Aber auch ein Bundeskanzler Viktor Klima weiß nicht, wie man die Arbeitslosigkeitbekämpfen kann. Keiner weiß es in Wirklichkeit. Trotzdem wird die Illusion erhalten, es gebe Lösungen im gegebenen Bahmen. Insofern bleibt auch die Politik der Macher' eine der Gefühle. Denn sie „ersatzbefriedigt” ja nur den Wunsch nach Leuten, die Ixisungen bringen. Es wäre Zeit nachzudenken, wie man zwei Dinge verbinden kann: den Sozialstaat gerechter zu machen und ihn langfristig zu sichern.

Die Leute verstehen, daß es Probleme gibt. Sie haben das Sparpaket geschluckt, aber sie wollen nicht ständig zur Kasse gebeten werden, um für den Tag irgendwelche Löcher zu stopfen. Menschen im mittleren Lebensalter, und vor allem die Jüngeren, rechnen nicht mehr damit, Pensionen in der Form wie ihre Eltern zu kriegen. Das macht sehr unsicher, weil man die Alternative nicht kennt. Die Beliebtheit Viktor Klimas ist da erstaunlich und paradox, weil er derjenige war, der den Leuten am meisten genommen hat. Von ihm hatten die Leute - kurzfristig zumindestens - das Gefühl, er sagt uns die Wahrheit. Das wird offenbar geschätzt

DIEFURCHE: Verändert die Teilnahme an einem europäischen Binnenmarkt, den man ja nicht lieben kann, diese „ Gefühlspolitik ”?

haslinger: Nein, weil Brüssel ja eigentlich keine Rolle bei uns spielt. Was dort geschieht, ist in Österreich nicht bekannt. Wir sind zwar mit einem überragenden Votum beigetreten, interessieren uns aber nicht dafür. Unsere Zeitungen werden der neuen politischen Identität nicht gerecht. Ganz am Anfang gab es beispielsweise im Standard eine Europa-Seite: wo ist sie heute? Von Auseinandersetzungen im EU-Parlament, wie sich unsere Freiheitlichen verhalten, welche Reden der große ÖVP-Star Ursula Stenzl hält, erfährt man nichts. Im politischen Bewußtsein sind wir etwas orientierungslos gewordene Österreicher, in der politischen Realität sind wir im verborgenen agierende Europäer.

DIEFURCHE: Spielten in der Phase des Beitritts nicht mehr wirtschaftliche und „rationale” Überlegungen eine Rolle als Gefühle und Emotionen? haslinger: Schon der Ablauf des EU-Beitritts war ein unsägliches Paradestück der österreichischen Politik. Das war die Praxis des Mauscheins der großen Koalition in alter Reinkultur Darum sind die Folgeerscheinungen so unerfreulich.

Der EU-Beitritt hat Haider großgemacht. Als der gemeinsame Brief nach Brüssel geschrieben wurde, war die Stimmung in der Bevölkerung etwa 50 zu 50. Man hat gemeint, man könne das auf traditionelle Weise lösen und hat eine Werbekampagne aufgezogen, Angstgefühle mobilisiert und den Glitzerglanz der Globalisierung und Billigwaren schmackhaft gemacht.

DIEFURCHE: „Die Wahrheit”, so schreiben Sie in Ihrem Essayband „Politik der Gefühle”, „liegt im Spektakel des gelungenen Wzrbeaufiritts ”. Bezüglich EU-Beitritt hat sich der Rummel gelegt, sehen Sie so etwas wie eine neue Nüchternheit?

Haslinger: Das Problem ist, daß die Regierung nicht zu deutlich über die Probleme reden will, weil dann müßte sie über ihre eigenen Lügen reden. Wenn in einem offenen Markt der staatliche Protektionismus wegfällt, gewinnt der Stärkere. Nachdem Paradeunternehmen wie Billa wegfielen, wurde den Leuten schon klar, daß es mit der nationalen Wirtschaftspolitik mehr oder minder zu Ende ist. Die Politiker scheinen sich zu schämen, darüber zu sprechen. Man schämt sich auch irgendwie, daß man beigetreten ist, weil man mit der neuen Identität noch nicht zurecht kommt. Denn wenn wir Europäer sind, ist es ja völlig egal, welche Nationalität der Besitzer hat. Das ist ja eben der Sinn eines vereinten Europa, daß die nationalen Kategorien keine Rolle mehr spielen. Das tun sie aber, ich weiß nicht, wieviele Österreicher es gibt, die sich als Europäer bezeichnen würden. Vermutlich nur wenige.

DIEFURCHE: Im Millenniumsjahr gab es auch Diskurse zur nationalen Identitätfließen die in die heutige Realität ein?

haslinger: Das Selbstbewußtsein des Österreichers ist in hohem Maße kulturell bestimmt. Im Unterschied zu den Deutschen, die auf die Wirtschaftsmacht, auf BMW und Mercedes stolz sind. Auch darauf, daß man als größter Nettozahler wieder ein bißchen diktieren kann. Der österreichische Stolz wird nun getrübt; denn unsere Nachkriegsidentität ist immer auch eine Abgrenzung gegenüber den Deutschen gewesen. Besonders in der sozialdemokratischen Ära, als die österreichische Außenpolitik sich bewußt von der deutschen abgrenzte. Das ging soweit, daß unsere Kulturinstitute nicht mit Goethe-Instituten zusammenarbeiten durften. Oder, ' daß österreichische Diplomaten, auch wenn Deutsch als Konferenzsprache anerkannt ist, mit Englisch auftreten.

DIEFURCHE: Was bedeutet kulturelle Identität für Sie in einem geeinten Europa?

haslinger: Wenn die Philharmoniker auf Japantournee sind, freut sich Österreich. Da wollen wir, eine Kulturweltmacht sein. Da ist Stolz dabei, das heißt aber nicht, daß wir scharf sind, von anderen etwas kennenzulernen. Niemandem soll der Stolz auf seine Herkunft genommen werden, aber das soll ja nicht alles sein. Daneben braucht es eine zweite Identität, die ganz nüchtern sein könnte. Es könnte eine politische sein, mehr brauch' ich nicht als Europäer. Man muß sich ja kulturell nicht mit den Franzosen oder Spaniern identifizieren.

DIEFURCHE: Gibt es Anzeichen für einen neuen Diskurs, der der neuen Realität gerecht würde? Haslinger: Das würde ja heißen, daß man ein alternatives Gesellschaftsmodell schafft, das nicht in die Fallen des Sozialismus tappt, und den Klippen des Neoliberalismus entgeht. Ein überzeugendes Projekt, das die Sozialdemokratie, das siegreiche Modell des ausgehenden Jahrhunderts in Europa fortsetzt, scheint mir nirgends vorhanden.

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