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Politik der Trippelschritte

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Nach Keynes kann die Staatsverschuldung ohne Inflationsgefahr bis zur Grenze der Vollbeschäftigung vorgetrieben werden. Die Neu-Keynesianer hierzulande dagegen haben einen neuen Grundsatz erfunden: Der Staat darf jährlich nur so viel borgen, als er an alten Schulden zurückzahlt. Das liefe auf eine kon-

stante Staatsverschuldung hinaus, was natürlich eine antizyklische Budgetpolitik unmöglich mächt. Man durchlöchert aber dieses Prinzip auch wieder, wenn man besondere Budgetlücken durch Anleihen deckt oder wenn man willkürlich zwischen Finanz- und Verwaltungsschulden unterscheidet, um die Verschuldungsgrenze auf diese Art hinauszuschieben.

Bei den Steuererhöhungen läßt man die Reagibilität der einzelnen Abgaben außer acht. Die Erhöhung der Umsatzsteuer erhöht die Staatseinnahmen sofort, die Erhöhung der Einkommenssteuer erst nach einem Jahr, was im Aufschwung zu unerwünschten Stimulierungen, in der Krise jedoch zu verstärkten Hemmungen beiträgt. Für die Berechnung der Wirkung von Steuerveränderungen gibt es bis jetzt keine statistischen Unterlagen. Erhöhun-

gen wie Ermäßigungen werden über den Daumen gepeilt, und, wenn die erwartete Wirkung ausbleibt, wiederholt. In der Bundesrepublik nannte man dieses Herantasten an den nötigen Größeneinsatz „Politik der Trippelschritte“, als ob hier nicht Verlegenheit, sondern Absicht vorläge.

Um konjunkturgerechte Steuerpolitik betreiben zu können, ist es notwendig, die richtige Dosierung der Maßnahmen auf Grund quantitativer Analysen zu errechnen. Sowohl das Ausmaß der Konsumbelebung, als auch des Preisauftriebes, der Mehrbeschäftigung, der Exportwirkung usw. müßte vorerst festgestellt werden, bevor man sich zu Steuerermäßigungen oder Erhöhungen entschließt.

Föderalismus — ein Hindernis

Der Föderalismus behindert eine wirksame Konjunkturpolitik. Die Länder- und Gemeindebudgets erreichen eine Höhe bis zur Hälfte aller öffentlichen Ausgaben. Die Bundesverfassung gibt keine Möglichkeit, die Gebietskörperschaften zu einem konzentrierten Verhalten zu zwingen, der Finanzausgleich nimmt auf die Konjunkturerfordernisse keine Rücksicht und die Lokalinteressen verhindern häufig notwendige Maßnahmen. Denselben Widerstand gegen eine konzentrische Konjunkturpolitik leisten die Interessenverbände, die in der Demokratie von heute immer mehr Macht über die politischen Parteien gewinnen. Um die Opfer, die jede Gruppe zu bringen hat, wird nicht mit einem Blick auf das Ganze, sondern auf die Gunst der Wähler gefeilscht. Wenn die erforderlichen Maßnahmen auf ihre Richtigkeit und Zweckmäßigkeit berechenbar sind, dürfte darüber weder verhandelt noch abgestimmt werden Darin liegt eine allgemeine Schwäche der demokratischen Staatsform gegenüber der modernen Wirtschaftspolitik, besonders im Sektor der Lohnpolitik und der Agrarpolitik.

Die Demokratie neigt ihrem Wesen nach zum Kompromiß. Das mag im politischen Bereich vorteühaft sein. Die Wirtschaftspolitik hingegen verlangt Entscheidungen, die man entweder ganz oder gar nicht durchführt. Man kann einen Streit, ob eine Brücke gebaut werden soll oder nicht, nicht dahin schlichten, daß man sie bis zur Mitte des Flusses baut. Diesen Charakter aber haben

viele Entscheidungen, die durch einen Interessenausgleich zustande kommen. Eine Seilbahn oder ein Schwimmbad machen noch keinen Fremdenverkehrsort. Betriebe, die in den Randgebieten neu errichtet werden, schaffen bestimmt nach wenigen Jahren einen neuen Krisenherd, ohne den alten zu beseitigen, im Straßenbau sind lokale Einflüsse störend, ebenso im Spitalsbau, im Schulbau, im Sportwesen.

,,Mifrifi“ — eine Lösung?

Eine weitere Verlustquelle ist die häufige Unterbrechung halbfertiger Anlagen, weil plötzlich die Budgetmittel ausgehen. In der Bundesrepublik stehen heute zahlreiche Bauten still. Werden mittelfristige Finanzpläne („Mifrifi“ genannt) und widmungsgebundene Anleihen dieser Misere abhelfen? Nach bisheriger Praxis hat der Staat jedes Jahr wie ein „braver Hausvater“ die Ausgaben nach den jeweiligen Einnahmen zu strecken. Bei solchen veralteten Budgetgrundsätzen werden Großprojekte, wie Energieplan, Wohnbauprogramm, Verkehrsprojekte, aber auch Verwaltungsreform und Reorganisation der verstaatlichten Banken und Industrien, niemals zum Zuge kommen. Man versucht schon heute, diesen Gefahren zu entgehen, indem man wirtschaftspolitische Entscheidungen vom Parlament auf neue Organe überträgt, die aber wieder paritätisch beschickt werden. Wir kennen ja die Schwäche solcher „Kommissionen“ zur Genüge.

Notenbank und Konjunktur

Die Konjunktur- und Wachstumspolitik beruht heute auf zwei Pfeilern: Budgetpolitik und Notenbankpolitik. Bis vor kurzem war man bestrebt, diese beiden Bereiche unabhängig voneinander zu belassen, damit sie sich gegenseitig kontrollieren. Daraus entstand eine Gegenläufig-keit der Maßnahmen. Die Entwicklung ging daher sehr rasch dahin, die Notenbank der Regierung zu unterstellen. Das brachte jedoch

noch immer keine vollständige Koordinierung, da im Generalrat der Notenbank auch die Vertreter des Bankgewerbes und der Versicherungsgesellschaften, der Genossenschaften, ja sogar der Gewerkschaften und der Landwirtschaft sitzen.

Die Instrumente der Notenbankpolitik sind die Diskontpolitik, die offene Marktpolitik und die Mindest-reservenpolitik. Mit diesen Instrumenten glaubt man, das Kreditvolumen jederzeit der Konjunkturlage anpassen zu können.

Die Wirkung der Diskontpolitik ist gleich Null. Wenn die Preise fallen, wird sich der Unternehmer auch durch billigste Kredite nicht verleiten lassen, auf Vorrat zu kaufen oder Investitionen vorzuziehen, denn an den Waren wird er verlieren und die Investitionen könnte er nach einem Jahr billiger haben. Bei Preissteigerungen wieder wird auch eine Erhöhung des Diskontsatzes um ein oder zwei Prozent den Unternehmer nicht davon abhalten, Vorratskäufe zu tätigen oder Investitionen vorzunehmen, da sie nach einem Jahr teurer sein werden. Die Diskontveränderungen sind somit nur ein Konjunktursignal für die Wirtschaft, allerdings ein sehr teures, da sie die Kalkulation unsicher machen und ein ständiges Hin- und Herfließen kurzfristiger Auslandsgelder bewirken. Das „hot money“ bedroht die Zahlungsbilanz. Warum hat man nach zwölf Jahren stabiler Zinssätze (1933 bis 1945) diese verrostete Waffe wieder aus der Rüstkammer der Konjunkturpolitik geholt?

Über die offene Marktpolitik zu sprechen, erübrigt sich, da sie einen kräftigen Kapitalmarkt voraussetzt, der auch größere Mengen von Anlagenpapieren ohne Kursverlust aufnehmen kann.

Der Ausweg heißt Planung

Dagegen fordert die Mindest-reservenpolitik Kritik heraus. Ursprünglich verpflichtete man die Kreditbanken, einen Prozentsatz ihrer Depositen unverzinslich bei der Notenbank zu halten, damit sie jederzeit über liquide Mittel verfügen. Heute will man mit demselben Instrument das Kreditvolumen regulieren. Abgesehen davon, daß die Banken Ausweichmöglichkeiten haben, werden sie bei Erhöhung der Reservepflicht ihre Außenstände von den guten Schuldnern eintreiben, denn von den schlechten bekommen sie sie ja nicht prompt zurück. Das bedeutet eine negative Auslese in der Kreditgewährung! Ist es aber nicht überhaupt ein Widersinn, zuerst das Publikum zum Sparen aufzurufen, damit der Wirtschaft mehr Kapital zur Verfügung steht, und dann, wenn das gesparte Geld bei der Bank eingeht, es zu blockieren? Wozu hat man dann gespart? Das Kreditvolumen ließe sich ja auf einfachere Art beschränken, durch Kre-

ditrestriktion. Aber das riecht bereits nach Initerventionismus und Planung, und das ist tabu.

Keine Angst vor Selektion

Die Erfolglosigkeit, ja geradezu Hilflosigkeit der traditionellen Konjunktur- und Wachstumspolitik mittels Budget und Notenbank hat ihre letzte Ursache in dem Bestreben, alle selektiven Maßnahmen zu vermeiden, um nicht den Bestand der unternehmerisch organisierten Wirtschaft zu gefährden. Ist aber diese Wirtschaftsordnung, wie jede andere, nicht auch ein historisches Gebilde, das eine zeitbedingte Leistung vollbrachte, unter den heutigen Bedingungen fortgeschrittener Technik und Konzentration und erhöhter Tragweite individueller Entscheidungen aber nicht mehr befriedigend funktioniert? Ideologische Hartnäckigkeit vermag ein historisches Zersetzungswerk nicht aufzuhalten. Das sollten wir aus der Wirtschaftsgeschichte gelernt haben.

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