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Politik vor Ökonomie

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Der scheidende Bundeskanzler Franz Vranitzky hatte einen starken Abgang, sein Nachfolger Viktor Klima einen starken Auftritt. Vranitzky hat den günstigsten Moment gewählt und den Koalitionspartner, die ÖVP, aber auch die FPO am falschen Fuß erwischt. OVP-Chef Schüssel hat schmale Lippen bekommen, war hin- und hergerissen zwischen Trotz und Kooperation bis zur Selbstaufgabe. Jörg Haider hat Nervosität gezeigt. Erste Umfrageergebnisse signalisieren, daß die SPÖ - nachdem sie beim Verkauf der CA-Aktien an die Bank Austria Linie gezeigt hat und nach dem raschen Wechsel von Vranitzky zu Klima - wieder etwas Boden unter den Füßen bekommen hat.

Die Bilanz für Vranitzky sieht nach zehn Jahren Begierungs- und Parteivorsitz positiv aus. Vranitzky hat der SPO bei den Nationalratswahlen 1986 die Nummer-1-Position gerettet und die Begierungstätigkeit der Sozialdemokratie um zehn Jahre verlängert. Der Versuch einer Aussöhnung mit unserer Geschichte und die Feststellung, daß Österreicher im Dritten Beich nicht nur Opfer, sondern auch Täter waren und damit verbunden die Einrichtung des Nationalfonds für Opfer des Nationalsozialismus; der EU-Beitritt, von dem der SPÖ-Vorsitzende Vranitzky eine vorerst unwillige SPÖ erst überzeugen mußte; die relative politische, wirtschaftliche und soziale Stabilität des Landes stehen auf der Haben-Seite. Unter Vranitzky hat die SPÖ ökonomischen Bea-litätssinn bekommen und sich zur Einsicht durchgerungen, daß auch der Staat oft ein schlechter Unternehmer sein kann, wie Otto Bauer bereits in den zwanziger Jahren gemeint hat.

Auf der Soll-Seite steht: Zehn Jahre Vranitzky heißt, daß die soziale Kompetenz der SPÖ verblaßt, der Bechenstift immer größer geworden ist. Eine zunehmende soziale Kälte war auch in der SPÖ zu spüren und hat Wählerinnen und Wähler irritiert.

Der Parteivorsitzende Vranitzky hat die Partei vernachlässigt, letztendlich war die Sozialdemokratie fast deckungsgleich mit der Begierungsfraktion beziehungsweise Be-gierung, und die Frage „Wofür steht die SPÖ?" konnte immer weniger beantwortet werden. Die SPÖ hat sich zunehmend zu einer Partei der Beliebigkeit, zu einem Supermarkt, wo es ein Angebot für jeden gibt, entwickelt. Man hat das Gefühl bekommen, daß sich die SPÖ mehr an der Kurzatmigkeit des Zeitgeistes, an Schlagzeilen des Boulevards und an Meinungsumfragen orientiert, als an ihren Grundsätzen. Die Partei ist aus dem Buder gelaufen, gemeinsam mit der ÖVP in einem fiegierungs-partei-Einheitsbrei aufgegangen.

Franz Vranitzky hat das sehr spät erkannt und vor der Nationalratswahl 1995 reagiert. Er hat immer öfter ein Plädoyer für das Politische und eine Bepolitisie-rung des Politischen gehalten, das Soziale in Beden betont und versucht, der SPÖ neue Orientierung zu geben. Bei der SPÖ-Klubklausur in Bad Tatzmannsdorf hat er sinngemäß sogar gemeint, daß sich die Politik aufbäumen muß gegen den wildgewordenen Markt, zu den Menschen hinausgehen soll und nicht zu Hause sitzen darf. Eine richtige Analyse, eine Kurskorrektur, fast zu spät, die Viktor Klima jetzt verstärken muß.

Auf der Soll-Seite steht auch, daß die EU von der SPÖ unter Vranitzky als Paradies präsentiert wurde, wo sie doch bisher nur eine ökonomische Zweckgemeinschaft ist, mit Aussicht auf mehr, in Bichtung einer politischen, sozialen und sicherheitspolitischen Union. Mit anderen Worten: Die SPÖ hat die EU-Latte so hoch gelegt, daß am 13. Oktober viele Wählerinnen und Wähler nicht drüberspringen konnten und wollten und die SPÖ mit Wahlentzug oder -enthaltung bestraft haben. Unter dem Strich sind die zehn Jahre Vranitzky positiv zu bewerten, es bleiben aber dunkle Flecken.

Mit dem nahtlosen Übergang zu Viktor Klima sind Hoffnungen verbunden: Soziale Sensibilität, Bodenhaftung, erdverbunden, auf die Menschen zugehen, Probleme anpacken, Entscheidungskraft. Bisher hat sich der neue Bundeskanzler und kommende SPÖ-Vorsitzende vor allem auf dem, wichtigen Gebiet der Wirtschaftspolitik bewegt, die anderen Seiten des Viktor Klima sind noch leer und müssen erst beschrieben werden. Auch muß sich erst der Nebel über der durch den Kanzlerwechsel durcheinandergewirbelten politischen Landschaft heben. Das Wichtigste wird wohl sein, daß einem neoliberalen Konzept, das weltweit Urständ feiert, in Österreich, aber auch in Europa, das Primat der Politik entgegengestellt wird, das heißt, daß Klima bei jeder ökonomischen Entscheidung Verteilungsgerechtigkeit, soziale Sensibilität und das Wissen, daß Menschen nicht Kosten auf zwei Beinen sind (wie vor kurzem der Vorstandsvorsitzende von Mannesmann gemeint hat), im Hinterkopf hat. Angesichts der Brutalität des freien Marktes geht es in den nächsten Jahren um die Würde von Menschen, dazu gehören Arbeitsplätze und die Bewahrung der Grundstruktur des Kulturgutes Sozialstaat bei aller Notwendigkeit von intelligenten Adaptionen.

Viktor Klima wird auch den Unterschied zwischen Populismus und Popularität (Popularismus) beachten und die verspätete Demokratie in Österreich bewegen müssen, damit sie stabil bleibt. Die SPÖ wird er als SPÖ-Vorsitzender animieren müssen, sich vorerst einmal gedanklich von den Fesseln der großen Koalition zu befreien und über diese große Koalition hinauszudenken.

Der nächste Ehekrach in der Koalition kommt bestimmt. Für die SPÖ gilt es, vorbereitet zu sein, weil der lange Abschied von der großen Koalition bereits begonnen hat, auch wenn es viele in der SPÖ noch nicht wissen wollen.

Der Autor ist

Mitarbeiter von Nationalratspräsident Heinz Fischer.

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