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Politiker über Solidarität

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Notwendiger Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält

Andreas Khol, Abgeordneter zum Nationalrat, Obmann des parlaments klubs dkr PVP:

Ich möchte konkret sein: Für mich bedeutet Solidarität den entscheidenden Grundwert in der Gesellschaft. Ohne belastbare, gelebte Solidarität zerfällt die Gesellschaft, die Gemeinschaft in ihre Einzelteile, fehlt der Kitt, der aus einzelnen eine Gesellschaft macht. Ohne Solidarität entwickelt sich unser Staat zum Therapie- und Polizeistaat: der Staat, der sich aller menschlichen Nöte mit immer mehr Pflege und Beistandspersonal annimmt; der Staat, der zur Sicherung der Gesetze mangels Bürgersinns und mangels Solidarität hinter jeden Menschen einen Polizisten stellen muß.

Solidarität in der Familie heißt Partnerschaft, Gleichberechtigung, wechselseitiges Helfen aller Familienmitglieder. Heißt Sorge und liebende Hinwendung zum Partner, zu den Eltern, zu den Kindern. Heißt Wahrnehmung der unmittelbaren Nöte, heißt Hilfe, Arbeit, Sorge. Solidarität in der Familie heißt aber auch: einer trage des anderen Last, jeder für jeden. Solidarität heißt für mich, sich in den privaten Gemeinschaften zu engagieren: in der Pfarre, in der Nachbarschaft, Betreuung von Flüchtlingen, in der Jugendarbeit. Dies sind sehr naheliegende Beispiele.

Für mich geht Solidarität aber noch weiter: das Steuerzahlen, also das Teilen des eigenen Einkommens, damit das soziale Netz für andere, weniger leistungsfähigere erhalten bleibt: wenn ein Viertel der österreichischen Erwerbstätigen drei Viertel aller Lohn- und Einkommenssteuer bezahlen, so ist das auch Solidarität. Jeder Pfuscher ist auch ein Steuerhin-terzieher und damit ein Gefährder des Sozialstaates, ist unsolidarisch.

Solidarität bedeutet auch, die Verantwortung zu übernehmen für die notwendigen Maßnahmen im Staat zur Sicherung der Benten, der Gesundheitsvorsorge, der kostenlosen Ausbildung, der Arbeitslosenversicherung, des Mutterschutzes: Wer auf Dauer mehr ausgibt, als er einnimmt, gefährdet die Zukunft des Ganzen und ist damit unsolidarisch; wer heute großzügig Frühpensionen gewährt, weil es bequem ist, gefährdet die ganze Altersversorgung der Jugend -den Generationenvertrag und damit die Solidarität.

Solidarität kann also viele Verpflichtungen mit sich bringen - auch im europäischen und internationalen Bereich; nur eine sei genannt: Solidarität bedeutet, an der Friedenserhaltung und Friedensstiftung in ganz Europa teilzunehmen - neutrales Abseitsstehen ist gleichfalls Solidaritätsverweigerung.

Bloße Rhetorik bewirkt nichts

Alexander Van »kr Bellen, Wirt-scii u tssi'ukciikr dkr grünen: Wenn Solidarität tatsächlich als politischer Wert anerkannt werden soll, genügen die bloßen rhetorischen Ein-mahnungen eben dieses Wertes wohl kaum. Soll Solidarität als politische Orientierung und Problemlösung gesellschaftlich akzeptiert werden, so bedarf es entsprechender politischer Voraussetzungen. Solidarität zu all jenen einzuklagen, die man gerade zuvor per „Sparpaket" aus dem sozialen Netz katapultiert hat, ist wohl mehr als doppelbödig.

In einer Gesellschaft der zunehmenden Individualisierung und Polarisierung kann Solidarität ein entscheidendes verbindendes Element sein und soziale Bindungen herstellen. Versteht man Solidarität allerdings nur als moralische Verpflichtung des einzelnen, so wird man an den gesellschaftlichen Konflikten nur wenig ändern. Daß Solidarität nicht nur Privatangelegenheit, sondern politischer Auftrag ist, sollten sich vor allem die an Maiaufmärschen teilnehmenden Politiker(innen) in Erinnerung rufen.

Solidarität ist lebendiger Grundwert

Andreas Rudas, SPÖ-Generalse-kretär:

Für die Sozialdemokratie ist Solidarität neben Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit der zentrale Grundwert, der auch Richtschnur unserer konkreten politischen Arbeit ist. Solidarität heißt für uns, für eine Gesellschaft einzutreten, in der nicht der stärkere Ellbogen gewinnt, sondern in der die Starken die Schwachen unterstützen.

Die rasanten wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen erfordern heute aber auch neue Antworten, die wir auf der Basis unserer Grundwerte erarbeiten müssen.

Ein Beispiel dafür ist die Situation in der Arbeitswelt: Es muß Solidarität mit jenen geben, die keine Beschäftigung haben - Solidarität, nicht nur indem wir diese Menschen materiell unterstützen, sondern vor allem auch, indem wir Arbeit gerechter verteilen. Denn eine Gesellschaft, in der wenige Leute sehr, sehr viel arbeiten und Uberstunden machen, viele andere aber keine Beschäftigung haben -eine solche Gesellschaft wird sozial aus den Fugen geraten.

Ähnliches gilt auch für das Verhältnis der Geschlechter: Solidarität heißt, auf der Seite jener zu stehen, die vielfach nicht die gleichen Chancen haben, die vielen Ungerechtigkeiten ausgesetzt sind - also auf Seite der Frauen. Und Solidarität zwischen den Geschlechtern in einer modernen Gesellschaft bedeutet auch, die Lasten gleich zu verteilen, und zwar die Lasten der bezahlten und der unbezahlten Arbeit.

Um gesellschaftliche Veränderungen menschlich und solidarisch zu gestalten, suchen wir auch die Zusammenarbeit mit Gruppen außerhalb der SPÖ. Viele engagierte Christen sind natürliche Bündnispartner, wenn es darum geht, daß sich Fortschritt und Modernisierung nicht gegen die Menschen richten, daß die Schwächsten nicht auf der Strecke bleiben.

Grundsätze und Werte wie Solidarität oder Gerechtigkeit dürfen also nie in ihrer Bedeutung erstarren; wir müssen danach trachten, sie mit dem Blick auf Veränderungen lebendig zu erhalten, damit sie Richtschnur unserer Politik bleiben.

Bereitschaft zum Handeln

Heide Schmidt, Bundesspreciierin des Liberalen Forums: Solidarität bedeutet für mich Beziehung. Man kann auch sagen, eine Art Bindung im Sinne der Ligaturen Dahrendorfs, die für den Zusammen -halt einer Gesellschaft wichtig sind. Man kann auch sagen Verantwortung. Ich empfinde nicht, daß unsere Gesellschaft unsolidarischer sein soll als frühere. Nur wird heute Solidarität öfter freiwillig erbracht und nicht aus dem oktroyierten Gefühl der Verpflichtung. Freiwilligkeit ist der mir wichtigere Wert. Doch wenn Solidarität Regelungskraft entfalten soll -und ich halte das für erstrebenswert -muß Verantwortung bewußt gemacht, gelehrt und erlernt werden. Daher mein Verlangen nach einem Ethikunterricht in der Schule, daher die Arbeit am Modell der Grundsicherung, daher der Aufruf zum Kampf gegen Bevormundung und für Zivilcourage und Selbstorganisation. Für mich ist Individualismus nicht Egoismus, sondern die Chance zum

Altruismus. Der Wunsch nach Individualismus entwickelt die Fähigkeit zur Toleranz anderen Individualismen gegenüber, die Verantwortung für sich selbst, die Fähigkeit auch für andere Verantwortung zu übernehmen. Solidarität heißt für mich die Bereitschaft, es auch zu tun.

Solidarität ist nicht Nächstenliebe

Ewald Stadler, Gesciiäftsküiiren-der Klubobmann der FPO Der Begriff Solidarität ist zunächst zu unterscheiden vom Begriff der Nächstenliebe. Oft wird das miteinander verknüpft. Solidarität ist aber ein bißchen mehr. Solidarität ist eine Wechselbeziehung - ein Verhältnis, das gegenseitige Verpflichtungen bedeutet. Etwa beim Generationenvertrag oder im Sozialrecht. Leistungserbringung bedeutet, daß dann, wenn das Risiko schlagend wird, der Leistungsempfang auch gewährleistet ist. Das heißt, man verteilt das Risiko auf mehrere Schultern und jeder kann sich dann, wenn er selber in eine Notlage kommt, auf die Unterstützung der anderen verlassen.

Umgekehrt hat man auch die Unterstützung anderen zu gewähren. Das ist etwas anderes als Nächstenliebe. Nächstenliebe ist etwas, wo ich mich nicht darauf verlassen kann, daß ich etwas zurück bekomme. Während Solidarität also Gegenseitigkeit bedeutet, ist Nächstenliebe ausschließlich etwas, was einseitig begründet ist.

Man kann nicht mit der ganzen Menschheit solidarisch sein, weil man ja auch nicht von der ganzen Menschheit etwas einfordern kann.

Wer mit mir nicht solidarisch sein will, mit dem kann ich es auch nicht sein weil es sich dabei eben um eine Wechselbeziehung handelt.

Die Statements hat

Monika Kunit eingeholt.

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