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Politische Folklore am Ende

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Das Ächzen im Gebälk der erstarrten Institution Sozialpartnerschaft zeugt nicht von Verfall, sondern ist ein völlig normaler demokratischer Vorgang.

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Das Ächzen im Gebälk der erstarrten Institution Sozialpartnerschaft zeugt nicht von Verfall, sondern ist ein völlig normaler demokratischer Vorgang.

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Es ist wieder einmal eine Zeit der großen - nicht selten auch hohlen -Worte. Von Regierungskrise bis Neuwahl, vom Ende des international bewunderten österreichischen Weges bis zur Erschütterung des Staatsfundamentes, von der Katastrophe der politischen Kultur bis zur Bunkerstimmung wird alles beschworen, um einen völlig normalen demokratischen Vorgang, nämlich politisch differierende Auffassungen zwischen Interessengruppen und Begierung, zu erklären. Dies ist aber nur möglich, weil es sich um ein differenziertes, sehr verzweigtes, historisches und emotionalisiertes Gebilde unserer Real Verfassung handelt, kurz also um das in Osterreich übliche Mißverständnis von Politik.

Denn trotz aller Veränderungen seit dem Ende der Großen Koalition 1966 und wechselnden parlamentarischen Machtverhältnissen war das System des Interessenausgleichs zwischen den großen Parteien, des Proporzes und der außerparlamentarischen ökonomischen und politischen Regelmechanismen mit wenigen Einbrüchen intakt geblieben und hatte jene Konsensdemokratie bestimmt, die durch ein seltsames und dichtes Geflecht von schwer überprüfbaren Einflüssen, Abhängigkei-ten und Gefälligkeiten gekennzeichnet war. Änderungen dieses starren politischen Systems in einem Land mit so geringem kritischen politischen Bewußtsein rufen daher sofort Assoziationen von Gefahr und Zerfall hervor.

Die gegenwärtigen Erscheinungen sind Ausdruck struktureller politischer Veränderungen, die - unter weltweitem Einfluß - einen historischen Prozeß bestimmen, der letztlich im Ende des 1945 etablierten österreichischen Nachkriegssystems mündet. Man muß also die Fragen stellen, was sich verändert und wohin die Entwicklungen führen können, um zum Schluß zu kommen, daß nicht das Ende der Sozialpartnerschaft, sondern bestenfalls das Ende des Mythos der Sozialpartnerschaft gekommen ist.

Die Sozialpartnerschaft, vorbereitet durch fünf Lohn- und Preisabkommen in den Jahren 1947 bis 1951 und das Wirtschaftsdirektorium, wurde formell 1957 mit der Paritätischen Kommission errichtet. Sie wurzelt in dem seit 1945 geltenden Politik-, Staats- und Demokratiebegriff, der durch die ÖVP und die SPÖ als Träger des Staates, scharf ausgeprägte politische Lager und diesen zugeordnete Interessen verbände, eine oligarchi-sche Führung unter Mißachtung fundamentaler demokratischer Prinzipien, schematisierte und formalisierte Machtbeziehungen und Interessenausgleiche sowie den Zugriff der Parteien auf staatliche und weite Bereiche außerstaatlicher Einrichtungen gekennzeichnet ist. Da die Abstimmungen unterschiedlicher.Interessen intern oft nicht nur extra, sondern auch contra legem — erfolgten und der Öffentlichkeit bestenfalls in Form von obrigkeitlichen Verlautbarungen zugänglich gemacht wurden, entstand der Eindruck einer harmonischen politischen Gemeinsamkeit, die, vor allem in Zeiten der Hochkonjunktur, das allgemeine vor das Gruppenwohl zu stellen schien.

Die Sozialpartnerschaft übernahm auch bald die tatsächliche Kontrolle über die Wirtschafts- und Sozialpolitik, konnte auf der Basis der Monopolisierung und Zentralisierung, durch enge Verflechtungen mit den Parteien und der Begierung, durch Ämterkumulation und durch einen hohen Anteil von Mandataren im Nationalrat die vorparlamentarischen Entscheidungen ohne weitere Einschränkungen durchsetzen, wurde so zu einer Art Nebenregierung und trug wesentlich zum Verfall des Parlamentarismus in den sechziger und siebziger Jalften bei. Andererseits reduzierte der institutionalisierte Interessenausgleich zwischen den Verbänden und der Begierung, der „Klassenkampf am grünen Tisch” die möglichen Konflikte auf ein Minimum, durch die geringe Zahl von Arbeitskämpfen und Streiks wurde eine Sicherung des Wohlstandes, des Wirtschaftswachstums und der ökonomischen Stabilität gewährleistet.

Eine Beihe von politischen Veränderungen begann die Basis der Sozialpartnerschaft, vor allem ihren traditionellen Zugriff auf die Politik, aufzuweichen. Der Zerfall der politischen Lager bis hinein in die Kernschichten führte zu einer politischen Differenzierung, bei der eine selbstverständliche Gleichsetzung von Interessengruppen mit Parteien nicht mehr möglich war. Dies gilt für die Wirtschafts- und Landwirtschaftskammern bezüglich der ÖVP ebenso wie für die Arbeiterkammer und den Österreichischen Gewerkschaftsbund bezüglich der SPÖ. Gleichzeitig bewirkte die Verschiebung der politischen Inhajte von sozialen Anliegen zu Kapitalinteressen auch eine Machtverschiebung innerhalb der Sozialpartnerverbände. In dem Maß, in dem die ÖVP den christlich-sozialen

Anspruch verlor und die SPÖ Unternehmerinteressen propagierte, wurde der ÖGB zum nahezu einzigen politischen Vertreter sozialer Kompetenz.

Die Quasi-Monopolstellung der Großen Koalition mit stabiler Unterstützung und absoluten Mehrheiten wurde durch eine mobile politische Landschaft abgelöst. Die Zahl der Wechselwähler wuchs und die beiden großen Parteien kamen zunehmend unter Druck durch steigende Erfolge der Freiheitlichen, sowie neue politische Gruppen wie Grüne und Liberale, wozu noch die Bewegungen steigenden Bürgerselbstbewußtseins kamen. Gleichzeitig wurden immer häufiger demokratische Rechte eingemahnt - etwa durch Volksbegehren - und politische Entscheidungen immer mehr.ins Parlament und seine Gremien verlagert. Das Ende der Hochkonjunktur reduzierte die Verteilungsmöglichkeiten der Parteien und Sozialpartner, denen die Verantwortung für sinkende Einkommen und Arbeitslosigkeit zugeschoben wurde. Zudem übernahm die Presse eine demokratische Kontrollfunktion, stellte Privilegien in Frage, wies auf Mißbräuche hin und diskutierte eingehend politische Entscheidungen, wodurch sich Politiker und Sozialpartner immer mehr öffentlich rechtfertigen mußten. Ein wesentliches Element der Vertraulichkeit im kleinen Kreis war damit verlorengegangen-

Durch alle diese Entwicklungen wurde das politische Umfeld der Sozialpartnerschaft entscheidend verändert. Reduzierte politische Einflüsse, ein neue Demokratie, ein neues politisches Bezugssystem und wohl auch eine neue Generation mit anderen Interessen, Schwerpunkten und einem anderen Politikverständnis bewirkten jenen radikalen materiellen und mentalen Wandel, dem wir heute ständig begegnen.

Wehklagen können also nur von jenen kommen, die im Faulbett der Konkurrenzlosigkeit, Interventionen und Funktionärsdeformation unkontrollierte Macht ausübten, dem Mittelmaß frönten oder in ersessenen Positionen unangreifbar schienen. Versteht man diese Entwicklung aber als üblichen politischen Prozeß, so wird man einen Schritt in die Normalität westlicher Demokratien konstatieren.

Dieser Wandel bietet die Chance für Interessenverbände und Politik zu neuer Positionierung. Im Spiel von Wahlen, Populismus, Regierung und Opposition kann die Sozialpartnerschaft vermehrt strategische Ziele verfolgen, da sie keinen vordergründigen Medien- oder Wahlerfolg benötigt. Dem zunehmenden Lobbyismus der Politik kann sie einen Interessenausgleich gegenüberstellen, der Bedürfnisse großer Teile der Bevölkerung berücksichtigt. Und schließlich kann sie durch eine konsequente Demokratisierung die Identität der Betroffenen mit der Politik wiedergewinnen. Erst durch die Herauslösung aus den vielschichtigen politischen Verflechtungen wird jene Klarheit zwischen Staats- und Interessenpolitik hergestellt, die der österreichischen politischen Kultur den Geruch der Balkanisierung nehmen kann. Dies bedeutet kein Ende des österreichischen Weges, der in manchen Bereichen durchaus vorbildlich ist, sondern lediglich eine neue Transparenz und eine Öffnung gegenüber der westlichen Welt durch die Annahme überprüfbarer Spielregeln. Je mehr Souveränitäts- und Kompetenzverlust durch die Europäische Union gefordert wird, umso mehr bedarf es kleinräumigei* Regelmechanismen.

Der Theaterdonner der Alltagspolitik mit seinem folkloristischen Flair ist also klar vom Grundsätzlichen zu trennen. Und dort ist eine nicht gerade starke Regierung mehr denn je auf das Funktionieren der Sozialpartnerschaft angewiesen.

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