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Politischer März an der Mur

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Am kommenden Sonntag finden in der Steiermark Landtagswahlen statt. Zum erstenmal seit 1945 nicht gemeinsam mit Nationalratswahlen. Vom Standpunkt des Wirkungsbereiches des Landtages und seiner Abgeordneten an sich ein Ereignis von rein lokaler Beideu- tung. Dennöch jollte /def Verlauf und der Ausgang dieser Wahlen aus zwei Gründen in ganz Oesterreich aufmerksam verfolgt werden. Es ist weithin unbekannt, daß die Steirer sowohl in ihrer berufsständischen Aufgliederung nach Land-, Industriebevölkerung usw. als auch in ihrer politischen Gliederung nach Wählern der OeVP, SPOe und FPOe von allen Bundesländern am meisten dem gesamtösterreichischen Durchschnitt entsprechen. Es 4st also keineswegs so, daß jene Partei, die die Wahrung der „nationalen Belange” an die Spitze ihres Programms geschrieben hat, hier mehr Wähler findet, als es dem österreichischen Durchschnitt ‘ entspricht.

Und doch ist jenes Odium der Steiermark nicht ganz unbegründet. Die beiden großen Parteien haben sich hier mehr und mit mehr Erfolg um Wähler und Anhänger aus dem nationalen Lager bemüht als sonst wo in Oesterreich. Ging doch von hier die Amnestiepolitik des steirischen Parteiobmannes der Volkspartei und dritten Nationalratspräsidenten Dr. Gorbach aus und begegnet man hierzulande ohne viel Widerspruch oder Ablehnung dem einen oder anderen keineswegs im christlichsozialen Lager groß gezogenen Abgeordneten oder Parteifunktionär der Volksparfei. Weniger sichtbar, aber keineswegs weniger wirksam war die Unterwanderung des Bundes sozialistischer Akademiker durch jene Kreise, die sich von der Parole „Lieber rot als schwarz” besonders angesprochen fühlten, und so mancher mehr oder weniger einflußreiche Sekretär der SPOe kämpft seit Jahrzehnten ununterbrochen in einer „Arbeiterpartei”, allerdings nicht immer in der gleichen. Das sogenannte „nationale” Lager selbst ist so wie überall sonst in Oesterreich zerklüftet und aufgespalten. Die Ursache dafür ist wohl, daß die sachliche und ideelle Zielsetzung der Freiheitlichen Partei bisher nicht jenes Schwergewicht hatte, welches notwendig wäre, um persönliche Ambitionen in den Hintergrund zu drängen.

Die Aehnlichkeit der politischen Verhältnisse im Land Steiermark und im ganzen Bundesgebiet geht so weit, daß bei den letzten Wahlen zum steirischen Landtag, welche im Jahre 1953 gemeinsam mit den Wahlen zum Nationalrat stattfanden, die SPOe ebenso wie bei den Wahlen für den Nationalrat in ganz Öester- reich zwar mehr Stimmen, aber infolge der Wahlarithmetik nur um einen Landtagssitz weniger erobern konnte als die Volkspartei.

Die Steiermark ist also infolge ihrer weitgehenden Annäherung an den gesamtösterreichischen Durchschnitt in ihrer wirtschaftlichen und politischen Struktur ein geradezu ideales Prüffeld für die politische Stimmung. Ein Jahr nach den letzten Nationalratswahlen und zwei Monate vor der Wahl des Bundespräsidenten wird man also aus dem Wahlergebnis wichtige Schlüsse ziehen können.

Außerdem wird der neu gewählte Landtag den Landeshauptmann zu wählen haben, welcher der Träger der mittelbaren Bundesverwaltung und daher das wichtigste Exekutivorgan im Lande ist. Die Besetzung dieses bedeutenden Postens etwa durch einen Sozialisten würde im gesamten inneren politischen Gefüge Oesterreichs eine Verschiebung von großer Tragweite herbeiführen.

Zweitens ist der Verlauf und der Ausgang dieser Wahlen deshalb besonders beachtenswert, weil in Oesterreich zum ersten Male der sogenannte amtliche Stimmzettel verwendet wird, das heißt, der Wähler bringt seinen Stimmzettel nicht mehr in das Wahllokal mit, wie es bisher üblich war, sondern er bekommt im Wahllokal vom Vorsitzenden der Kommission einen Stimmzettel ausgefolgt, auf welchem die verschiedenen Parteien und wahlwerbenden Gruppen untereinander verzeichnet sind, und der Wähler muß nunmehr in der Wahlzelle die von ihm gewählte Partei mit einem Bleistift bezeichnen und den so ausgefüllten Stimmzettel in einem Kuvert abgeben.

Dieser Wahlmodus wurde über einen von įer Freiheitlichen und der Sozialistischen Eartet’gemeinsam eingebrachten Antrag durch ein Wahlgesetz Ende 1956 geregelt. Da die beiden an- tragstellenden Parteien gemeinsam mit dem einzigen Kommunisten des steirischen Landtages die erforderliche Mehrheit hatten, wurde dieses Gesetz trotz des hartnäckigen Widerstandes der Volkspartei beschlossen.

Tatsächlich wird man die Erfahrungen der Steiermark mit diesem amtlichen Stimmzettel bei den kommenden Landtagswahlen genau überlegen müssen, bevor man daran denkt, diesen Modus sonst irgendwo in Oesterreich anzuwenden. Haben sich doch schon bei der Vorbereitung der Wahlen erhebliche Schwierigkeiten gezeigt. So führte die Frage, in welcher Reihenfolge die wahlwerbenden Gruppen auf dem Stimmzettel anzuführen sind, mangels einer eindeutigen Regelung im Gesetz, naturgemäß zu erbitterten Streitigkeiten. So begehrte die OeVP mit Erfolg, daß sie, da sie ihre Listen ausdrücklich mit „Die österreichische Volkspartei” bezeichnet habe, auf dem Stimmzettel entsprechend der alphabetischen Reihenfolge des ,,D” als erste Partei anzuführen sei.

Die Landeswahlbehörde als oberste Instanz besteht außer dem Landeshauptmann als Vorsitzenden aus sechs Beisitzern der Sozialistischen Partei und aus sechs Beisitzern der Volkspartei. Bei Streitfragen mußte infolge der Stimmengleichheit die Stimme des Landeshauptmannes als Vorsitzender den Ausschlag geben. Nachdem dieser in solchen Streitfragen zweimal für die SPOe und einmal für einen Antrag der OeVP stimmte, beantragte die sozialistische Fraktion des Landtages die Einberufung des Landtages und stellte gemäß Art. 142 der Bundesverfassung dort den Antrag, die Anklage gegen den Landeshauptmann vor dem Verfassungsgerichtshof zu erheben, weil seine letzte Stimmenabgabe für den Antrag der OeVP eine schuldhafte Rechtsverletzung gewesen sei. Trotz der Unterstützung des sozialistischen Antrages durch den einzigen kommunistischen Abgeordneten. wurde er mit den Stimmen der OeVP und diesmal auch der Freiheitlichen Partei abgelehnt.

In diesem Antrag kam jedoch das beherrschende Moment der Wahlpropaganda der beiden großen Parteien zum Ausdruck, die Person des Landeshauptmannes Josef Krainer.

Die nach Herkommen und Art stark im steirischen Volk verwurzelte Persönlichkeit Josef Krainers, sein umsichtiges väterliches Wesen, seine erstaunlichen Sachkenntnisse auf allen Gebieten seiner Tätigkeit als Landeshauptmann verschafften ihm in der öffentlichen Meinung ein Ansehen, das. übertragen auf die „Landes ebene’, durchaus mit dem des derzeitigen Bundeskanzlers verglichen werden kann. Die Volkspartei schien daher wohlberaten, als sie die Landtagswahlen unter das Motto „Krainer- Wahlen” stellte. Erstaunlich ist, daß sie von sozialistischer Seite, wenn allerdings auch mit umgekehrten Vorzeichen, durch den oben geschilderten Vorstoß im Landtag, aber auch durch die sonstige Wahlpropaganda, welche zum größten Teil persönlich und ausschließlich gegen die Person Josef Krainers gerichtet ist, unterstützt wird.

5000 bis 6000 Stimmen mehr oder weniger für die eine oder andere der beiden großen Parteien werden über die Frage, wer der künftige Landeshauptmann in der Steiermark sein wird, den Ausschlag geben.

Ist dies schon an sich ein beunruhigender Umstand, so wird er noch beunruhigender dadurch, daß infolge des neuen Wahlmodus mit einer großen Anzahl ungültiger Stimmen gerechnet werden muß, und mit einer noch größeren, nie erfaßbaren Zahl von Wählern, welche infolge Zeitmangels, Kurzsichtigkeit. Irrtum oder anderer Umstände in den wenigen Sekunden in der Wahlzelle eine Partei bezeichnen, welche sie gar nicht wählen wollten.

Das „nationale” Lager tritt in zwei wahlwerbenden Gruppen auf. Der „FPOe” und der „Freien Wahlgemeinschaft der Parteilosen gegen Parteiprotektion, steuerliche Ueberbelastung und nationale Zersplitterung”. So steht es auf dem Stimmzettel. Eine dritte Gruppe, die sich originellerweise „VdU” nannte, wurde nur mit sehr viel Mühe und im allerletzten Augenblick von den Häuptern der freiheitlichen Partei bewogen, ihre Kandidatur zurückzuziehen.

Es besteht also die Möglichkeit, daß keine dieser beiden wahlwerbenden Parteien ein Grundmandat erhält und im künftigen Landtag vertreten sein wird. Da es wahrscheinlich ist, daß auch die KPOe kein Grundmandat mehr erhält, ist es möglich, daß im kommenden Landtag sich nur Volkspartei und Sozialistische Partei, und das unter Umständen mit gleicher Mandatszahl, gegenüberstehen.

Auch dies ist eine unerfreuliche Perspektive. Wolken am politischen Himmel der Steiermark sind aber Wolken, die auch außerhalb des grünen Landes nicht übersehen werden dürfen.

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