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„Politischer Selbstmord..

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Auch wenn VP-Bundesparteiobmann Klaus es begrüßt, daß „die junge Generation nach einer Verlebendigung der Demokratie trachtet und erstarrte Prozeduren abschaffen will“, so macht er sein Versprechen, bei der Realisierung solcher Vorschläge zu helfen, nicht wahr. Denn für die ÖVP gibt es allemal ein Tabu, das „anzutasten“ politischen Selbstmord bedeutet.

Modebewußt war die Volkspartei schon immer. Sie hat noch jedes Bedürfnis oder Unbehagen als politische Mode zu kreieren gewußt. Nicht immer zu ihrem Vorteil oder dem der Demokratie. Durch Heinrich Neisser, den jungen Staatssekretär im Bundeskanzleramt, und Peter Diem, den altersgleichen Bundesorganisationsreferenten der ÖVP, hat sie vor kurzem die Demokratiereform in die Auslage gestellt: Ihr Buch „Zeit zur Reform“ ist das Volksparteigegenstück zur sozialistischen Broda- Gratz-Broschüre.

Recht unbekümmert befassen sich die Autoren mit dem Tabu der hündischen Struktur der ÖVP. Beide treten im Prinzip zwar weiter für den hündischen Aufbau der Partei ein, doch sprechen sie vehement gegen die herrschende Drittelparität:

Ihren Vorstellungen nach sollte in Hinkunft in den beschlußfassenden Parteigremien das Stärkeverhältnis zwischen ÖAAB, Bauern- und Wirtschaftsbund nicht 1:1:1, sondern 3:2:1 betragen. Als Begründung für die Änderung der hündischen Struktur führen Diem-Neisser die geänderte berufliche Struktur der Bevölkerung, aber auch die tatsächliche Wähler- und Mitgliederstruktur der Volkspartei an. Für größere Parteigremien wurde der Vorschlag gemacht, den Machtverteilungsschlüssel mit 48 Prozent ÖAAB, 32 Prozent Bauernbund, 16 Prozent Wirtschaftsbund und mit je zwei Prozent für Jugend- und Frauenbewegung festzulegen.

„Ob Dr. Neisser wußte, daß er mit seiner Forderung jeden echten Konservativen ins Herz trifft?“, kommentiert die sozialistische „Arbeiterzeitung" die interne ÖVP-Zwistig- keit.

Withalm ließ aber auf der anderen Seite wieder verlauten, daß Neisser, der dieses ÖVP-Tabu gebrochen hat, „politischen Selbstmord" begangen hat. Weder Neisser noch Diem scheinen auf einer Kandidatenliste für die Nationalratswahlen auf. Ihre Meinung ist jetzt „Privatsache“.

Wer aber herrscht wirklich in der ÖVP?

So unmöglich es erscheint, diese Frage sofort zu beantworten, so leicht ist es, eine Negativantwort zu finden.

Also wer herrscht in der ÖVP? Es ist der Wähler. Neisser-Diem haben recht, wenn sie darauf hinweisen, daß die Parteistruktur nicht der Wähler Struktur entspricht. Letztlich haben es auch die Oktoberwahlen bewiesen, was die hündischen Sekretariate nicht wahrhaben wollen. Während in den Landgebieten die Stimmenverluste augenscheinlich waren, ergab sich in den Industriegebieten eine unerwartete Verbesserung des ÖVP-Stimmenanteils. Schon im September zeigte es sich bei den Arbeiterkammerwahlen, daß die Zukunft der Volkspartei beim ÖAAB liegt.

Auch wenn diese Tatsache bekannt ist, ist man unfähig, die notwendigen Schlüsse zu ziehen. Zu stark ist der Einfluß des finanzkräftigen Wirtschaftsbundes und des mit historischem Ballast beladenen Bauernbundes für die ÖAAB-Mannen. Ein „Aufmucken“ gibt es nicht — die Folge ist „politischer Selbstmord“. Die SPÖ hat diese Schwäche der Volkspartei schon längst erkannt: „Soll in dieser Partei so wie bisher die wirtschaftliche Macht den Ausschlag geben, oder einfach die Zahl der Wählerstimmen, die die Bünde mitbringen?“, fragt die „Arbeiterzeitung“. Sicherlich wird die ÖVP nicht vor den Märzwahlen des Jahres 1970 mit der Tradition brechen. Für die 70er Jahre bleibt, aber dieses Problem offen.

Withalm selbst wird etwas unglaubwürdig, wenn er nicht zu den von ihm seit dem 7. März öfters wiederholten Vorschlägen zu einer Demo kratiereform steht. Vor allem darf er aber nicht übersehen, daß eine solche Reform unmöglich vor der eigenen Partei haltmachen kann. Oder sollte doch der SPÖ-Vorsitzende Kreisky rechtbehalten, wenn er die Vorschläge des Volksparteigeneralsekretärs als leere Rede bezeichnet, „die heute modern ist“?

Die Sozialistische Partei hat durch ihre Struktur nicht solche Probleme und gibt offen zu, daß durch die hündischen VP-Auseinandersetzun- gen immer schon die Stärke der Sozialisten und der SP-Gewerk- schafter wächst. „Das jetzige System der ÖVP erinnert an Zeiten, wo die Steuerleistung pro Kopf zur Gewichtung der Wählerstimmen herangezogen wurde. Unser in einem Jahrhundert gewachsenes Gefühl für Demokratie wehrt sich gegen das darin liegende, noch aus dem Feudalismus stammende Standesdenken. Dieses erscheint heute selbst Liberalen im bürgerlichen Lager längst überholt", stellen Sozialisten in diesem Zusammenhang fest — und gewähren Neisser damit eine notwendige Schützenhilfe.

Daß die Volksparteispitze das nicht gerne hört und sieht, ist verständlich. War es doch bisher immer die ÖVP, die den Sozialisten starres und dogmatisches Denken zum Vorwurf gemacht hat.

Doch die „Revolution“ fordert ihre Opfer. Ist der hoffnungsvolle Nd'a- wuchspolitiker Neisser tatsächlich das erste?

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