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Präsidentschaftskandidaten in den USA

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Die kommenden Präsidentenwahlen in den Vereinigten Staaten lassen nach den möglichen Kandidaten, die endgültig erst im Sommer aufgestellt werden, Ausschau halten. Es ist noch gar nicht sicher, ob Henry A. Wallace seine Drohung, als Kandidat einer noch nicht wirklich vorhandenen dritten Partei aufzutreten, ernstlich ausführen wird. Seine Wahl ist jenseits des Bereiches der Möglichkeit und hätte ein Ergebnis, das der Kandidatur Thälmanns im Jahre 1925 sehr ähnlich wäre. Hätten die Kommunisten Deutschlands damals für Marx gestimmt, so wäre Hindenburg nicht gewählt worden und es ist fraglich, ob dann die Weltgeschichte nicht einen anderen Lauf genommen hätte. Wallace ist kein Kommunist, aber seine Wähler kämen zum größten Teil von der äußersten Linken, die immer demokratisdi wählt. Eine Ausnahme bilden die Sozialisten, die schon seit Jahrzehnten Norman Thomas kandidieren lassen, der aber nie mehr als einige hunderttausend Stimmen auf sich vereinigen kann. Die amerikanisdien Sozialisten aber sind ,,liberal" (oder „libertär“) und radikal anrikommunistisch. Ihre Einstellung ist sehr ähnlich jener der Saragat-Gruppe in Italien; von ihnen würde Wallace kaum Stimmen bekommen. Sein Hauptprogrammpunkt ist der Isolationismus („Hände weg von Europa!“) und er hat bereits angekündigt, daß seine Kandidatur gegenstandslos wäre, falls einer der Hauptkandidaten sich zum Isolationismus bekennen würde. Das Auftreten eines solchen Rivalen ist aber unwahrscheinlich, wenn auch nicht ausgeschlossen. Sicherlich würde jedoch ein demokratisch-interventionistisdier Kandidat bedeutend mehr Stimmen an Wallace verlieren als ein republikanischinterventionistischer Präsidentschaftsanwärter. Wenn Wallace auch nur ein bis zwei Millionen Stimmen auf sich vereinigen würde, wäre der demokratische Kandidat mit Sicherheit geschlagen. Trotz der demokratischen Konservativen des Südens gelten die Demokraten als die Partei des New Deals und der Linken. Hier also würde die „Dritte Partei" schwächend einwirken.

Wie sind die Aussichten eines demokratischen Kandidaten unabhängig von Wallace zu beurteilen? Nicht allzu gut, denn die Republikaner gewannen die letzten Wahlen für den Kongreß. Es sind zwar einige Anzeichen vorhanden, daß die Demokraten sich von dem letzten, sehr schweren Schlag einigermaßen erholt haben, aber die Republikaner sind dennoch immer noch die „Partei im Anstieg“. Wen aber würden nun die Demokraten als Kandidaten aufstellen? Es wurde zwar manchmal der Name des Generals MacArthur genannt, viel wahrscheinlicher ist aber die Kandidatur des Präsidenten Truman. In den Vereinigten Staaten ist es ein ungeschriebenes Gesetz, daß ein Präsident nach vollendeter Amtszeit von seiner Partei zum zweitenmal (nicht aber zum drittenmal) als Kandidat aufgestellt wird. Seine zweite Nomination bei der Parteitagung zu unterlassen, wäre eine offene Verurteilung seiner ganzen Amtsperiode, also das öffentliche Bekenntnis einer Mißregierung, ein Akt, den eine Partei nur in den außergewöhnlichsten Umständen vollziehen würde. Die Kandidatur Trumans ist deshalb fast sicher.

Uber die Person Trumans braucht man nicht viel sagen. Nach Vollendung einer Highschool (höhere Bürgerschule) widmete er sich dem Geschäftsleben und führte in Independence (Missouri) und dann in Kansas City ein Textilwarengeschäft. Erst viel später wandte er sich der lokalen Politik zu, die von der Pendergast-Gruppe „kontrolliert“ wurde. Zugleich besuchte er eine Rechtshochschule. Der Staat Missouri sandte ihn als Senator nach Washington, wo dem begabten, wohlgebildeten Mann der Vorsitz eines Senatsausschusses an ver traut wurde. Bei der letzten Wahl protestierte der konservativgerichtete Süden gegen eine neuerliche Kandidatur Henry Wallaces als Vizepräsident. Da die amerikanische Verfassung bestimmt, daß im Falle des Ablebens des Präsidenten sein Amtsturnus vom Vizepräsidenten beendet wird, und Roosevelts Krankheit ein offenes Geheimnis war, war der Süden darauf be dacht, daß nicht Wallace die sonst völlig unbedeutende Vizepräsidentschaft zufalle. Roosevelt sah sich deshalb nach einem neutralen Mitkandidaten um und seine Wahl fiel auf Truman, der in der Tat sein Nachfolger im Amte wurde.

Trumans innere Politik wird von einem vorsichtigen Lavieren zwischen den „Southern Bourbons“ und dem „New Deal“ charakterisiert. In seiner Außenpolitik wird der Präsident wohl wesentlich von seinen Beratern bestimmt. Hier ist er das völlige Gegenteil Roosevelts, der staats- männisch erfahrener als Truman in das Amt kam, unbeeinflußbar war und auch Niederlagen nicht einsehen wollte. Gewisse Darstellungen wollten es Truman nachsagen, die „Macht hinter dem Thron“ Trumans seien die „großen Trusts“ oder „die Bankiers". Das sind mehr oder weniger ge- wollte Verzeichnungen des Bildes.

So selbstverständlich die Kandidatur Trumans ist, so fraglich ist noch die republikanische Kandidatur. Vor einem Monat hätte ich fast mit Sicherheit General Eisenhower genannt, dessen Vorgesetzter während des Krieges General Marshall war. Ein Soldat im Weißen Haus ist beinahe amerikanische Tradition und nach dem überwältigenden Sieg des demokratischen Prinzips eine merkwürdige Selbstverständlichkeit. Man denke: Marschall

Stalin, Marschall Tito, General Franco, Major Attlee, General Mar- k o s, uberst H o x h a, General Tschang- k a i s c h e k und im Hintergründe General de Gaulle. Doch hat nun General Eisenhower die Erklärung abgegeben, daß sich ein Soldat in der heutigen Zeit bereithalten müsse, in seiner militärischen Eigenschaft seinem Vaterland zu dienen, und daß es nur wenige Ausnahmsfälle gebe, in denen er anders handeln dürfe. Er hat also die Tür hinter sich fast gänzlich zugezogen.

Eisenhower hätte gegen Truman spielend gewonnen. Wie ist es um die anderen, möglichen Kandidaten bestellt? Bei den Gouverneurswahlen vor 7.wei Jahren hatte der Präsidentschaftskandidat vom Jahre 1944, Tom Dewey, einen überwältigenden Erfolg. Doch hat auch die Popularität De weys außerhalb seines äußerst wichtigen Staates (New York) ihre Grenzen; Trumans Stärke liegt darin daß er in vielem ein „Durdischnittsamerikaner“ ist, in dem sich die Massen personifiziert sehen. Dewey, ein Mann von kleiner Statur mit einem unamerikanischen Schnurrbart, ist ein ausgezeichneter Beamter und Verwalter, ehemaliger Staatsanwalt und Gangsterverfolger. Er bewies großen persönlichen Mut und ist literarisch interessiert. Außenpolitisch gehört er der interventionistischen Schule an, die scharf antikommunistisch gerichtet ist. Der Marshall-Plan hätte in Dewey einen warmen Befürworter und Vollstrecker.

Harold S t a s s e n, Gouverneur des Staates Minnesota im Westen, ist heute ebenfalls Interventionist. Eine Zeitlang neigte er dem Isolationismus zu, reiste nach Moskau, sprach mit Marschall Stalin und schrieb russenfreundliche Artikel. Aber er änderte dann diese Linie. Er ist verhältnismäßig jung und seine Anhängerschaft im Westen ist nicht unbeträchtlich.

Ein viel ernsterer Kandidat ist der Senator Taft, ein Sohn des gleichnamigen Präsidenten. Die Tafts sind deutscher Abstammung und stammen aus Cincinnati. Der Senator ist geistiger und politischer Führer der schärfsten konservativen Richtung in der republikanischen Partei, während Stassen der „Nachfolger“ Wendeil Willkies und daher der Exponent des fortschrittlichen Flügels der Partei ist, ein Flügel, der in der nördlichen Mitte der Vereinigten Staaten besonders stark vertreten ist.

Heute aber befürworten die amerikanischen Konservativen — viele sehen in ihnen die „Reaktion“ — und die Kommunisten mit ihren Mitläufern eine fast identische Außenpolitik. Die ersteren sind nationalistisch und deshalb im Grunde genommen europagegnerisch. Sie fürchten die Folgen einer allzu engen Berührung mit der „revolutionären“ Alten Welt und eine Erschütterung der konservativen amerikanischen Ideale nicht nur durch eine „Infektion“ aus der Außenwelt, sondern auch eine Totali-, sierung des amerikanischen Lebens durch militärische Maßnahmen und kriegerische

Verwicklungen. Der amerikanische Konservativismus hält Amerika für stark genug, um der ganzen Welt zu widerstehen, solange die Vereinigten Staaten Kanada, Süd- und Mittelamerika kontrollieren. Es darf ja nie vergessen werden, daß Amerika „auf der Flucht von Europa“ geboren ist und dieses Streben nach Absonderung drüdtt sich im amerikanischen Isolationismus sehr deutlich aus.

Dies ist die amerikanische Grund Stimmung. Die Zeit Stimmung ist immerhin eine ganz andere und es ist möglich, daß diese eine längere Periode hfndurch den Sieg über die Grundsdmmung davontragen kann. Sowohl Henry Wallace als auch Senator Taft werden deswegen einen schweren Stand haben. Präsident Truman und Tom Dewey hingegen profitieren von dieser Tendenz.

Ob nun aber Tom Dewey wirklich der republikanische Kandidat werden wird, ist immer noch fraglich. Im großen und ganzen sind die Gewerkschaften den Demokraten freundlicher gesinnt als den Republikanern, da die ersteren noch an der Tradition des New Deal zehren. Jedoch sind die Gewerkschaften nicht wie in Europa parteipolitische Organisationen und der Versuch der Kommunisten, in ihnen eine führende Stellung zu erlangen, ist nicht nur fehlgeschlagen, sondern hat sogar zu einer ausgesprochenen Reaktion geführt. Noch wichtiger als die Stellung zu den Gewerkschaften ist das Problem der Außenpolitik.

Präsident Truman wird sich zweifellos eine Wahlparole der Roosevelt-Propaganda aus den Jahren 1940 und 1944 zu eigen machen: „Don’t change horses in mid stream — Wechselt nicht die Pferde während einer Stromüberquerung!“, eine Losung, deren bildlicher Vergleich aus der Zeit der gefahrvollen Kolonisierung des Westens stammt. Eingeweihte Beobachter sind fest überzeugt, daß Truman wiedergewählt werden wird, besonders jetzt, da Eisenhower den Gedanken an eine Kandidatur aufgegeben hat. Dieses Urteil könnte erst dann revidiert werden, wenn die Republikaner unerwarteterweise bei ihrem Parteitreffen im Sommer einen besonders zugkräftigen Kandidaten, ein sogenanntes „dunkles Pferd“ aufstöbern würden. Ein derartiges „dunkles Pferd“ war im Jahre 1940 Wendell Willkie, der zwar gegen Roosevelt unterlag, aber dennoch verblüffend viel Stimmen auf sich vereinigte. Er war, wie Roosevelt, ein Mann ohne besondere Qualitäten außer einer guten Rednergabe, doch appellierte er als Selfmademan an die Phantasie der Amerikaner. Wie Roosevelt hatte er keine Ahnung von der Welt außerhalb Amerikas und sein Reisebuch „Eine Welt“ ist ein Meisterstück unbeabsichtigter Komik.

Soweit man voraussehen kann, wird die kommencftF Präsidentenwahl nicht in brillanter Rhetorik glänzen. Trumans inoffizielle Propaganda wird ihn als den Präsidenten schildern, „der sich etwas sagen läßt" (ein großer Fortschritt nach der unverantwortlichen Personaldiktatur Roosevelts) und falls sein Gegner mit dem heiligen Versprechen auftritt, Amerika von jeder kriegerischen Verwicklung fernzuhalten, wird dies nach den nicht gehaltenen Versprechen Wilsons und Roosevelts kaum einen großen Eindruck machen. Falls nicht alle Anzeichen trügen, sieht Amerika sehr ernsten, nüchternen Wahlen mit wenig künstlichem Feuerwerk entgegen.

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