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Prügelknabe statt Musterschüler

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Deutschlands Kanzler erlebt innen- wie außenpolitisch turbulente Tage. Weder ihm noch seinem Lieblingsprojekt Euro geht es derzeit gut.

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Deutschlands Kanzler erlebt innen- wie außenpolitisch turbulente Tage. Weder ihm noch seinem Lieblingsprojekt Euro geht es derzeit gut.

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Es ist ja nun schon seit längerem bekannt: Helmut Kohl will es noch einmal wissen. Während seiner Fastenkur in Bad Hofgastein tat er kund, er werde 1998 noch einmal in den Bing steigen. Seither hat sich einiges verändert. Die Dynamik, die man sich für die Unionsparteien (CDU/CSU) und damit auch für die Begierung von der Entscheidung über die Wiederkandidatur verspracht, ist ausgeblieben. Stattdessen haben sowohl die innenpolitischen als auch die außenpolitischen Entwicklungen ihre eigene Dynamik entwickelt, derer der Langzeitkanzler augenscheinlich kaum mehr Herr ist.

Besonders schmerzlich muß dies für Kohl bei der Europapolitik sein, war dies doch - aufbauend auf der Wiedervereinigung - gewissermaßen das Herzstück seiner Kanzlerschaft; und just mit der Dringlichkeit und historischen Bedeutsamkeit europäischer Agenda begründete Kohl auch sein nochmaliges Antreten.

Nun aber haben sich die Bedingungen für das derzeit einzige große europäische Integrationsprojekt, das diesen Namen verdient, die gemeinsame Europawährung, zuletzt dramatisch verschlechtert. Die Wahlsiege der Linksparteien in Großbritannien und Frankreich gaben den Schwesterparteien in den übrigen europäischen Ländern Auftrieb. Inhaltlich liegen Blair und Jospin zwar weit auseinander, doch beide Siege zusammen lassen eben doch jene Morgenluft wittern, die sich ein anderes Europa wünschen, als der Pfälzer am Bhein.

Von der Sache her wiegt freilich der Triumph der französischen Linken weit schwerer als jener von „New Labour”. Denn Blairs Partei ist so new, daß sie für gestandene Sozialdemokraten oder Sozialisten kaum wiederzuerkennen ist. Zudem hatte man mit den Briten ja auch schon zu Tory-Zei-ten für EU-Anliegen nicht rechnen können - da ist, aus europäischer Sicht, die Ablöse Majors eher eine Erleichterung. Und was den Euro angeht, so hält sich da die Begeisterung der Briten generell in Grenzen (siehe auch nebenstehende Kolumne).

Etwas anders ist es mit Frankreich: Der jüngste Auftritt des neuen Finanzministers Dominique Strauss-Kahn vor seinen Amtskollegen in Luxemburg hatte es in sich: Von einer „riskanten Verzögerungstaktik” beim Stabilitätspakt für den Euro sprach die „Süddeutsche Zeitung”, „Es wird ernst” betitelte die „Frankfurter Allgemeine” ihre Leitglosse, die mit den Worten schließt: „Im Falle eines ernsthaften Konflikts zwischen Paris und Bonn könnte das ge samte Projekt Währungsunion schei tern”.

Jenes Projekt, nur so nebenbei bemerkt, daß Kohl so sehr zur Chefsache machte, daß er es unumwunden zu einer „Frage von Krieg und Frieden im

21. Jahrhundert” erklärte.

Zur massiven Verunsicherung rund um dieses Projekt haben freilich auch die Deutschen selbst massiv beigetragen. Theo Waigel, jener Finanzminister, den Kohl in fast peinlicher Hilflosigkeit noch kürzlich „exzellent” nannte, hat mit seinen Notmanövern (Goldaufwertung, Telekom-Verscherbelung) an der Diskreditierung der Einheitswährung entscheidenden Anteil. Da mag es noch so viele rationale Gründe für diese Maßnahmen geben - etwa daß die Telekom sowieso privatisiert werde, daß die Aufwertung der unterbewerteten Goldreserven legitim sei - psychologisch waren die Auswirkungen verheerend.

Bei seinem Staatsbesuch in Wien mit einer diesbezüglichen Frage seitens der FlJRCIIK konfrontiert, antwortete Bundespräsident Boman Herzog, es könne dem Euro-Projekt sogar zuträglich sein, wenn nun die Deutschen nicht mehr die Strahlemänner in der Union seien; damit sei klar, daß in Bonn auch nur mit Wasser gekocht werde und der Euro keine auf Europa ausgeweitete DM-Zone mit sich bringe.

Die Sichtweise ist sympathisch und zeugt von der verschmitzten Klugheit des deutschen Staatsoberhaupts. Sie ändert aber nichts daran, daß der deutsche Offenbarungseid, jene Latte, die man den anderen hoch legen wollte, selbst nicht überspringen zu können, auf die Währungsunion zumindest nachteilige Auswirkungen haben wird. Das weiß natürlich auch Herzog, er kann es freilich - ebensowenig wie Kohl und seine Begierung - nicht sagen.

Boman Herzog hat dabei einen entscheidenden Vorteil gegenüber Kohl. Er findet sich, nicht auf Karikaturen neben John Major und Jacques Chirac, beide gramgebeugt und mit Fußtritt-Abdrücken auf dem Hinterteil, und an Kohl die Frage richtend: „Und wann kommst Du, Helmut?”. Herzog will nämlich nicht mehr kandidieren.

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