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RANDBEMERKUNGEN

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ZWEI ZU EINS. Bei der Weihe des burgen-ländischen Bischofs waren unter den prominenten Festgäsfen nicht nur der „bürgerlichen“ Regierungspartei angehörende Würdenträger, sondern neben einem OeYP-Minister gleich zwei SPOe-Minister. Man mag diesen Tatbestand als einen Zufall befrachten oder in ihm ein Bemühen der SPOe sehen, auf die vielen Menschen Bedacht zu nehmen, die in gleicher Weise Katholiken wie sozialistische Wähler sind. Wir wollen von der zweiten Annahme ausgehen und in diesem Zusammenhang überhaupt das freundlichere Klima hervorheben, in dem sich derzeit In Oesterreich das Verhältnis zwischen der Kirche und den Sozialisten konstituiert. Die Ereignisse in Ungarn haben gezeigt, daß Katholiken und Sozialisten (wenn sie sich für den demokratischen Weg entschieden haben) den gleichen Begriff von Freiheit haben oder haben können und daß die Gegensätze in jenem Ausmaß verschwinden, in dem die einen wie die anderen sich auf die Ursprünge ihres Bemühens um den Menschen besinnen: Wohlfahrt und Freiheit des Menschen. Das aber heißt weiter: Je weniger Marxismus im Sozialismus, je mehr Sicht auf den konkreten und nicht auf einen vorgestellten abstrakten Menschen, desto stärker können in wesentlichen Fragen die Kontakte zwischen Menschen sein, die einem freiheitlichen Sozialismus anhängen, und jenen, die da glauben, dafj in der Durchsetzung christlicher sozialre'ormaforischer Bestrebungen die Möglichkeit angelegt ist, die Bedingungen zu beseitigen (Hunger, Despotie, Ausbeutung), die zum Entstehen des modernen Marxismus geführt und die auch das Grauen von Ungarn mif-schaffen geholfen haben.

notwendig sind, auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden? Die nächsten Nationalrafs-wahlen sind in vier Jahren. Dazwischen liegen so viele Chancen, die Wähler zu beeinflussen, dafj jetzt formulierte Wahlkampfargumenfe bis zum Wahltag längst von gewichtigeren Argumenten überdeckt sind. Nun liegt vor uns die letzte Nummer der (sozialistischen) „Wiener Volks-Zeitung“, die kostenlos allen Wohnpar-feien in Wien übereignet wird. Auf der ersten Seife wird „Rechenschaff für Ungarn“ gefordert. Aber schon auf der zweiten Seite muh ein naiver Leser (und für solche sind ja Zeitungen für „Wohnparteien“ bestimmt) den Eindruck gewinnen, dafj alles Böse auf der Welt die organisatorische Gestalf der ersten Regierungspartei angenommen habe. Auf Seife 4 und 5 geht man auf den erschütternden Aufruf des Direktors von SOS, bei der Vergebung von gemeindeeigenen Wohnungen nichf nach dem Parteibuch, sondern nach der Bedürftigkeit vorzugehen, in der Weise ein, dafj man gegen das Wohnungseigentum zu Feld zieht und von den Delogierungen spricht, für die schließlich in einer von der SPOe verwalteten Stadt kaum allein die andere Seite verantwortlich gemacht werden kann. Auf Seife 6 wird vom „schweren politischen Kampf“ der kommenden Jahre gesprochen (als ob die Oesferreicher jetzt keine anderen Sorgen hätten), während auf der nächsten Seite der Finanzminister als „Hasardeur“ bezeichnet wird. Dafj die Altersrenten nur durch die SPOe erhöht werden- (die ja die absolute Mehrheit im Nationalrat hat und, wo notwendig, Fehlendes aus der Parteikasse zu-schiefjt), nimmt beim Ton des etwas verfrühten Wahlkampfpamphlets ebenso wenig wunder wie der Hinweis darauf, dafj nur die SPOe dem Finanzminister die Reduktion gewisser Zölle auf Lebensmittel „abgerungen“ hat. Die letzte Seite enthält wieder eine fröstliche Feststellung: „Wir dürfen niemals vergessen, was uns die Freiheit wert ist .. .“ Ob wir in Freiheit leben dürfen, liegt aber nicht nur in der Enfscheidungsgewalt der Grofjen jenseits unserer Grenzen, sondern zu einem guten Teil in unserem eigenen Vermögen. Die erste Voraussetzung ist der Wille, in der Freiheit eine allgemeine Chance zu sehen, keine Teilfreiheit von Privilegierten. Wie könnten wir besser in diesen Tagen zur Sicherung unserer nationalen Freiheit beifraaen als durch'Bekundung der Einheit und durch Schweigen in Fragen, in denen wir nun einmal nicht gleicher Meinung sind und sein können. Wenn auch sicher einige der Artikel in der SP-Wahl-zeifung schon vor dem 4. November im Safz gewesen sind, wäre es doch nach unserem Dafürhalten besser gewesen, die Auseinandersetzungen zu einem anderen Zeitpunkt aufzunehmen, zu einer Zeit, in der die Menschen wieder für innenpolitische Streifgespräche jenes Verständnis aufbringen, dessen Vorhandensein notwendig ist, damit der beabsichtigte Werbeerfolg erzielt wird.

RUHE UND ENTSCHLOSSENHEIT auf einem Höhepunkt des gegenwärtigen Nervenkrieges bewiesen die USA in diesen letzten Wochen, als ihre Verbündeten, Frankreich und England, massiven sowjetischen Drohungen ausgesetzt waren. Die dem Weifjen Haus und dem State Department nahestehende „Time“ hat nunmehr den Ablauf der kritischen Woche, vom 4. November an, in Washington beschrieben. „Jefzt und zu jeder Zeit seit dem zweiten Weltkrieg glaubten die USA nicht, dafj die Sowjets einen duften Weltkrieg wünschten .. . Dwight D. Eisenhower wollte aber nichts dem Zufall überlassen.“ Kurz vor den Wahlen sollte Amerika nicht den Eindruck erwecken, unvorbereitet auf alle Fälle zu sein. Deshalb stiegen in der Nacht des 4. zum 5. November die Super-bomber von ihren Basen auf, und wurden fage-und nächtelang in der Luff getankt. Deshalb erhielten alle gröberen Schiffe Befehl, ihre Häfen zu verlassen und sich auf hohe See zu begeben. Amerika wollte zu keinem zweiten Pearl Harbour den Anlafj geben. Während alle Vorbereitungen für den Ernstfall getroffen wurden, begab sich Eisenhower auf seine Farm in Geftysburg und ging angeln. — Dieser Ruhe, die.er Entschlossenheit und diesem Schweigen verdankt die Welt mehr, als dem ganzen heißen Gerede der hektischen Propaganda des kalten Krieges. Wir wollen sie als ein gutes Omen für den neuen Start in die Weitpolifik nehmen: der freie Wesfen kann ungeheure Kräfte entfalten, wenn er nur will!

NEBEN DER WELTWEITEN EMPÖRUNG UBER DIE VERGEWALTIGUNG UNGARNS verdient die Stellungnahme Indiens, Chinas und Titos eine besondere Beachtung. Sie war und isf alles anderes als einheitlich. Anfangs begrüßten alle drei die ungarische Erhebung als einen legitimen Kampf einer Nation um Freiheit und Selbstbestimmung. Rotchina und Tito drückten allerdings bald ihre Besorgnis aus hinsichtlich eines „Abgleiten* vom 'Sozialismus“. Als der massive sowjetische Angriff begann, schwiegen zunächst alle drei. Dann bekannten sich China und Tito zur Sowjetunion, beide aber ließen zugleich deutliche Zeichen der Sorge verlauten. China sah sehr bald, daß die russische Intervention in Ungarn ihm wieder einmal den Weg in die UNO verbaute. Tafsächlich sprachen sich nunmehr zwölf Nationen mehr als bei der letzt-jährigen Abstimmung gegen die Aufnahme Roichinas in die UNO aus. Indien sieht sich in eine besondere Enge gedrängt: als wärmster Fürsprecher Chinas gerief es in eine scharfe Auseinandersetzung mit dem Vertreter der USA bei den UNO. Die indische Regierung konnte nicht umhin, gemeinsam mit den Bandung-Staaten den Abzug der russfschen Truppen aus Ungarn zu fordern, da sie analog sich für Nassers Aegypten verwendet hatte. Nehru nahm aber gleich darauf wieder die Sowjetunion in Schutz und verteidigte sich gegen indische Angriffe, nicht zuletzt von seifen der indischen Sozialisten, indem er auf die Gefahr eines driften Weltkrieges hinwies. Er mag seine Gründe für seine überaus große Vorsicht in der Behandlung der UdSSR haben — sein Besuch in den USA wird vielleicht Auskunft über diese seine schwerwiegende Zurückhaltung geben. — Die Ueber-raschung, man darf wohl sagen, die erwartete Ueberraschung brachte Tito. Jugoslawien ist naturgemäß durch die Ueberschwemmung Ungarns mit russischen Truppen beunruhigt. Das genügt bereits, auch wenn keine weiteren Verbände nach Rumänien und Bulgarien verlegt werden. Die Veröffenflichung eines Teiles der Tito-Rede vor ausgewählten Offizieren in Pola muß dennoch als ein weltpolitisches Dokument ersten Ranges gewettet werden. Zum erstenmal seit dem Bestehen des Weltkommunismus äußert sich eine im aktiven Leben stehende Persönlichkeit dieses Lagers über konkrete Spannungen und Parteiungen in Moskau. Die Trennung zwischen reaktionären Stalinisten, die sich nur auf das alte Alphabet des Haltens — und Be-setzens verstehen, und forfschrittswilligen Politikern, die auf die Interessen anderer Völker Rücksicht nehmen wollen, bedeutet, im Munde Titos, nicht nur eine Warnung an den Kreml, nicht wieder in den alten Trott des Terrors zurückzufallen, sondern auch eine bewußte Adresse an die beiden asiatischen Freunde, China und Indien, und wohl auch an die USA. — Da Tito gleichzeitig seine jugoslawischen Kommunisten gegen den Vorwurf Moskaus, den Sozialismus zu verraten, verteidigen mußte, gewinnen diese Aeußerungen noch an Kursweit. — Die ungemeine Gereiztheit der offiziösen und offiziellen Moskauer polifischen Aeußerungen in diesen Tagen dürften nicht zulefzf mitbedingf sein durch das Wissen um den sehr, sehr schlechten Eindruck, den Moskaus Ungarnaktion bei seinen wichtigsten Freunden gemacht hat, wie deren Reden und Schweigen bekundet.

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