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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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Mit einem kunstvoll verschlungenen

Netz von Erhöhungen der staatlichen Tarife, Steuern und Abgaben wird jetzt den Symptomen des Übels, das die Staatswirtschaft befallen hat, zu Leibe gegangen. Die angewandte Energie ist von unbeirrbarer Schärfe, sie trifft den kleinen Mann und sie schlägt den großen. Die kommunistische Parole: Die Reichen sollen zahlen! kommt zu spät. Für das Zahlen ist gesorgt. Denn man will die Defizite des Staatshaushaltes, seiner Bahnen und Wirtschaftsbetriebe, auslöschen. Sie sind Symptome eines kranken Haushaltes. Nur sie decken, verdecken und nicht die Folgen, die tiefliegenden, schon längst erkannten und nie einer ernsten Remedur unterzogenen Ursachen? Unter den vielen Maßregeln, die jetzt der Wirtschaft vom kleinen, bescheidenen Haushalt an gelten, ist keine einzige — auch nicht ein Wort — gegen den Grund des Übels gerichtet, gegen die Hauptwurzel der Defizite, die untragbare Aufgeschwollenheit der staatlichen Apparatur und die daraus erfolgende Ausgabenwirtschaft. Seit vier Jahren hat man diesen Zustand wachsen und trotz der Erkenntnis seiner Unhaltbarkeit und seiner Gefahren für Volk und Staat einaltern lassen, untätig, als wartete man auf ein Wunder. Die sanfte Idylle des Nichtstuns ist zu einem jähen Stillstand gekommen. Nun ist der österreichische Steuerträger zum Aufgebot aller seiner Kräfte aufgerufen. Er wird das Seine tun. Er wird es tun müssen, auch wenn es ihm nicht leicht fällt. Aber der Staat, der von ihm spartanische Strenge gegen sich selbst verlangt, wird in seinem eigenen Raume mit spartanischer Sparsamkeit voranzugehen haben. Dafür wird unnachsichtiger wie bisher die Wachsamkeit des Parlaments sorgen müssen, wenn die Volksvertretung nicht selbst sich schuldig machen will. Die Währungsreform, die erste schwere Operation seit 1945, hat viele österreichische Kraftreserven abgeschöpft. In kurzem Abstand folgt jetzt die zweite. Zu einer dritten darf es nicht kommen.,

Bei einer kulturpolitischen Tagung der deutschen Sozialdemokratie in Rothenburg ob der Tauber hielt Staatssekretär Dr. Brill das sehr bemerkenswerte Hauptreferat: „Politik“, so sagte er, „habe nur Wert, wenn sie aus dem Kulturbewußtsein eines Volkes komme. Dieses Bewußtsein sei gegenwärtig von drei Tatsachen bestimmt: der Friedenssehnsucht, dem unbedingten Freiheitswillen und einer verstärkten Hinneigung zur Religion. Die Erfahrungen der zwei Unterdrückungswellen, die Faschismus und Bolschewismus ausgelöst haben, ließen die SPD erst recht an die Freiheit als Grundelement aller Kulturpolitik glauben. Und sie wolle sich der starken religiösen Erneuerungsbewegung, die durch das deutsche Volk geht, nicht entgegenstellen; sie wolle ganz im Gegenteil die religiöse Erneuerungsbewegung in die politische Wirklichkeit überführen, wobei sie auf die ,Wurzelverwandtschaft‘ von Christentum und Sozialismus hinweise.“ „Wurzelverwandtschaft“ ist kein sehr glückliches Wort. Aber darauf kommt es wohl nicht in erster Linie an. Wichtig ist, daß in der Rede des Staatssekretärs ein neuer Ton aufklingt, der zur Kenntnis zu nehmen ist.,

Das demokratische Gegenstück des omnipotenten vulgo allmächtigen Staates bildet der omnikompetente, der für alles zuständige Staat. Die überraschend hohen Niederlagen der so lange ungeschlagen gebliebenen Labourpartei bei den verschiedenen englischen Bezirks- und Gemeindewahlen der Vormonate deuten nun an, daß die forcierte Verstaatlichungspolitik der Labourregierung in den Augen des Volkes eine Grenze erreicht zu haben scheint, die nicht ohne die Gefahr weiterer politischer Verluste für ihre Verfechter überschritten werden sollte. Indessen ist jetzt auch die Nationalisierung der Hüttenindustrie vom Unterhaus beschlossen worden, nachdem die unfruchtbare Debatte darüber im sogenannten Guillotineverfahren unter „Sieg-Heil"-Rufen der Opposition abgeschnitten worden war. Der Anteil der im Staatsdienst beschäftigten Personen an der Gesamtmenge von 22 Millionen im Arbeitsprozeß stehender Engländer wird sich somit um weitere 400.000 auf 5 Millionen, das heißt auf 2 2 Prozent der arbeitenden Bevölkerung erhöhen, wobei die 800.000 männlichen und weiblichen Angehörigen der drei Wehrmachtsteile nicht mit eingerechnet sind. Der Nationalisierungsstreit ist heute eine kleine Art Glaubenskrieg geworden, in dem sich unter anderem besonders der Funktionswandel der Gewerk schaften bemerkbar macht, die ja nicht mehr Zugeständnisse vom Privatunternehmer erzwingen, sondern die schwierige Aufgabe der Vermittlung zwischen einem der jahlreichen neuen staatlichen „Boards" und den Arbeiterinterssen erfüllen sollen, eine Rolle, die ja mit der Ausweitung des Staatskapitalismus konsequent einseitiger wird. Freilich ist man in konservativen Kreisen der Tatsache eingedenk, daß die Durchführbarkeit etwaiger späterer D e- nationalisierungen weniger ein technisches, als ein politisches Problem darstellt. Wie weit also die Labourpartei in ihrem Bestreben, ihre Gegner für den Fall einer Niederlage bei den Neuwahlen im Herbst vor möglichst viele „vollendete Tatsachen“ zu stellen, auf Erfolg hoffen darf, wird weniger von der Anzahl dieser Tatsachen, als von der Bereitschaft des Volkes abhängen, das erreichte Ausmaß staatlicher Allzuständigkeit auf die Dauer hinzunehmen.

Die Londoner Konferenz der Premierminister ist beendet. Sie hat das britische Reich, das größte, das die Weltgeschichte kennt, einvernehmlich in einen Bund von freien Partnern verwandelt, den jeder jederzeit zu verlassen berechtigt ist und den — welch staatspolitisches Novum — nichts als Gefühle Zusammenhalten, eine Skala, die von achtungsvoller Freundschaft bis zu intimer verwandtschaftlicher Verbundenheit reicht. Die Schlußreden sind gehalten, die Delegierten in die Heimat zurückgekehrt und jetzt geht durch die Zeitungen die Nachricht, daß vor der politischen Kommission der UNO ein Prozeß verhandelt wird, den Indien gegen seinen guten Freund und Bruder vom Commonwealth, Südafrika, angestrengt hat. Man muß den politischen Takt der UNO anerkennen, die diesen Familienstreit vor dem Kadi erst nach der Londoner Konferenz abrollen läßt. Nun, es ist wohl richtig, daß auf der „Union of South Africa"die eiserne Hand einer burischen Regierung liegt, die eine Eingeborenenpolitik betreibt, welche den ersten Ansiedlern beim Tafelberg wohl angestanden haben mag. Seither hat sich manches geändert, und so blickt die politisch interessierte Welt mit Verwunderung in jene Breitengrade, in denen acht Millionen Schwarzen — für deren Kultureignung das Wirken des katholischen Mariannhill ein glänzendes Beispiel ist — und allen anderen „Farbigen“, die allmählich errungenen politischen Rechte wieder entzogen werden. Der indische Vertreter nahm sich denn auch kein Blatt vor den Mund, schwere Invektiven fielen. Und im übrigen verlief alles, wie es in solchen Fällen zu gehen pflegt: Südafrika erklärte die ganze Frage für eine innere Angelegenheit, eine Art Frage der häuslichen Erziehung, in die unberufene Dritte nichts hineinzureden hätten. Die UNO aber beschloß die Entsendung einer Untersuchungskommission, zu deren Konstituierung sich jedoch Indien und Südafrika über die Wahl eines der Mitglieder einigen müssen, was immerhin innerhalb der nächsten Jahrzehnte der Fall sein kann.

Ein nicht unwesentlicher Grund für die bisherigen Sympathien mancher amerikanischer Linkskreise — vor allem in New York — für den Kommunismus war die Tatsache, daß — wie es in dem berühmten prosowjetischen Propagandastück von Clifford Odets „Waiting for Lefty"heißt — „die Sowjetunion das einzige Land der Welt ist, in dem Antisemitismus als Verbrechen bestraft wird". Jetzt nimmt man aber in diesen Kreisen doch zur Kenntnis, daß die russische „Säuberungswelle“ gegen die „heimatlosen Kosmopoliten" und „paßlosen Vagabunden“ sich in erster Linie gegen jüdische Intellektuelle richtet. Denn von den fünfzig im Februar und März gemaßregelten Intellektuellen waren nScn- undvierzig Juden, ihren russifizierten Namen waren in der Sowjetpresse jeweils ihre ursprünglichen jüdischen Namen in Klammern hinzugefügt. Die Karikaturen in der russischen Witzzeitschrift „Krokodil", in denen diese Kosmopoliten regelmäßig dementsprechend gezeichnet sind, wurden aufmerksam registriert wie auch die russische Propaganda gegen den „bourgeoisen jüdischen Nationalismus". Die linksgerichtete „New York Post", die den „Antisemitismus in der Sowjetunion" aufmerksam verfolgt, sagt mit Recht, es könne kein Zufall sein, daß gleichzeitig das jüdische Verlagshaus Ernes geschlossen, die einzige jiddische Tageszeitung „Einigkeit" eingestellt und das jüdische antifaschistische Komitee in Moskau aufgelöst wurde.

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