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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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MIT DEM REDEN KOMMEN DIE LEUTE AUSEINANDER, durch gemeinsame Arbeit wieder zusammen. Diese Variation der alten Spruchweisheit drängt sich einem Beobachter der Beziehungen zwischen den beiden Regierungsparteien unwillkürlich auf. Noch vor zwei Wochen stand das Barometer auf mehr als unfreundlich, der Karren der großen Koalition schien rettungslos festgefahren. Damals wurde der Beschluß zur vorzeitigen Parlamentsauflösung und Ausschreibung von Frühjahrswahlen gefaßt. Immer öfter wurden aus den beiden großen politischen Lagern Stimmen laut, die von der Möglichkeit einer Lösung der siebenjährigen Zusammenarbeit und von neuen politischen Kombinationen sprachen. Inzwischen ist erfreulicherweise eine — hoffentlich nicht nur vorübergehende — Be- rühigung eingetreten. Das Budget wurde ivider Erwarten gemeinsam eingebracht, der Termin für Neuwahlen einmütig festgesetzt. Beachtung verdient auch ein in der „Freiheit“, der „Wochenzeitung der christlichen Arbeiter und Angestellten“, an führender Stelle veröffentlichter Aufsatz. Mitten aus dem Lager der ersten Regierungspartei heraus wird eine Warnung vor politischen Experimenten ausgesprochen:

„Es kann nämlich nicht übersehen werden, daß die Umstände, die es im Jahre 1945 ratsam erscheinen ließen, die offenen Probleme durch Zusammenarbeit zu lösen, auch heute noch bestehen. Außer den verschiedenen Gründen, aus denen sich die Koalition mehr und mehr abgenützt hat, sind keinerlei Ereignisse eingetreten, die ein Abgehen von dieser Politik der Zusammenarbeit rechtfertigen würden Was immer nun auch gegen die Koalitionspolitik eingewandt werden mag, diese eine wesentliche Aufgabe, Österreich seine innere Freiheit zu erhalten und jeden volksdemokratischen Prozeß zu verhindern, hat sie zweifellos erfüllt. Da diese Aufgabe auch weiterhin bestehen bleibt, sollte man sich klugerweise auch weiterhin an die Formen halten, in denen sie bisher so erfolgreich erfüllt werden konnte Das sind sehr schwerwiegende Fragen, die man sich gründlich überlegen soll, ehe das Tischtuch der Koalition endgültig zerschnitten wird. Nicht um Parteienvorteil geht es hier, sondern um die Freiheit unseres Volkes und um die Zukunft unseres Vaterlandes, die schwerer wiegen sollten als alles andere.“ Kurswechsel nach den nächsten Wahlen? Wirklich: ein solcher Entschluß müßte nicht einmal oder zweimal, sondern dreimal — und noch öfter überlegt werden.

„UNTER NATIONALEN UND SOZIALEN VORZEICHEN“ soll nach den Worten eines . wegen seiner extremistischen Gesinnung schon mehrmals aufgefallenen Abgeordneten, der mit seinen Gesinnungsfreunden sich immer stärker in den Vordergrund zu spielen scheint, „die große Verbreiterung der Opposition“ erfolgen. Die allgemeine Aufmerksamkeit, bisher stark mit verschiedenen Vorgängen innerhalb der Regierungsparteien und den zwischen ihnen ausgetragenen Hahnenkämpfen beschäftigt, wandert nach rechts. Ohne Zweifel: im „Verband der Unabhängigen“ tut sich allerlei. Der plötzliche Wechsel in der Führung seines parlamentarischen Klubs war ein erstes Aviso, die oben zitierten Worte der ebenso offenherzigen wie instruktiven „Salzburger Rede“ machen es ebenso wie die journalistische Begleitmusik zu den Reden einiger Gastredner aus der Deutschen Bundesrepublik deutlich: der Traum von der „Partei der Mitte“ ist ausgeträumt. Der gegenwärtige Obmann des VdU, dessen persönliche Anstrengungen, das Schifflein seines Verbandes nach dieser Richtung zu steuern, unbestritten sind, wird es in Zukunft noch schwerer haben als auf der letzten großen Pressekonferenz, entgegen allen aufgezeigten Bedenken von dem ehrlichen, von allen Tendenzen und Bestrebungen der Vergangenheit freien Erneuerungswillen seiner Gruppe zu sprechen. Zu stark ist der Ballast, der, zu Beginn der politischen Fahrt nicht abgeworfen, nun immer tiefer und tiefer zieht. Wohin? Der in Kürze stattfindende Verbandstag wird es klarer zeigen. Noch eine Frage bleibt: sie gilt der „Aktion" beziehungsweise jenen Männern, denen politische Herkunft, Entwicklung und Einsicht doch wohl abraten dürfte, „unter nationalen und sozialen Vorzeichen“ anzutreten. Sitzen sie nicht im falschen Zug? Wie lange wollen sie noch warten, ihren Irrtum zu korrigieren? Man sollte ihnen eigentlich von bestimmter Seite die Hand reichen — zum Abspringen.

„EUROPÄISCHE EINIGUNG? Ja, aber nicht durch das Wort, sondern durch die Tat. Nicht durch Formeln und Formulierungen, sondern durch Beschlüsse. Nicht durch Tagungen und Räte, sondern durch

Aufhebungen der wirtschaftlichen Schranken und Einschränkungen.“ So sagten die Schweizer. „Europäische Einigung? Ja, aber nicht in Form einer Europa AG, sondern in Form eines geeinten Europa.“ So replizierten die Österreicher. „Habt ihr bessere Vorschläge als den eines wirtschaftlichen Zusammenschlusses?“ fragten die Schweizer. „Ja, wir fordern die Integrierung auf politischem Gebiet.“ — „Wir haben 500 Jahre dazu gebraucht, bis wir unsere 22 Kantone beisammen hatten. Glaubt uns, in der Wirtschaft ist der Anfang am leichtesten.“ Es war sehr interessant, zu hören, was die Schweizer und österreichischen Politiker einander über Ätherwellen zu sagen hatten. Und es war ebenso erfreulich, zu vermerken, daß mit dieser Sendung das Radioparlament der Sendergruppe Rot- Weiß-Rot seine erste außenpolitische — und außenpolitisch bedeutsame — Bewährungsprobe glänzend bestanden hat.

ZU EINER ZEIT, IN DER MAN IM WESTEN DARANGEHT, die Geschichtsbücher von der nationalen Gehässigkeit der letzten hundertfünfzig Jahre zu säubern, feiert in den Geschichtsbüchern der Ost- staaten nationaler Haß und Chauvinismus wahre Orgien. Während man aber in der „Deutschen Demokratischen Republik" an den „Alten Fritz“ anknüpfen will, lästern polnische Zeitungen über „die Nazis, die Vit Stowsz zu einem deutschen Künstler“ ernannten. Und in Ungarn feiert man jetzt schon etwa alle 14 Tage nationale Gedenktage: nach K o s s uth s Geburtstag den Tag der siegreichen Schlacht gegen J eilalit und gleichzeitig „den Tag der Volksarmee“, zuletzt aber den Befreiungstag der Erlauer Burg von der türkischen Belagerung 1552. Außerdem eilen dort die Spitzen der Regierung zu der Schiffswerft von C s e pel, wo wieder einmal ein stolzes, großes Schiff vom Stapel gelassen wird: auf dem Bug glänzen die zyrillischen Buchstaben schon von weitem Wir sehen, daß dieser merkwürdige, alt-neue Nationalismus seine Schlagschatten hat. Er wird nur aus der Schublade gezogen, wo und wann er besondere Aufgaben zu erfüllen hat. So wird es in Ungarn in Anbetracht der neuen „Türken“ und des neuen „Jellalii“ wohl noch manch schöne nationale Feier geben, selbstverständlich mit Truppenparade, mit ausländischen Delegationen und — vielleicht das Wichtigste — mit Delegationen der Schul- und Arbeiterjugend, „Unsere Jugend muß im Geiste des Internationalismus, im Geiste des lebenspendenden sozialistischen Patriotismus erzogen werden“, schrieb kürzlich im Kominformblatt der ungarische Verteidigungsminister. Was „Internationalismus“ ist, wissen wir genau, seitdem wir den Schiffsbug sahen. Von dem „Patriotismus“ dachten wir, seit Huizinga, er wäre etwas Teures und durchaus Friedliches, im Gegensatz zum angriffslustigen und herrschsüchtigen Nationalismus. Aber der „sozialistische Patriotismus“ soll eben, so hören wir, etwas anderes sein.,.

DIE BELGISCHEN GEMEINDEWAHLEN haben einen merklichen Rückschlag der Christlichsozialen Partei gebracht, den diese selbst auch freimütig zugibt. Das katholische Organ „La libre Belgique“ schreibt, daß die Sozialisten einen sicheren Erfolg erzielten und die Stimmen der Christlichsozialen überall fühlbar zurückgegangen seien. In Belgien regiert seit den Wahlen von 1950 — mit einer knappen parlamentarischen Mehrheit von vier Stimmen — die Christlichsoziale Partei, während die Sozialisten und die Liberalen in der Opposition sind. Unter diesen Umständen trägt die alleinige Regierungspartei nicht nur die alleinige Verantwortung, sondern auch das ungeteilte Odium für unpopuläre Regierungsmaßnahmen. Zu diesen letzteren zählt die Krise um den früheren Justizminister Pholien, der wegen der Begnadigung des Kriegsverbrechers de Bodt zurücktreten mußte, aber auch die Differenzen um die militärische Dienstzeit, die durch bestimmte Erfordernisse der Atlantikpaktverteidigung hervorgerufen werden. Dazu tritt eine gewisse wirtschaftliche Malaise und wohl noch psychologische Nachwirkungen der Königskrise, welche das Land so stark aufgewühlt hatte. Die Lage ist für die regierende Partei schwierig, aber gewiß nicht unlösbar. Sie wird nun wohl zu prüfen haben, inwieweit sie den durch die Wahl zutage getretenen stimmungsmäßigen und programmatischen Wünschen der Bevölkerung nicht selbst zu entsprechen vermag. Ein Sturmzeichen zur rechten Zeit empfangen und aufmerksam gehört, hat schon oft größere Rückschläge verhindert. Und nichts ist im politischen Kampf so gefährlich, als sich Illusionen hinzugeben und den Kopf in den Sand zu stecken. Nicht nur in Belgien

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