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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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EIN CUTER START. Vor dem Hohen Haus am Wiener Parlamentsring wehen wieder die rof-weifjroten Fahnen. Sie verkünden den Beginn der Arbeit eines neugewählten Nationalrates. Es ist das vierte freigewählte Parlament, das nun, nachdem die üblichen Präliminarien der Wahl der Präsidenten und der Vorstellung der neuen Bundesregierung vorüber sind, an die Arbeit geht. Es war auch diesmal ähnlich wie zu Beginn der vergangenen Legislaturperioden, ähnlich wie 1945, 1949 und 1953 — ähnlich, aber doch auch wieder anders. Das Debüt im funkelnagelneu etablierten Sitzungssaal des ehemaligen Herrenhauses mag wohl mit zum Entstehen dieses Eindrucks beigetragen haben. Mehr aber noch die Tatsache, daß auf die rotweifjroten Fahnen vor dem neugewählten Parlament das erste Mal nicht der Schatten fremder Symbole und Hoheitszeichen fiel. Der Bundeskanzler erwähnte diesen Wandel auch gleich im ersten Teil seiner an allen Orten viel bemerkten Regierungserklärung. Diese stellte sich durch ihre umfassende Schau, durch das Eingehen auf beinahe alle Fragen der Innen- und Außenpolitik sowie durch einzelne markante Formulierungen als das gelungene Ergebnis einer gut abgestimmten Endredaktian heraus. Interessant das Echo von seifen des Koalitionspartners: Während der Vizekanzler dem Regierungschef nach seiner Rede demonstrativ die Hand schüttelte, versuchte der sozialistische Sprecher in der Debatte Vorbehalte anzubringen, ja, sich im Namen seiner Partei von grofjen Teilen zu distanzieren. Unterstrichen wird diese Haltung noch durch einen Leitartikel im sozialistischen Zentralorgan. Aus dieser Begleitmusik wurde mehrfach auf bevorstehende harte Auseinandersetzungen in der eben gebildeten neuen-alfen Koalition geschlossen. Wir möchten keinen Illusionismus nähren; natürlich wird die Zusammenarbeit der beiden grofjen Parteien am Regierungstisch und im Parlament auch in Zukunft nicht von Schatten frei bleiben. Allein man soll es nicht schon donnern hören, wenn eine erste Wolke über die Sonne zieht. Der Start war gut, das neue Parlament ist mitten in seiner Alltaas-arbeif. Es kann seine gute Aufnahme durch die Oeffenflichkeit damit honorieren, dafj es nicht glaubt, unter der Julisonne _— sozusagen im „Nachziehverfahren“ — Gesetze zu produzieren, deren Quantität im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Qualität steht.

KURZSCHLUSS. Brennt die Sicherung durch, dann war die elektrische Anlage durch unzulässig hohen Strom belaufet; man spricht von Kurzschluß. Kurzschlufj wäre es, die Finanzierungswünsche der österreichischen Verbundwirtschaft, die bereits früher Energieanleihen machte, nunmehr, da man die Weltbank um einen Kredit von 31 Millionen Dollar anging, schematisch durch die von jener Seite gewünschten Strompreiserhöhungen auszugleichen. Die Stromerzeugung Oesterreichs hat sich gegenüber 1937 bis 1954 mehr als verdreifacht, sie steht in einer Reihe mit den USA. Zweifellos ist auf dem Energiesektor viel geleistet worden. Bei der in Wien kürzlich abgehaltenen Weltkraftkonferenz wies ein englischer Fachmann nach, daß für die langfristige Finanzierung von Energiebauten die benötigten Kapitalmengen im allgemeinen nur 6 bis 7 Prozent des gesamten Investitionsprogramms bilden. Bei der Frage einer Tariferhöhung handelt es sich erstens um die Wirkung auf den Export (1937 führten wir 413 Millionen, 1954 1447 Millionen Kilowattstunden aus), und zweitens um die Wirkung auf die Binnenwirtschaft (Strombezieher und Geräteerzeuger). Das Bundesministerium für Verkehr und Energiewirtschaft liefj zwpr delphisch verlauten, eine Erhöhung des Tarites der Verbundgesellschaft müsse sich „keineswegs zwingend in einer Erhöhung der Verbraucherpreise der Landesgesellschaften“ auswirken, und gleichzeitig versprach man, die Haushalte möglichst aus der Regulierung herauszunehmen. Welche Haushalte? fragt es sich; es gibt bekanntlich verschiedene Tarifzahlen. Aber abgesehen davon: der Hinweis, dah die Hauptlast der Erhöhung die Industrie tragen werde, wirkt zwar optisch populär — aber wer ist so naiv und glaubt, dal; die Industrie ihre Gestehungskosten nicht auf die Produktion überwälzen werde? Der gröfjte Stromkonsument der heimischen Wirtschaft, Ränshofen (in den Sommermonaten etwa ein Viertel bis ein Drittel der gesamten inländischen Erzeugung), deutete bereits an, dafj er die Aluminiumpreise nicht werde halten können. Was werden erst die mittleren und kleinen Unternehmungen sagen? Wo bleibt die Befolgung der Mahnung zu Preisdisziplin, die der Bundeskanzler in der Regierungserklärung mit Nachdruck aussprach? Es wird höchste Vorsicht nötig sein, dafj kein Kurzschluß eintritt.

PIUS XII., DEUTSCHLAND UND POLEN. Mit außerordentlichen Ehrenbezeigungen wurde Bundeskanzler Dr. Adenauer von Papst Pius XII. In Prrvataudienz empfangen. Der Heilige Vater hielt sodann an die gesamte deutsche Delegation eine Ansprache, die als ein europäisches Ereignis erkannt werden muß. In einem weltpolitischen Augenblick, in dem die Toten von Posen eben erst der Erde übergeben werden, in dem in Polen die Brände der Gehöfte, von Aufständischen gelegt, den nächtlichen Himmel färben, in dem, zum dritten, Bulganin und die „Iswestjia“ den Unabhängigkeifstag der USA feiern, die Throne der Diktatoren, der Stalinisten in Pankow, Warschau und Budapest wanken, hat Pius XII. das Wort ergriffen. Ein Wort der Ermutigung und Mahnung an das deutsche Volk, Der Heilige Vater spricht da von den unverheil-fen seelischen Wunden, „die der Krieg auf der einen wie auf der anderen Seife geschlagen“ hat, von der „fast übermenschlichen Belastung“ des deutschen Volkes, und mahnt dann: „Ungeduld ist keine gesunde Atmosphäre zur Meisterung politischer Aufgaben. Gerade Deutschlands Geschichte nach dem ersten Weltkrieg belegt, welches nationale Unglück diejenigen im politischen Raum bedeuten, die nicht warfen können.“ Pius XII. warnt dann vor dem Materialismus: „Wir waren lange genug in Deutschland und hatten seit nunmehr fast vierzig Jahren Uns beruflich so eingehend mit Dingen Ihres Landes zu befassen, daß Wir es wagen dürfen zu sagen, wie gebieterisch dort die geistigen, religiös-sittlichen Werte heischen, in den Vordergrund gerückt, geschützt und gepflegt zu werden, soll nicht die Ueberwucherung des Materiellen auch das deutsche Volk um das Beste seines Wesens bringen.“ Nachdem so der Papst die beiden größten Versuchungen, denen Deutschland heute ausgesetzt ist, Ungeduld und Materialismus, die beide vehement explosiv nach außen drängen, offen beim Namen genannf hat, stellt er dem deutschen Volk d i e große Aufgabe der Zukunft vor: einen Ausgleich mit den slawischen Völkern zu finden, der beiden Partnern den Frieden sichert. „Wir unsererseits wünschen, es möchten d i S östlich der Bundesrepublik offenen Fragen Schrift für Schritt behandelt' werden mit dem Ziel einer Gesamtlösung, die alle beteiligten Staaten und Familien billigerweise als tragbar empfinden und die so die Grundlage für einen gerechten Frieden bedeutet.“ — Wir wollen, es uns versagen, diese außerordentliche Demonsfrafion des Heiligen Stuhles im gegenwärtigen heiklen Moment extensiv zu interpretieren. Der Inhalt der Rede Pius XII. vom 5. Juli 1956 an die westdeutsche, Regierungsdelegation ist klar. Wir haben ihr , augenblicklich nichts hinzuzufügen.

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ANGST VOR DER „KAISERLOSEN ZEIT“. Während eine Anzahl westlicher Experten nach wie vor, an der These festhält, Rakosis Position in Ungarn sei unhaltbar, vernahm man in der vergangenen Woche einige Stimmen aus Ungarn, au den höchsten Parfeigremisn selbst, die dieser These zu widersprechen scheinen. Ein Beschluß des Zentralkomitees verurteilte die „Ausartungen“ jener Diskussionsabende schärfsfens, die junge Kommunisten und Intellektuelle des sogenannten Petöfi-Kreises in letzter Zeit regelmäßig abhielten und von denen in der „Furche“ noch ausführlich zu sprechen sein wird. Die „groben, parteifeindlichen Ansichten“, die bei diesen Diskussionen geäußert wurden, sind laut Parteibeschluß auf den schädlichen Einfluß des gewesenen Ministerpräsidenten Imre Nagy zurückzuführen, der wegen dieser seiner Ansichten aus der Partei ausgeschlossen wurde. Es ist bemerkenswert, daß seit dem Frühjahr 1955, seitdem derselbe Imre Nagy zuerst scharf kritisiert und im Anschluß daran aller seiner Posten in Staat und Partei entkleidet wurde, die Machtverhältnisse in Ungarn die gleichen blieben. Wie man weiß, gelang es Rakosi damals nur unter großen Schwierigkeifen, Imre Nagy zu besiegen. Die Mehrheit, auf die sich Rakosi im Zentralkomifee stützt, ist nur eine sehr kleine, manchmal sogar nur eine fiktive. Aber im entscheidenden Moment gelingt es dessen Anhängern immer, den Schwankenden Furcht einzujagen, indem sie auf die Folgen hinweisen, dis eine „kaiserlose Zeit“ für die Partei in Ungarn bedeuten würde. Das isf freilich nichts anderes als „Personenkult“ reinsten Wassers, aber das politische Bewußtsein der Kommunisten scheint,, zumindest in Ungarn, noch nicht so weif gediehen zu sein, daß man im Augenblick das Fortbestehen der Idee ohne die Symbolkraft eines Namens gewährleistet sehen würde. Hier rächt sich der Personenkult vergangener Jahre. Man kommt aber von den alten Vorstellungen auch dann nicht los, wenn man den Feind fassen will. Die Behauptung, wonach Imre Naqy der Urheber aller Unzufriedenheit isf, der die Intellektuellen der Partei und noch viele andere, von den Studenten bis zu den Arbeitern, in den letzten Wochen laut Ausdruck gaben, isf entweder nicht ehrlich gemeint, oder aber sie zeugt von recht antiquierten politischen Vorstellungen. Dieser negative Personenkult um Imre Nagy muß aber scheinbar solange zur Verdeckung der wahren Quellen der Unzufriedenheit herhalten, so lange der andere Personenkult, der um Rakosi, in den verängstiaten Köpfen der' Parteiführer als „noch immer die beste Lösung“ erscheinen muß. Vielleicht gelingt es Inzwischen der weniger bekannten zweiten Garnitur, eine Konsolidierung herbeizuführen. Dabei konnten sowohl Nagy als Rakosi Ihr Rolle spielen, aber freilich nicht als Sündenbock und Symbol der Diktatur.

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